Jemand schüttelte ihn an der Schulter. Er spürte, wie er zusammenzuckte, und stellte dann inmitten seiner Dunkelheit fest, dass er aus einem tiefen Schlaf erwachte. Er öffnete die Augen und sah in das Licht einer Öllampe, die neben ihm auf dem Tisch stand. Die Vorhänge waren vor das Fenster gezogen worden und ließen das Licht des Nachmittags nur halb durch. Draußen schlug der Regen gegen das zerbrochene Glasfenster, das mit Styroporplatten abgedeckt war. An mehreren Stellen tropfte Wasser von der Decke. Ethan hatte keine Ahnung, wie lange er in diesem schmalen Bett in dem kleinen Raum geschlafen hatte, der Teil der Krankenstation war. Jemand hatte einen Stuhl neben sein Bett gestellt. Ethan sah ein hart geschnittenes Gesicht mit einer Nase, die die Form eines Habichtschnabels hatte. Dave McKane hatte seine Baseballmütze abgesetzt und seine strubbeligen Haare standen nach oben ab. Der Mann roch wie ein nasser Hund.
»JayDee hat mich hereingelassen«, erklärte Dave leise. Die Tür zwischen diesem Zimmer und dem anderen Teil der Krankenstation blieb meistens geschlossen. »Hat gesagt, du hättest genug Ruhe gehabt, dass es dir wieder besser gehen sollte.«
Ethan setzte sich im Bett auf. Sein Körper schmerzte immer noch und sein Geist fühlte sich benebelt an. Zwei Wörter hallten in seinem Gehirn wider: White Mansion. Er nickte. »Mir geht es gut. Jedenfalls wieder etwas besser, schätze ich.«
Dave stöhnte. Er trug den gequälten Gesichtsausdruck von jemandem, der dringend eine Zigarette oder einen Whisky brauchte. Aber der Doktor hatte ihm das Rauchen hier drin verboten und die letzte Flasche Jim Beam war nur noch eine goldene Erinnerung. »Ich muss dir ein paar Fragen stellen.« Seine Stimme war nicht harsch, eher forschend. Er hielt inne und betrachtete für einen Moment die Knöchel seiner Hände. Regenwasser glitzerte auf der Baseballmütze, die über der Stuhllehne hing. Der Regen selbst hatte sich auf Daves Haut ölig und heiß angefühlt, als er von seiner Wohnung zur Krankenstation gegangen war. Er fragte sich, wie viele außerirdische Giftstoffe darin waren.
»Nur zu«, sagte Ethan, der spürte, wie unentschlossen der Mann war, mit welcher Frage er anfangen sollte.
»Okay«, antwortete Dave. »Okay. Du hast gesagt, du hast das Beben verursacht. Wie ist das möglich? Ich meine … du bist ein Junge, richtig? Ein Mensch? Oder etwa nicht?«
»Zumindest müssen Sie das denken. Sie haben Ihre Waffe nicht mitgebracht.«
»Ich glaube, dass du ein Mensch bist. Nicht etwas, das nur menschlich aussieht. Nicht irgendein Experiment der Cypher oder der Gorgonen. Aber … wenn du das Beben verursacht hast, wie hast du das gemacht?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte Ethan. Seine Gedanken kreisten um White Mansion. Er versuchte es wegzuschieben, aber es ließ sich nicht verdrängen und wurde stattdessen stärker und stärker. »Ich wollte einfach, dass es geschieht. Ich habe meine Hände auf die Mauer gelegt. Ich wollte, dass die Erde die Grauen abschüttelt. Mehr habe ich nicht gemacht.«
»Du hast deine Hände an die Mauer gelegt? Und du hast nur daran gedacht, was passieren sollte, und dann wurde es Wirklichkeit?«
»Ja.«
»Aha. Schön. Bewege meine Baseballmütze von der Stuhllehne und setze sie mir auf den Kopf.«
Ethan musste fast lachen, aber der steinerne Ausdruck auf Daves Gesicht sagte ihm, dass das keine gute Idee war. »Das wäre ein Trick, oder? Ich glaube nicht, dass ich das kann.«
»Warum nicht? Du hast ein verdammtes Erdbeben verursacht! Mit deiner Willenskraft, richtig? Und jetzt kannst du nicht einmal eine kleine Mütze bewegen?«
»Ich musste es absolut wollen … so in der Art, weil es der einzige Ausweg war. Ich weiß nicht, wie ich es gemacht habe. Ich wusste nur … genau in diesem Moment … in dieser Minute … musste ich es versuchen, denn ich wollte nicht sterben. Ich wollte nicht, dass irgendjemand stirbt. Ich musste tun, was ich konnte … was auch immer das sein würde. Also … es kam einfach aus mir heraus. Ich habe es gefühlt. Als es vorbei war, habe ich gespürt, wie es wieder in mich zurückgeflossen und verstummt ist.«
»Was hast du genau gefühlt? Was kam aus dir heraus und floss dann wieder in dich zurück?« In der Stimme des Mannes war Sarkasmus zu hören.
