Die Lippen der beiden begegneten sich im Kusse, fuhren aber sogleich, wie im höchsten Schrecken über solch ein ungeheuerliches Wagstück, schnell auseinander, und die Maid schob die ganze Schuld auf den Buben und rief leise:
»Ach böser Klaus! Wie konntest du …«
Sie sprach nicht weiter, denn der Knabe zog sie tiefer in den Schatten; sie schob nur, wie gesagt, die Schuld des süßen Wagstückes dem Klaus allein zu, und das war ihr Mädchenrecht, und der Klaus nahm auch alle Verantwortung auf sich.
In dem katholischen Pfarrhause drüben erlosch in demselben Momente das Licht. Der Vikar Festus trat aus der Tür, schritt langsam gegen den Fluß hinab, tauchte die heiße Hand in die kalte Flut und benetzte damit die glühende Stirn. Er erzitterte dabei, richtete das dunkle Auge auf und sagte ebenfalls: »Monika!«
Wiederum erzitterte er am ganzen Körper. Seine Zähne schlugen zusammen wie im Fieberfrost. Er wußte, daß er sündige, indem er den Namen eines Mädchens auf solche Weise aussprach – und doch wiederholte er: »Monika!«
»O du böser Klaus«, flüsterte auf der andern Seite der Weser das ängstliche Kind, »ich habe es also doch wieder gewagt?«
»Wieder gewagt? Was gewagt? Hieher zu kommen? mich zu sehen? Ach Monika, wie du wieder sprichst!«
»Ich fürchte mich so sehr! Wenn der Vater es merkte, der Vater, den du so sehr gekränkt hast? Und schau nur den Stern, den Schweifstern da oben. Sie sagen, er bedeute so viel Unheil. Ach Klaus, wenn er uns nur nicht auch Unheil und Schmerzen droht!«
»Ach, laß nur den Vater und den Stern. Was können sie uns tun, wenn wir uns nicht auseinander bringen lassen? Und da ist keine Not; denn wir haben uns ja tausendmal versprochen, daß nur der bittere Tod uns scheiden soll. Freilich würde mich der Vater schön vornehmen und aushunzen, wenn er mich hier auf seiner Gartenmauer ertappte; aber er sitzt ja ruhig über seinen dicken Büchern, um welche wir in Unfried auseinander kommen sind. Und was den Stern angeht – na, da sind alle die alten Weiber noch schlimmer, welche so viel Böses und so viele Lügen über mich umtragen und sagen, ich sei ein Taugenichts, ein Nichtsnutz, ein Galgenstrick und noch viel was Schlimmeres! Aber dafür kann ich doch nichts und – ach Monika, ich wäre noch viel – viel böser, wenn, wenn – du – du nicht so gut wärst!«
»Was böse? Was gut?« fragte urplötzlich eine wohlbekannte Stimme hinter den beiden jungen Leuten. Monika stieß einen Schrei des Schreckens aus; der Jüngling fuhr unwillkürlich drei Schritte zurück, bis an die Mauer: Ehrn Valentin Fichtnerus, der gestrenge Pastor von Holzminden, stand zwischen den beiden Liebenden und griff erzürnt nach der Hand seiner Tochter.
»Was gut? Was böse?« wiederholte er und fuhr fort: »O Gott, heiliger Gott im Himmel! ist es denn eine Wahrheit, daß mein eigen Kind mein graues Haar zum Gespött der Welt machen will und mit einem solchen Buben buhlt in dunkler Nacht?«
»Halt«, rief hier der junge Mann in die Rede des Alten und trat die drei Schritte, welche er zurückgewichen war, wieder vor. »Haltet, Ehrwürden! Eure Tochter, meine liebe, liebe Monika treibt nicht Spott mit Euren weißen Haaren, und ich bin auch kein loser Bube, wenn ich gleich das Latein nicht bei Euch erlernen konnt und mich nicht zum Schulmeisterlein machen lassen wollt, wozu ich schon im Mutterleib verdorben gewesen bin, allwo ich schon nicht hab stillsitzen können. Ich will sprechen – Monika – Monika, sage du ihm, daß du mich lieb hast und mich lieb haben wirst bis zum letzten Gerichtstage und drüber hinaus! Sage du ihm, daß ich gut sein und gut tun will –«
Mit ganz veränderter Stimme fuhr der alte Pastor in die sich überstürzenden Beteuerungen des jungen Mannes hinein. Der Zorn, welcher ihn ob der Aufdeckung des längst geahnten verstohlenen Liebeshandels überkommen hatte, war bereits verraucht; der Pastor griff die Sache jetzt beim rechten Zipfel an. »Und ich sage dir, Klaus Eckenbrecher, daß meine Tochter, die Monika Fichtnerin – mit mir – in das Haus gehet und dich jungen Naseweis und Hansaffen, welchem noch nicht das Gelbe vom Schnabel gewischet ist, hier stehenläßt auf einem fremden Grundstück, bis der Flurschütz dich mitnimmt als einen Gartendieb und dir frei Losament im Turme anweist. Vale, wenn du’s kannst, du ungeratener Knabe! He, du Dummkopf willst wohl deine Frau ernähren mit deinem Fischfang und Vogelfang? Gedenk an den alten Spruch:
Drei Jäger, drei Fischer, drei Vogelsteller
Könn’n nicht ernähren ein’ Müßiggänger.
