»Sie suchen nach Worten: vor diesem alten Mann! Er war schon an siebenzig, aber er hat ihr den Wunsch nicht erfüllt. Ich habe die Listen seiner Kommunionen durchgesehen, die Gräfin kommt nicht mehr vor. Vierzehn Tage später starb sie. Dann hält er ihr doch die schöne Rede und begräbt sie mit ihrem Manne. Vielleicht ist sie auf diesen Brief hin wahnsinnig geworden. Krank war sie schon, und es muß ihr gewesen sein, als schließe man die Himmelstür vor ihr zu. Sehr seltsam ist mir noch die Art, wie er über ihr Sterben berichtet. Es war damals Sitte, daß man das sehr ausführlich tat, jedes Wort war ihnen wichtig, wir können uns gar nicht mehr so hineindenken, es schien ihnen in jedem Wort eine Andeutung der letzten Entscheidung zu liegen. Gegen Abend starb die Gräfin, sagt er. Er sagt nicht einmal, sie entschlief. Mit harten, eisigen, dürren Worten: Sie starb gegen Abend.«
»Immer rätsele ich an diesem Glücksmenschen. Er komponierte seine Jubelpsalmen, während seine Frau neben ihm vergeht ...! Nun, darüber will ich nicht urteilen ... ich male ja auch noch. Aber daß er diesen alten, harten Mann eine solche Macht gewinnen ließ, daß der diese Seele so ungestraft mißhandeln durfte.«
»Die Gräfin schließt ihren Brief damit, daß sie ihn, auch wenn er gegen sie entscheidet, nie aufhören werde, zu lieben und ihm zu danken und sie verbleibt seine treue, dankbare Tochter Gisela. Es muß also nicht nur Härte von dem Mann gewesen sein. Vielleicht hat er getrauert um seine arme Heilige ... die ihm irgendwie wieder zur Hexe geworden sein muß. Sie spricht doch davon, daß er ihre Hand nicht mehr berühren wolle. Eine Hexe berührte man nicht, man gab ihr sonst Gewalt über sich.«
»Dies kann ich nun sehr gut begreifen und brauche gar keine Zauberkünste dazu. Natürlich wagte er es nicht, diese Hände zu berühren, diese beseelten Hände, weil er sonst sofort weich geworden wäre und hätte tun müssen, was sie gewollt. Durfte er ihr denn eigentlich das verweigern, Herr Stiftsprediger?«
»Die Vergebung einer gebeichteten Sünde? Darüber habe ich mich auch gewundert. Sie hat ihm natürlich freiwillig und als ihrem geliebten Vater gebeichtet, sie war ja gar nicht genötigt dazu. Und sie ist bußfertig, erkennt das Leiden als Strafe ihrer Sünden an ... ja, sie verlangt sogar, sie sehnt sich nach Gottes Gericht.«
»Dann meine ich,« rief Harro, »wozu den Kirchenschlüssel? Das Grab, ach ja ... Waren das harte Menschen.«
»Ein Rätsel steckt darin, Herr Graf ... Dies ist nun alles, was ich weiß ... Den Brief zu lesen, rate ich Ihnen nicht. Ich habe ihn wieder versiegelt. Die nächsten paar Jahrhunderte mag er wieder ruhen. Und nun entlassen Sie mich. Ich sehe Ihre Durchlaucht morgen.«
Harro stieg in tiefen Gedanken hinauf und suchte zuerst seinen Freund auf.
»Hans, dein Freund, der alte Braunecker entpuppt sich als ein seltsamer Mensch.«
Hans Friedrich sah auf. »Harro, er wird nicht umsonst der Herrgottsnarr geheißen haben!«
Harro rief: »Er war auch ein Herrgottsnarr! Überläßt seine Frau den Pfaffen, daß die... es würgt mich ordentlich. Ich rate dir, Hänschen, laß nie einen Pfarrer in deinen Garten sehen, wenn du einmal verheiratet bist. Auch den allerbesten halte in einiger Entfernung. Sie bekommen gleich eine Macht... unheimlich...«
»Nun, Harro, du kannst nicht klagen. Dein Herr Stiftsprediger mit seinen schönen Liedern, seinen kurzen Besuchen.«
»Er ist ein weißer Rabe, Hänschen, und seinesgleichen gibt es nicht noch einmal. Im allgemeinen wird mein Spruch doch zu Recht bestehen. Es hat mich erschüttert. Er hat mir eine alte schauerliche Geschichte erzählt. Und die nicht wie eine andere ist, sondern die das Unheimliche an sich hat, daß sie nicht nur Menschen meines Blutes betroffen hat, sondern daß ich mir diese Menschen so genau vorstellen kann. Ich kenne sie ja und weiß, wie sie da vor dem harten Mann auf dem Lindenstamm auf ihren Knien liegt und die Steinplatten mit ihren Tränen benetzt. Gott, wie ist sie nur auf ihre armen Knie gekommen und allein wieder auf, denn der alte Mann berührt sie doch nicht, weil die Hände einem den Willen abschmeicheln können.«
»Ich glaube, der Herrgottsnarr wird sie aufgehoben und getröstet haben,« sagte Hans Friedrich, »und gesagt: Laß den alten Kirchenschlüssel, du findest die Himmelstür allein!«
»Hans, wie kommst du auf den Kirchenschlüssel?«
»Es steht auf einem der Blätter hinten mit seinem roten Stift geschrieben.«
»Dann sehe ich auch bereits schon Geister oder vielmehr höre sie, – und nun werde ich das Bild doch noch malen!«
Einundfünfzigstes Kapitel.
