Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: О. Генри
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9788075834942
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Und eilt aus dieser Welt.

      Die Violinen und Harfen und Flöten schwollen an wie zu leisem Brausen, als rauschten dunkle Fittige herbei. Eine seltsame Kühle ergriff das Herz Harros, er blickte nach seiner Rose, ihre Lippen waren ganz weiß geworden.

      Da glänzte die Stimme des Sängers auf wie der erste Lichtstrahl am Morgen:

      Propheten groß und Patriarchen hoch,

       Auch Christen insgemein,

       Die weiland dort trugen des Kreuzes Joch

       Und der Tyrannen Pein.

      Schau ich in Ehren schweben,

       In Freiheit überall,

       Mit Klarheit hell umgeben.

       Mit sonnenlichtem Strahl.

      Die Rose lächelte wieder wie befreit, Harro hörte nichts mehr. Sein Ohr war verschlossen, sein Auge aufgetan. Er sah eine Seligkeit auf dem zarten Gesicht seiner Rose aufgehen, ihre Augen wurden groß und dunkel, doch war ihm nicht angst, daß sie sich überfreuen möchte. Wie holdselig sie war, wie schön die bläulichen Schatten an den Schläfen.

      Zum erstenmal verschmolzen die Stimmen der Sängerin und des Sängers. Sie jubelten und jauchzten, eine kleine Flöte hielt wie Nachtigallengesang die Melodie des Liedes über dem Zwieklang der erlösten Seelen fest. Und nun endlich trat der Chor hervor, zuerst die Knabenstimmen, dann die Frauen- und Männerchöre. Unendlich brauste der Jubel der Erlösten, es donnerte die Orgel, daß die Fenster der alten Kirche leise erzitterten, und es erzitterten die Herzen, über die der Wonnesturm der Seligen dahinschauerte.

      Nur ein Herz erzitterte nicht. Mit weit offenen Augen lag die Rose da, hinaufgetragen von den Klängen an die selige Pforte.

      Harro saß neben ihr und sah sie an. Sie war selig, sie war ihm fremd. Es war, als hätte er keine Gemeinschaft mehr mit ihr. Da erschütterte ein Seufzer die breite Brust, als eben der letzte Ton verklang. Den herrlichen Schlußchor hatte er ungehört an sich vorüberrauschen lassen.

      Es war dunkle Nacht, als sie heimfuhren, die Rose war freudensatt und müde.

      Dreiundfünfzigstes Kapitel.

       Unter dem Schleier der Gisela

       Inhaltsverzeichnis

      Sie hatten wieder Musik gemacht, Harro seine Rose wieder hinübergetragen und Uli hatte sie zu Bett gebracht. Und sie sahen beide, daß es keine gute Nacht geben würde. Schon zum dritten Male bettete die alte Dame die Kissen um, und immer noch waren sie nicht recht, sondern hart und unbequem.

      »Uli, du mußt mich schon glatt hinlegen, daß ich ruhen kann, und nicht in meinem Rücken solche harten Dinge anhäufen, du machst es doch sonst immer so lieb.«

      Nun kam Harro herein, und sie streckte ihre Hand nach ihm aus.

      »Sieh du, ob du mich nicht recht hinlegen kannst, ich quäle die arme Uli, oder nimm mich in deinen Arm, nur ein wenig, Harro.«

      »Rose, ich fürchte, es liegt nicht an den Kissen, es liegt an deinem armen Rücken.«

      »Nimm sie, Harro, und versuche es.«

      Aber die Rose ist immer noch nicht zufrieden. Sie fühlt ja deutlich Harros Manschette durch die Kissen hindurch, unerträglich steif und hart ist die.

      Harro sagt freundlich: »Heut bist du die richtige Prinzessin auf der Erbse. Ich will aber schnell mein seidenes Hemd anziehen, dann brauche ich auch vor Tante Uli Rock und Weste nicht, und dann muß es weich sein.« Und er läßt sie sanft herabgleiten und geht hinüber.

      Er zog ein rotseidenes Hemd mit weichem Kragen an, aus dem sein feiner durchgeistigter Kopf so schön aufstieg, und sie sagte lächelnd:

      »So schön bist du und so schlimm ist deine Rose.«

      »Nun komm, Rose, jetzt wollen wir dir's aber leicht machen.«

      Einen Augenblick ruhte sie in ihres Mannes Arm, dann fing die Unruhe von neuem an.