Genug davon – und nun fort ins Haus mit dir, du Gänselein, daß nicht ein Schnupfen auf dich falle in der Nachtkühle. Ich will dir auch ein Sprüchlein sagen:
Halt dich rein und acht dich klein,
Sei gern mit Gott und dir allein,
Mach dich nicht gar zu gemein,
So bist ein frommes Jungfräulein!
Ergo, laß den Burschen stehen, bis er hinter den Ohren trocken worden ist! Ins Haus mit dir!«
»O haltet, haltet, Herr Pastore!« rief Klaus Eckenbrecher. »Höret mich erst an; denn ich verspreche Euch, Ihr sollt mich nicht wieder anschauen in langer, langer Zeit.«
»O Klaus?!« flüsterte die arme Monika.
»Halt den Schnabel, junges Ding!« sprach aber der Alte und wandte sich noch einmal halb zurück gegen den Knaben: »Deine Bedingung ließe sich hören. So sprich denn!«
»Nun also, sehet, ehrwürdiger Herr, Euer Töchterlein, die Monika, die hole ich mir heim, das stehet so fest als Gottes Erde – das ist das erste! Und nun sehet, dort oben zieht der grimmige Stern, welcher Mord, Brand, Krieg und wieder Krieg ankündigt, – und nun schauet hier meinen Arm, welchen der stärkste Mann nicht biegt, wenn ich’s nicht will, welchen ich mir aber abhacke, wenn die Monika es verlangt und darum bittet – und hier meine Hand sehet. Mit diesem Arm und mit dieser Hand will ich mir meine holde Braut, die Monika, erobern, und der liebe Gott wird mir dazu helfen, denn ich bin wahrlich nicht so schlimm, als man mich hält hier in Holzminden, allwo ich’s auch satt, übersatt habe. Das ist das zweite.«
»O Klaus, Klaus!« rief schluchzend Monika; aber der Pastor lachte:
»Lirum, larum, das ist alles Wäscherei. Da also läuft’s hinaus? Recht, folge nur des Teufels Heertrummel, denn das ist doch der langen Rede kurzer Sinn! Merke dir aber, daß ein allzu großes Maul noch niemalen was Rechtes erschrieen hat. Ich will nichts weiter hören, – komm Monika. Das ist das dritte und letzte.« Damit faßte der Pastor sein händeringendes Töchterlein, welches noch einmal gegen den Geliebten zueilen wollte, bei den Schultern und schob es vor sich her, dem Haus zu, wobei er sagte:
»Geh, geh, du dummes, einfältiges Dirnlein. Laß den Buben laufen, der nur im großen Teich gut zu fischen vermeint. Hei, mit seiner starken Hand will er dich erobern. Laß es ihn versuchen; es ist wieder ein altes Wort:
Wer nach ein’m güldnen Wagen ringet,
Vielleicht davon ein Rad erzwinget.
Verlier den Mut nicht, Monika; aber voran mit dir und sorge für das Nachtmahl und bitte Gott, daß er dich und den Burschen erleuchte und euch zeige, was für Kinder ihr seid, alle beide.«
Damit verschwand der Pastor samt seinem weinenden schönen Kinde im Hause. Klaus Eckenbrecher hörte mit wirbelndem Kopf und Herzen, wie der Türriegel vorgeschoben wurde, und stieß dann einen gewaltigen Seufzer aus. Ein Schwindel ergriff ihn, er mußte sich niedersetzen auf die Gartenmauer. Er ließ die Beine baumelnd herabhängen und hatte trotz seinem großen Mute die allergrößte Lust, bitterlich zu heulen, und mußte sich sehr zusammennehmen, daß er nicht durch einen raschen Sprung in die Weser seinem Kummer ein Ende machte und sich auf immer abkühlte von Liebesglut und Liebespein.
Drüben am linken Ufer ging noch immer der Bruder Festus auf und ab, seufzte und sagte:
»Monika!«
Der große Komet aber stieg immer höher am dunklen Nachthimmel, und die Wasser unten