Die Überraschung
Und eines Abends vertraut dem Harro der Fürst: »Die Aufführung ist anberaumt auf den zehnten Oktober. Wir haben es doch so weit gebracht, sollen wir es deiner Rose sagen oder nicht? Nur der eine Tag war möglich, bis so viele Köpfe unter einen Hut gebracht wurden. Und die Sängerin ist endlich gefunden. Dein Freund verzweifelte schon daran. Sie soll noch sehr jung sein, ihr Können noch nicht auf der Höhe, dagegen eine herrliche Stimme von großem Umfang, sonst hätten alle Sopransoli verändert, verdorben werden müssen. Nun sagen wir es der Rose, oder sagen wir es nicht? Sie ist jetzt schon so musikselig, sie überfreut sich am Ende.«
»Das letztere ist sicher, Vater,« seufzte Harro. »Sie wird sich überfreuen. Vielleicht schon in Gedanken... Und wenn es geschieht, mußt du es sagen, Vater. Es ist dein großartiges Geschenk.«
»Lieber Harro, ohne deinen Freund wäre es unmöglich gewesen.«
Sie entschlossen sich, noch abzuwarten und Harro ging in den alten Fürstenstand, um zu untersuchen, wie man Rosmarie unterbringen könne. Und man fand alles sehr günstig. Die Loge angesichts der Orgel am andern Ende, der große Warteraum daneben, der zu einer Treppe führte, die ins Freie ging. So konnte Rosmarie jederzeit fortgebracht werden, ohne daß die Feier gestört worden wäre. Ganz still konnte man verschwinden. Von dem Schiff aus konnten die Leute nicht hereinsehen, nur von der weiter entfernten Orgel aus war es möglich. Das war alles sehr günstig, und Harro wurde hoffnungsvoller. Er sah sich die altersbraune Kirche mit ihren Epitaphien und Grabmälern an, sie hatten seit vielen Jahrhunderten hier ihre letzte Heimat, die Braunecker. Dort wo seine Schritte so hohl hallten, schliefen die beiden, die Heilige und ihr Narr. Der Gedanke tat ihm sehr wohl, daß nun über die Grabstätte die Töne ihrer Lebenslieder hallen würden. Es kamen ihm allerhand Gedanken, und darunter einer, der ihn plötzlich in wilder Flucht aus der Kirche jagte. Er mußte lange im Park auf und ab gehen, bis er sich wieder seiner Rose zeigen konnte.
Die Aufführung kam näher, ganz Brauneck und Umgebung sprach von nichts anderem. Das Städtchen rüstete sich wie zu einem Fest, die Wirte schmunzelten. Fräulein Berger verdoppelte sich selbst, denn die Solisten sollten alle als Gäste des Fürsten im Schlosse wohnen.
Nur die allein, der zu Ehren alles dies getan wurde, wußte nichts davon. Harros Bild war fast vollendet bis auf das Gesicht der Gisela. Stöße von Skizzen hatte er dafür gemacht und sie vor der Rose liegen lassen, aber zu allen hatte sie geschwiegen, bloß die Haltung und das nur angedeutete Haar fand ihre Zufriedenheit. Jeden Tag ging sie ihren gleichen schweren Gang, und es schien, als ob die Fürstin, wenn möglich, noch schärfer und aggressiver würde. Oder schien es Marga nur so, weil die Rose immer müder wurde? Sie weinte auch nicht mehr, aber es war, als ob es ihr zu trostlos werde, um weinen zu können.
Und heute sieht sie die Fürstin mit ihren großen sanften Augen so schmerzvoll an, daß Tante Marga unruhig wird. Und plötzlich fühlt diese Rosmaries Blick auf sich.
»Bitte. Tante Marga, ich möchte einen Augenblick mit Mama allein sein.«
Einen Augenblick zaudert sie, dann geht sie zur Türe.
Da erhebt sich Rosmarie und geht auf die Fürstin zu. Und nun – wenn das Harro gesehen hätte! – sank sie auf ihre Knie vor ihr und führte die eiskalte Hand der Fürstin