Die Fürstin zuckte unaufhörlich zusammen.
»Laß mich,« ächzte sie, »ich will deine Hände nicht, ich will dein Mitleid nicht und deine frommen Redensarten, ich hasse dich... ich verfluche dich. Du mußt sterben, und wenn du tot bist, dann werde ich befreit sein.«
Rosmarie erhob sich sehr mühsam und ging hinaus. Am Abend sagte sie zu ihrer Mutter Ulrike: »Uli, heute habe ich bei Mama wieder alles verdorben, was ich bis jetzt getan habe. Ich habe dem Herrn Stiftsprediger nicht gehorcht und habe, obgleich er es mir verboten hat, doch zuerst von unserem Jammer, meinem und Mamas, gesprochen. Nun ist mir, wie wenn ich erst vom Goldhaus gekommen wäre. Ich muß von vorne anfangen. Ich bin so traurig, daß ich nicht einmal weinen kann.«
Ulrike machte keine Trostversuche. Sie sagte: »Wenn du eine andere Methode anwenden wolltest...!«
Aber davon will die Rose nichts hören. Und am nächsten Tag geht sie wieder hinauf. Heut kann sie die paar Schritte nicht gehen, sondern Märt und die Schwestern tragen sie herein.
Aber mit der Fürstin ist eine schreckliche Veränderung vor sich gegangen. Sie ist weiß und wie von einer schrecklichen Angst gequält. Sie erwidert den Gruß der Tochter ohne jede schlimme Bemerkung. Sie wendet sich an die Marga: »Ich will allein mit ihr sein.« Und diesmal geht Marga sofort.
»Rosmarie,« sagt die Fürstin mit unterdrückter Wildheit. »Du, du hast es getan, du hast mit deinem Mann geredet, du wirst es tun, du – – –«
»Nein, ich werde es nicht tun, Mama.«
»Wie lange nicht?«
»Ich sehe keinen Grund ein, warum er es wissen müßte.«
»Du hast dir das ausgedacht, mich zu foltern, du hältst immer das Schwert über mich, jeden Tag kannst du es fallen lassen. Du weißt das, und daß du nichts Schrecklicheres ersinnen könntest.«
»Mama, dein Herz ist noch kränker als das meine. Ich habe meinem Mann nichts davon gesagt, weil ich weiß, daß es ihn sehr schmerzlich treffen würde, das alles... und er leidet genug.«
»Du lügst, Rosmarie, du hast schon öfter gelogen...«
»Mama, ich will Marga rufen, wenn du erlaubst; ich komme ja morgen wieder.«
»Wirst du es heute nacht deinem Mann sagen?«
»Was hat meine Antwort für einen Wert, wenn du es mir doch nicht glaubst?« »Ich glaube dir ja... wirst du heute noch schweigen?«
»Ich habe es dir schon einmal gesagt, Mama. Und du solltest wissen, daß ich schweigen kann.«
Die Fürstin legte ihren Kopf auf den Tisch und sprach nichts mehr, und Rosmarie ließ sich hinuntertragen. Am Abend erzählte die Rose.
»Heute haben wir hundert Schritte vorwärts gemacht. Ich hoffe wieder.«
Nun kann man es der Rose nicht mehr verbergen, der große Tag kommt so nahe heran. Tante Helene kommt heute abend, die so schwer etwas bei sich behalten kann, und Fräulein Berger schmückt das Zimmer des Soprans mit einem schönen Herbststrauß.
Im Saal ist heute abend wieder Musik. Er sieht nicht mehr so feierlich aus, der Saal, es ist ein so buntes Leben unter den alten Bildern. Harros große verhüllte Leinwand, das alte Fellpferd, auf dem Seelchen ihre ersten verunglückten Reitkünste machte und auf das sich der kleine Heinz jetzt schon hinauf traut, wenn er auch noch nicht selbst hinauf kommt, Rosmaries Chaiselongue, der Flügel, das Malgeräte, große Rosen mit goldgelben Buchenzweigen und den herrlichen tiefroten Blättern des amerikanischen Ahorns, Teetischchen und Tante Ulrikens Strickkorb, der in seiner Größe zu ihr paßt. Auch Tante Marga ist da und erholt sich in einem bequemen alten Lederstuhl.
