Harro stand mit blitzenden, gefährlichen Augen da, wartend, was sie jetzt sagen würde.
»Harro,« sagte sie, »es ahnt mir, daß du dies malen willst. Diesen Kindermord von Bethlehem?«
»Uli; Kindermord? Dann haben die aber lange Kinder gehabt.« Und Harro zischte: »Du bist ein ahnungsvoller Engel. Ich male das.«
»Und dann sollen die Menschen kommen und das Kind ansehen, wie es daliegt mit seinen nackten Füßchen! Nichts am Leibe als das bißchen graue Wolke! Harro, laß mich reden.«
»Uli, wenn Harro das gemalt hat, so ist es ein großes Kunstwerk geworden, ich bin es nicht mehr. Es wird leben wie die alten Bilder dort an der Wand, wenn wir zwei wie Schatten verschwunden sind. Wer denkt da noch an die Rosmarie Brauneck, die ihren Körper dazu einmal hergegeben hat!« »Ihren beseelten Körper,« warf Harro ein, »die gottgeschaffene Hülle ihrer Seele!«
»Du wirst sehen,« tröstete die Rose, »daß ich es nicht mehr bin. Es ist ein Gedicht über mich, was dort sein wird.« Sie weist auf die Leinwand. »Alles Zufällige fällt weg. Alles wird auf seine höchste Höhe erhoben. Er malt mich nicht, wie ich wirklich bin, sondern er malt den Gedanken Gottes, der in mir werden sollte. Wir sind doch alle einmal Gedanken Gottes gewesen und sollen es wieder werden. Wir entstellen und verderben uns und übermalen uns und verwachsen uns, und er holt ihn wieder aus mir heraus.«
»So, das werden wir sehen, ob er es auch kann,« sagte Ulrike. »Im übrigen seid ihr mir zu klug. Wenn du behauptest, daß du bequem liegst, so glaube ich es nicht.«
»Deshalb sollst du dich hinter sie auf das Stühlchen setzen. Ein bißchen reichlich unbequem, aber es geht nicht anders, und sollst sie unterstützen. Es muß ihr so wohl sein, als man es überhaupt machen kann.«
»Nun, das läßt sich hören.« Und die alte Dame setzte sich friedlich auf das Stühlchen und hatte bald ihr Kind so gebettet, daß die Rose meinte, besser könne es ihr nicht mehr werden.
Dann sagte Ulrike scharf: »Nun male, Harro, und ich will mein Urteil noch aufsparen, bis ich sehe, was du kannst. Ich kenne sie sehr genau, Harro, und du mußt dich schon zusammennehmen. Und du darfst die Hartnäckigkeit nicht vergessen. Du lieber Himmel, die wird sie wohl auch von Gott haben. Und all die allerschönsten Dinge, die weißt du nicht einmal, und wenn man die nicht darauf sieht, dann bist du dem Gedanken doch nicht nachgekommen.«
»So, weiß ich die nicht?« rief Harro eifersüchtig.
»Harro, du und die Tante, ihr seid eine Verschönerungskommission.«
»Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz, es gilt uns heut zu rühren des Königs steinern Herz,« summte Harro, als er seine Farben zurecht mischte, »Übrigens bitte ich mir Ruhe aus. Nur noch eins! Wenn die Rose müde wird, laß dich nicht betrügen, Uli! Weißt du, ich vergesse mich. Ich male, bis ich vom Stengel falle. Sechs Rosen halten mich nicht aus.« »Fürchte nichts für das Kind, wenn ich dabei bin,« wehrte die eiserne Dame ab.
Und Harro begann seine Arbeit. Er malte nicht wie sonst mit seinem heißen Eifer, sondern langsam und bedächtig. Er stand manchmal vor seiner Leinwand und schien zu warten, dann machte er ein paar bedächtige Striche. Und er vergaß seine Rose doch nicht wie sonst... die ja schon alle Schmerzen eines übergeduldigen Modells kannte.
Und Ulrike dachte, diese Malerei ist das allerbeste, was man der Rose tun kann. Sie ist glücklich dabei, und sie hält still, redet nicht, regt sich nicht auf, gibt sich nicht zu viel aus, spinnt keine schlimmen Gedanken aus, denn das würde er ihr ansehen. Wenn er es nicht täte, glaube ich seinem ganzen Zauber nicht. Und so floß der schöne Morgen dahin. Nur die alte Dame wurde herzlich müde, aber sie gehörte zu den alten eisernen Thorsteinern, die sich von jeher plagen konnten. Und sie wäre viel zu stolz gewesen, etwas merken zu lassen. Jeden Morgen von neun Uhr an, je nach der Rose Befinden, war Bildzeit, wie sie sagten, und alle, die sonst etwas von der Rose wollten, mußten zu der Tante großer Befriedigung draußen bleiben.