      »Harro, durch das viele Treppenschleppen mußt du sehr starke Muskeln bekommen haben oder ist's durch dein Steinbehauen?«

      Er neigte sich sanft über sie: »Und nun drücken dich die Muskeln, willst du sagen, Rose. Der Mann hat einen steifenharten, unbequemen Arm.«

      Ulrike bittet: »Wir machen dir eine Einspritzung, Kind, du weißt, der Herr Hofrat hat gar nichts dagegen.«

      »Ach, laß sie damit,« bat Harro, »die Ruhe, die sie dann hat, ist nur für uns angenehm. Sie hat doch immer die schrecklich mühseligen Träume und kann sich nicht besinnen.«

      »O Gott,« seufzte die Rose, »Harro hat recht, es ist doch mein Rücken.«

      Ulrike sah, daß Harros Arm zitterte, sie flüsterte: »Geh hinaus, Harro... sie liegt auf ihren Kissen ebenso.«

      Er ging hinaus auf den Lindenstamm und starrte zu den schwarzen Berglinien und zu dem sternbesäten Himmel empor. Es war eine laue Nacht und der Wind trug einen leisen Veilchenduft von den Beeten unten zu ihm empor.

      »So wird es nun. Das war alles bisher nur ein Vorspiel.« Er dachte an die Nacht, wo ihm sein Sohn geboren ward. »Die Höllenhunde,« murmelte er. »Da sind sie wieder!« Er warf seinen Kopf zurück und ging wieder hinein.

      Ach die unruhige, die jammervolle Qual da innen. Sie schickten nach dem Hofrat, er verordnete eine Einspritzung, und dann holte man ihn zu einer Frau ... Das Morphium erregte nur noch mehr und machte sie dazu noch halb stumm... sie konnte nicht mehr sagen, was sie wollte, und nur in ihren verschleierten Augen lag ein so verzweifeltes Flehen um Hilfe, um Trost, um irgend etwas, das der andern verzweifelte Liebe doch nicht geben konnte.

      Ulrike hat das schwarze alte Buch von Märts Mutter in die Hand genommen und las mit heller Stimme daraus vor, die Lieder, von denen sie wußte, daß die Rose sie liebte. Aber für die heutige Nacht schien keines gedichtet zu sein.

      »Dieses Mittel, dieses fürchterliche Mittel!« stöhnte Harro, »wie macht es stumm, daß sie ihre Leiden nicht mehr klagen kann, und das heißen wir dann eine Wohltat. Sieh doch ihre Augen an, hat sie je so ausgesehen? Ich ertrag es nicht, ich ertrag es nicht. Es macht mich wahnsinnig, wenn ich den Blick länger aushalten soll.«

      »Geh hinaus, Harro, sie hört dich...«

      »Nein, sie hört mich nicht, sonst würde sie nach mir sehen.«

      Er geht wieder hinaus in die Sternennacht unter die Linde, in der der Wind singt. Herrlich duften die Veilchen... drüben am Wald hängen die weißen Nebelschleier, ach so schön und friedlich ist die Gottesnacht, und er hat eine solche Hölle im Herzen! »So wird die Rose vollends vergehen, verschmachten. Ihr letztes Leiden hat begonnen. Sie ist ja noch so jung, und es ist alles in ihr gesund, da wird sich die Natur bitter wehren gegen das Aufhören. Warum läßt du deine Kinder, dein sanftes, liebevolles Kind so bitter leiden? Du unbegreifliche Gottheit. Warum, warum...?«

      Er geht wieder hinein. Ja, nun erkennt ihn die Rose..., sie flüstert seinen Namen und »Das nicht wieder tun, nie wieder!« Und nun weichen die giftigen Nebel von ihr und die entsetzliche Unruhe vertreibt den letzen Rest der Betäubung. Ihre dünnen Hände klammern sich an seine Brust, er muß ihr ja helfen können, er muß. Ihre feinen Haare kleben an den Schläfen und ihre Lippen zittern fortwährend, und vom Schlag ihres Herzens zuckt der ganze Körper.

      Der Wind ist stärker geworden und im Nebenzimmer öffnet sich leise die große Tür auf den Lindenstamm. Kommt da nicht jemand herein? Ulrike und Harro sehen hinaus. Das Licht fällt hell in das Zimmer, das alte Lernzimmer. Aber da ist niemand. Und doch ist's ihnen beiden, als wäre jemand hereingekommen.

      Harro flüstert: »Ulrike, was ist das?«

      Es ist totenstill, nun hat auch der Wind aufgehört Und die Rose liegt plötzlich ruhig, ihre Hände lösen sich von seiner Brust, ihr Haupt sinkt zurück. Ihre Augen sind wieder sanft geworden,