»Ich denke … eine Art Macht. Das ist alles, was ich sagen kann.«
»Macht.« Jetzt tropfte der Sarkasmus geradezu. »Ja, genau. Ein fünfzehnjähriger Junge, der die Macht hat, ein Erdbeben auszulösen, aber nicht mal eine Mütze ein paar Schritte bewegen kann. Kannst du vom Bett emporschweben? Die Zukunft sehen? Kannst du mir sagen, wie diese ganze Hölle hier zu einem guten Ende kommt?«
»Nein«, sagte Ethan, dessen Gesicht im Schein der Lampe von Schatten überzogen war. »Nein. Und nein, das kann ich nicht.«
Dave fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Er lauschte dem Regen, der draußen niederprasselte, und starrte dem Jungen intensiv in die Augen. »Wusstest du von der Quelle unter dem Pool?«
»Nein.«
»Was hast du dann dort gemacht? Warum bist du dort herumgelaufen?«
»Ich dachte, es wäre der Ort, an dem ich sein sollte.«
»Irgendetwas hat dir das gesagt? Hat zu dir gesprochen? Ist es das?«
Ethan zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht …«
»Warum weißt du nichts?« Dave hätte fast geschrien, aber unter großer Anstrengung hielt er sich zurück. »Oder besser gefragt … was zum Teufel weißt du überhaupt? Du weißt weder deinen richtigen Namen, noch wo du herkommst oder wo deine Verwandten sind. Du bist einfach so aufgewacht und hast festgestellt, dass du auf der Flucht bist, hast du das nicht so gesagt? Und plötzlich kannst du ein Erdbeben hervorzaubern und ein Swimmingpool bricht an den Stellen auf, über die du gegangen bist, und es fließt sauberes Wasser heraus? Weil du dachtest, dass du an diesem Ort sein solltest?« Dave hatte ein verrücktes Grinsen im Gesicht, hinter dem Wut und Frustration spürbar waren. »Was für eine Scheiße!«, rief er. »Okay, du hast für uns etwas Wasser gefunden! Wie wäre es mit mehr Nahrungsmitteln? Munition wäre auch schön. All das brauchen wir, weil wir sonst einen weiteren Angriff nicht mehr abwehren können. Also zaubere uns etwas Munition herbei, Ethan! Kannst du das für uns tun? Wenn du das nicht kannst … sind wir erledigt. Verstehst du?«
Ethan runzelte die Stirn. Er wusste, wie ernst Dave das Gesagte war, aber noch etwas anderes arbeitete unnachgiebig in ihm. »White Mansion«, sagte er. »Haben Sie jemals etwas davon gehört?«
»Was? Meinst du das Weiße Haus? In Washington? Was hat das mit irgendetwas hier zu tun?«
»White Mansion«, wiederholte Ethan. »Nicht das Weiße Haus. Ich denke, es könnte ein realer Ort sein, und ich denke, ich muss dorthin.«
»Tatsächlich? Nun, ich denke, ich muss dringend auf den verdammten Mond. Bist du verrückt geworden, Junge? Ist es das? Hast du nicht mehr alle beisammen?«
Ethan starrte in das Leuchten der Öllampe. Wer war er wirklich? Woher kam er? Auf diese Fragen hatte er keine Antwort, aber er kannte einige andere Wahrheiten und beschloss, sie auszusprechen. »Ich denke, ich muss dorthin gehen. Ich denke, irgendetwas will, dass ich dorthin gehe. Es ist wichtig, aber ich weiß nicht warum. Dieser Ort … die Apartments … es ist kein guter Ort. Niemand kann hierbleiben. Wenn sie das nächste Mal angreifen, wird es ganz vorbei sein für Panther Ridge. Aber ich glaube daran, dass White Mansion ein realer Ort ist … und ich denke … ich bin überzeugt … dass etwas mir sagt, dorthin zu gehen.« Er blickte Dave fest in die Augen. »Dieser Name ist mir im Traum erschienen. Ich muss immer wieder daran denken. Können Sie für mich herausfinden, ob es ein realer Ort ist und wo man ihn findet?«
»Oh, jetzt hast du auch Offenbarungen in deinen Träumen? Was passiert als Nächstes? Machst du Wasser zu Wein? Wenn du auch Whisky kannst, bin ich ganz auf deiner Seite.«
»Ich wäre auch mit Limonade zufrieden«, antwortete Ethan mit ernster Miene. »Ich sage Ihnen