Gegen Abend machte die Rose ihren Besuch hinter der neuen Glastüre. Harro ging nicht mehr oft mit, es bedrückte ihn zu sehr, und er hatte Marga kommandiert, daß sie danebenstehe und nötigenfalls ein kurzes Ende mache.
Jeden Tag bekam die Rose zwei verschiedene Bilder von sich gemalt. Des Morgens und des Abends. Jeden Tag holte die Fürstin aus ihrem Gedächtnisschrein eine andere Untat ihrer Tochter hervor und präsentierte sie ihr. Die Rose ließ ihren schönen Kopf hängen und schwieg. Sie sagte höchstens: »Es hat mir damals nicht so ausgesehen, aber ich glaube wohl, daß du es so empfinden mußtest. Es tut mir leid, es tut mir sehr leid.« Sie kam immer mit dem gleichen ernstfreundlichen Antlitz herein, und sie verließ fast nie das Zimmer, ohne daß die Fürstin Tränen auf ihrem Gesicht gesehen hatte.
Die Tante Marga sagte zu ihrer Schwester: »Es ist höchst wunderlich, die Rose auf ihrer Anklagebank sitzen zu sehen. Bis jetzt tut Cousine Charlotte ja nichts anderes als Steine nach ihr werfen. Sie wird immer geschickter und treffsicherer. Wenn sie die Rose zum Weinen gebracht hat, ist sie erst befriedigt. Ich möchte wissen, wozu das dienen soll.«
»Ich möchte die Durchlaucht schlagen,« erwiderte Ulrike. »Es gehören ihr Ohrfeigen. Sie lechzt vielleicht danach, und wir tun es zu ihrem Schaden nicht. Dieses pädagogische Mittel, das die Neuzeit, die nichts versteht und vor weichlicher Sentimentalität sich noch die größten Grausamkeiten antut, so verachtet, hätte ich schon lange angewendet. Die Rose ahnt es und läßt mich deshalb nicht hinauf. Wenn ich auch noch sehr fühle, daß Vater mit unserer Arbeitsteilung nicht einverstanden wäre, Marga. Ich habe alle Süßigkeit und du alle Bitterkeit. Es ist ein Hohn auf alle Gerechtigkeit.«
»Da ist manches ein Hohn,« seufzte Marga. »Ich wundere mich immer im stillen über zwei Dinge. Du weißt, daß Charlotte die entsetzliche Unruhe in den Füßen immer noch hat. Nur mit Morphiumeinspritzungen kann sie ins Bett gebracht werden, und selbst dann ist morgens jedes noch so fest gestreckte Laken zusammengeballt und zerrissen. Wenn die Rose kommt und so lange sie da ist, hält sie still. Es ist sehr wunderbar, und den beiden Schwestern ist es auch aufgefallen.
Und das zweite: Ob die Fürstin wohl einmal ihren schlimmen Sack zu Ende geleert hat? Sie bringt jetzt schon recht häufig Dubletten.«
»Da kannst du in Ewigkeit warten,« sagte Ulrike finster, »mit Variationen und Beleuchtungseffekten dressiert sie ihre Ladenhüter immer wieder auf. Sie wird noch an der Arbeit sein, wenn die Rose sie längst nicht mehr hört. Und ich frage mich jeden Tag, wozu! Aber man muß sie machen lassen.«
Fünfzigstes Kapitel.
Von Heinz und Gisela
Nun beginnen die schönen Musikabende in Brauneck. Hans Friedrich war angekommen, und der Steinwayflügel der Fürstin in den Saal geschafft worden. Dort konnte sich sein Klang großartig entfalten, und der Ort war auch am günstigsten für die Rose. Eine herrliche leichte Luft war immer drinnen, die altmodischen Riesenöfen waren mit Holz geheizt, und dazu standen die Fenster offen. Und Rose konnte Musik viel besser ertragen, als man gedacht hatte, und allmählich begann auch Harro, dem gewagten Plan des Fürsten und seines Freundes ein wärmeres Interesse zu schenken. Der Künstler weihte sie in den Aufbau des Werkes ein, er spielte ihnen einige Teile daraus vor, erklärte die Motive, die Art der Ausführungen. Die klingenden Seelen des Heinz von Brauneck und der Gisela schwirrten wieder durch die alte Heimat, durch den Saal, wo einst die kleine Hausorgel des Grafen von Brauneck gestanden hatte. Die Rose vergaß alles über dem Zuhören, sie lebte so lange in einer höheren Welt, aus der sie zuweilen fast schmerzlich wieder zurückkehrte. Harro taktierte häufig seinen Viervierteltakt in die Reden seines Freundes hinein, wenn die Gisela allzusehr die Züge von Rosmaries Dämon annahm.
Einmal sprach er vorsichtig mit dem Herrn Stiftsprediger darüber. Er stand ihm ja immer noch fremd und mißtrauisch gegenüber. Die Rose empfing ihren Lehrer auch nie wieder ohne ihren Mann. Und Harro mußte selbst gestehen, daß der geistliche Herr seine Reservatrechte