Als alle im Haus waren, schloss Cade die äußere Tür ab. Um sie zusätzlich zu sichern, hatte er ein weiteres Bolzenschloss eingebaut. Dieses würde zwar keinen entschlossenen Einbrecher abhalten, den Einbruch aber zumindest verzögern.
Sobald sie im Haus waren, entspannten sich die Jungen etwas und waren dankbar, als Cade ihnen etwas zu essen anbot.
Während er Marmeladenbrote zubereitete, stellt er sich dem älteren Jungen vor. »Ich bin Cade.«
Mit einem verstohlenen Blick antwortete der größere Junge knapp. »Leo.«
»Und wie heißt dein Bruder?«
»Er heißt Isaak, wird aber Ike genannt.«
Ike hatte einen Rundgang durch das Wohnzimmer gemacht, während sich Cade und Leo unterhielten. Als er in die Küche zurückkam, fragte er: »Wer sind das kleine Mädchen und die Frau auf den Fotos über dem Kamin?«
Da er keine Einzelheiten erzählen wollte, sagte Cade nur: »Meine Frau und meine Tochter.«
Aber Leo führte das Verhör fort. »Wo sind sie jetzt?«
»Sie sind in South Carolina, wo sie die Eltern meiner Frau besuchen.«
»Warum bist du nicht mit ihnen gefahren?«, hakte Ike nach.
»Ich hab hier noch allerhand zu erledigen.«
Das Gespräch abrupt beendend, nahm Cade die Fernbedienung und schaltete den Fernseher ein. Als der LCD-Flachbildschirm hochlief, sagten die stummen Bilder des Gemetzels und der Plünderungen mehr als Worte. Sie schauten sich die Bilder des stumm geschalteten Fernsehers an, bis das Oval Office des Weißen Hauses gezeigt wurde, in das der Präsident eintrat und in seinem feudalen Sessel Platz nahm. Dies war inszeniert worden, um das amerikanische Volk zu besänftigen. Den Mann in seinem gemütlichen Büro sitzen, statt ihn stehen und von seinem allgegenwärtigen Teleprompter ablesen zu sehen, sollte eine psychologisch beruhigende Wirkung haben. Bei Cade jedoch wurde das Gegenteil erreicht. Er konnte es zwar nicht genau definieren, aber irgendetwas fühlte sich in dem Szenario nicht richtig an.
Cade stellte den Fernseher lauter, um die Vorstellung von Bernard Odero durch den Moderator zu hören. Der Präsident begann mit der Mitteilung an das Fernsehpublikum, dass er gezwungen gewesen war, den Kriegszustand in Washington D. C. zu verhängen. Es war die erste Stadt mit Anzeichen der ansteckenden Krankheit gewesen. Auch andere Gebiete des Landes waren von der Ansteckung betroffen. Los Angeles, San Francisco/Oakland und San Diego waren die an der Westküste am stärksten betroffenen Städte. Er trug eine lange Liste von Midwest-Städten vor, einschließlich Chicago, seiner Heimatstadt. Auch die gesamte Ostküste der Vereinigten Staaten – von Florida bis Maine – kämpfte gegen die Epidemie. Der Luft-, See- und Eisenbahnverkehr war bis auf Weiteres eingestellt worden. Anfangs hatte sich die Krankheit durch die Hochgeschwindigkeitstransporte so rasant verbreitet, während der Krankheitsausbruch in den einzelnen Orten scheinbar von den Krankenhäusern ausging und sich dann in die Gemeinden ausdehnte. Präsident Odero betonte, dass alle Ressourcen eingesetzt wurden, um die Ursache des Ausbruchs und ein Gegenmittel zur Heilung zu finden.
Während der Rede des Präsidenten wurde am unteren Rand des Fernsehbildschirms eine Liste der bereits betroffenen Staaten eingeblendet. Die Liste war nicht kurz.
Präsident Bernard Odero beendete seine Rede mit der eindringlichen Bitte an das amerikanische Volk, zu Haus zu bleiben und Stärke zu zeigen. Er versprach, dass die Regierung das Volk nicht enttäuschen werde.
Cade bemerkte, dass Odero am Ende seiner Rede Gott nicht erwähnt hatte. Aufgrund seiner absoluten politischen Korrektheit war dies vom Präsidenten nicht anders zu erwarten gewesen. Cade wusste, dass dies die perfekte Krise wäre, die Oderos Berater nicht ungenutzt verstreichen lassen würden, wie einige in der Regierung des Präsidenten gerne sagten. Seit den Anschlägen von 9/11 versuchten die Mitglieder beider politischer Lager sich mehr Macht zu nehmen und die Freiheit des Volkes zu beschneiden. Ein Ereignis wie dieses erlaubte ihnen sicherlich freie Hand bei der Durchführung von Verfassungsänderungen, die sie für notwendig erachteten. Was den Kriegszustand in Portland anging, war er sicher, dass sich dieser bereits am Horizont abzeichnete.