Der Unruhgeist Harro wandelt hin und her, er wird nur durch Musik gebändigt. Der Fürst hat auch einen tiefen Stuhl links von seiner Tochter, rechts von ihr liegt ein Teppich auf dem Boden, auf den sich Harro in höchstem musikalischem Entzücken ausstrecken kann. Der Fürst sieht liebenswürdig über diese Extravaganz hinweg, sein Schwiegersohn ist ja längst in allem über ihn hinausgewachsen, und einen Fehler findet er nicht mehr an ihm. Alfred wendet mit großer Gewandtheit Noten um und weiß stets, welches Buch gewünscht wird. Er ist fast wieder gesund, hat aber etwas Scheues, Gedrücktes zuweilen und manchmal Kopfhängerisches... sein armer Leichtsinn hat eine gar so harte Kur erfahren. Und sie behandeln ihn alle mit der größten Zartheit und Freundlichkeit. Selbst Ulrike ist fast schmelzend mit ihm. Es ist, als ahnten alle, daß er eine andere Behandlung noch nicht erträgt.
Die Rose hat natürlich den besten, schönsten Platz, nicht zu nahe und nicht zu weit vom Flügel, und Harro hat wieder ein sehr schönes Stilleben aus ihr gemacht. Ein wenig muß er doch noch mit ihr spielen, und seine Künstlerhände können nicht anders, als das genau passende Kissen heraussuchen und den Falten ihres Kleides – eine Decke hat sie fast nie – den denkbar schönsten Wurf geben. Und wenn musiziert wird, hält sie auch so schön still. Es liegt heute auf allen eine gewisse erwartungsvolle Feierlichkeit. Der Fürst wird ja sein großes Geschenk überreichen. Er will es auf einen Zufall ankommen lassen, aber er ist überstimmt worden. Sie werden alle schweigen, wenn die Rose etwas merken sollte. Die Rose fühlt, daß etwas in der Luft liegt, aber sie hat heute sehr viel zu denken und zu sinnen, sie wartet. Sie werden es ihr schon sagen.
Und nun setzt sich Hans Friedrich mit einer leichten Verbeugung gegen die Damen ans Klavier und bittet um Vorschlüge.
»Rose, was willst du?« fragt der Fürst.
Sie sagt: »Am allerliebsten höre ich aus dem Chorwerk, Vater. Aber ich fürchte, euch wird es langweilen, immer nur Motive und einzelne Stimmen zu hören oder Begleitung ohne Gesang.«
»Wenn wir noch eine Geige hätten,« wirft Harro ein als Lockvogel für ihre Gedanken.
Und sie folgt ihm gehorsam und sagt lächelnd: »Und eine Harfe, Harro, und Cello und Knabenstimmen, und soll ich weiter machen?«
Alle fühlten, daß der große Augenblick herannaht.
»Na,« ruft die Tante Ulrike, um den Fürsten zu ermuntern. Man hat lange von ihr kein so munteres »Na« gehört.
»Bitte, mach weiter, Rosmarie,« sagt der Fürst.
»Und den Frauenchor und die große Orgel und den Heinz und die Gisela für die Soli.« Sie lächelt. »Ach, wäre doch etwas hier an den Wänden hängen geblieben, hier haben sie ja gesungen. Der Schönste und Sie. Er warf seinen Kopf zurück und rückte ihr ein kleines Stühlchen unter ihr linkes Knie. Warum er das tat, weiß ich nicht... Darauf kniete sie dann. Seine Geige hatte er im Arm und er nickte ihr zu: »Taktiere ein wenig« und dann begannen sie.«
Sie hatten ihr alle zugehört, wie sie ihren feinen Faden spann mit heller, weicher Stimme – plötzlich unterbrach sie sich. »Ach, nun red ich, und wir wollen doch Musik hören...«
Hans Friedrich begann leise das Präludium zu dem ersten Chor: Jauchzet dem Herrn! und nun fühlt der Fürst, daß der erwartungsvollen Blicke, die sich auf ihn richten, zu viele werden.
Er sagt: »Liebe Rosmarie!« und hält sofort inne.
Nun hat sie aber etwas bemerkt. »Oh, was habt ihr?« ruft sie hell auf, »ihr seid ja so wunderlich, ich seh's euch an. Ihr wollt mich überraschen. Ihr habt eine Geige!«
»Vater,« ruft Harro, »auf dem Ton machst du weiter.«
»Liebe Rose, wir haben allerdings eine Geige –, wir haben auch Knabenchöre und Celli, nur leider den Heinz und die Gisela haben wir nicht, du wirst also nicht ganz befriedigt sein, aber du mußt eben vorlieb nehmen ...«
Harro klatscht in die Hände: »Wunderschön gesprochen, Vater! Nun, Rose. Ich bitte dich, tu, was du willst, aber versteine nicht und überfreu dich nicht, du hast selbst den Schaden.«
»Aber Vater, wo hast du die Knabenchöre?« fragte sie ganz benommen.
»Sie kommen morgen. Morgen ist große Probe am Vormittag, und den Nachmittag wollen wir die Aufführung haben, in der Kirche,