Die Tatsache, dass sich der Präsident überhaupt noch im Distrikt Columbia aufhielt, verwunderte Cade. Außerdem überraschte ihn, wie die am stärksten geschützte Stadt in der Welt so schnell von den umherlaufenden Toten besiegt werden konnte. Ein Wort kam ihm direkt in den Sinn: Rom.
Nachdem der Präsident seine traurige Rede beendet hatte, wurde der Kopf eines Reporters vom Weißen Haus im Fernseher gezeigt. Er erklärte, dass der Präsident und seine Familie an einen sicheren und geheim gehaltenen Ort umziehen werde, bis man die »unbekannten Bedrohungen, denen unsere Nation gegenübersteht«, im Griff habe. Im nächsten Beitrag des Reporters ging es um Immigration und Grenzen. Scheinbar brauchte der amerikanische Präsident eine Pandemie biblischen Ausmaßes, um endlich Rückgrat zu zeigen und die südliche Grenze mit Mexiko abzuschließen. Zwischen San Diego und Tijuana am Grenzübergang waren Hunderte von Personen auf beiden Seiten von kannibalischen Infizierten angegriffen worden, was zu Hunderten Toten geführt hatte. Die Hauptstadt, Mexico City, war ein einziges Blutbad. Im Vergleich zu der Gewalt, die die Infizierten der Bevölkerung zufügten, wirkte der mexikanische Drogenkrieg wie ein Kinderspiel.
Den ganzen Tag über berichteten die Moderatoren auf allen Nachrichtenkanälen von einem tödlichen neuen Grippevirus, der vorher noch nie aufgetreten war. Der Fox-Nachrichtensprecher sprach von einer ausgeprägten Pandemie, welche die Nation überrollte. Jeder, der von einem Träger gebissen wurde, war infiziert, was letztendlich – meist sehr schnell – zum Tod führte. Manchmal dauerte es Stunden. Im Wesentlichen aber wurde betont, dass die soeben Verstorbenen, nachdem sie der Infektion erlegen waren, wieder zum Leben erwachten und alles Lebende, auf das sie trafen, angriffen. Durch die Infektion bekam der betroffene Patient nicht nur hohes Fieber und Halluzinationen, sondern neigte auch zu Gewalttätigkeit. Nach unbestätigten Berichten gab es einige Fälle, die in mörderischer Gewalt geendet hatten und zu Kannibalismus ausgeufert waren. Zum Abschluss fügte der Reporter hinzu, dass – wie Cade bereits selber herausgefunden hatte – man die Untoten ausschließlich durch Zerstörung ihres Gehirns töten konnte.
Kannibalismus – das Wort allein reichte aus, dass Cades Nackenhaare zu Berge standen, besonders nach den Ereignissen an Teds Haus. Cade schaltete den Fernseher aus und ging nach oben ins Büro, um sein Telefon zu holen. Dabei kam er an der Wand mit den zahlreichen Fotos vorbei, die seine Familie in guten Zeiten zeigte: Skifahren, Zelten, Urlaube und Meilensteine in der Schule. Cade spürte einen Kloß in seinem Hals. Seine Augen blieben an dem Foto hängen, das sie drei gemeinsam auf Mound Hood während eines Familienskiausflugs zeigte. Ravens und Brooks lächelnde Gesichter brannten sich in seinem Gedächtnis ein. In diesem Augenblick entschied er, dass es an der Zeit war, Portland zu verlassen und zu seiner Familie zu fahren.
Kapitel 7
Tag 2 - Southeast Portland
Seit dem Ausbruch gab es so gut wie keine Mobilfunkdienste mehr; auch DSL und das Festnetz waren zusammengebrochen. Mit energischem Gesichtsausdruck ergriff Cade sein Telefon und tippte Brooks Handynummer ein. Ein Besetztzeichen summte in seinem Ohr. Als er auf die Anzeige seines Telefons schaute, war er nicht überrascht, weder neue Nachrichten auf der Mailbox noch SMS erhalten zu haben. Spontan versuchte er nochmals, Brook auf ihrem Handy zu erreichen und war erleichtert, letztendlich zumindest auf ihre Mailbox sprechen zu können, auf der er eine kurze unzusammenhängende Mitteilung hinterließ.
»Hier ist Cade. Ich mache mir Sorgen um eure Sicherheit. Wie geht’s deinem Vater? Vielleicht hat er sich angesteckt. Seid vorsichtig. Eine ernst zu nehmende ansteckende Krankheit macht sich breit, die durch Speichel übertragen wird. Offensichtlich fallen die Infizierten ins Koma oder sterben und erwachen mit Gewaltbereitschaft wieder zum Leben. Wenn bei euch irgendetwas passiert, wenn ihr Infizierte seht … fahrt sofort zum Fort Bragg und kontaktiert Mike Desantos. Wenn ihr eine Verbindung bekommt, ruft mich an oder schreibt mir eine SMS. Ich liebe euch beide. Umarme Raven von mir. Papa liebt euch. Tschüss.« Cade hatte nicht die geringste Ahnung, ob Brook ihre Mailbox abhören konnte oder ob seine Nachricht sie überhaupt erreichen würde. Die Ausbilder am Fort Benning hatten immer von ihren Schülern erwartet, einen