DIE KLAUE - Der Kannibale von New York. Robert W. Walker. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert W. Walker
Издательство: Bookwire
Серия: Die Fälle der Jessica Coran
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958353800
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Sie eine Bahre. Malone, Sie nehmen sich alles Nötige und machen die Zelle sauber.«

      Beide Männer sahen erleichtert aus und verließen schnurstracks den Ort des Geschehens. Dr. Arnold ging ruhig und langsam hinter ihnen her und ließ Lewis mit diesem Teufel zu seinen Füßen allein. Ein merkwürdiges Gefühl begann sich schleichend in Lewisʼ Eingeweiden auszubreiten und bewegte sich von seinem Magen aus aufwärts, kroch seine Wirbelsäule hinauf, einen Wirbel nach dem anderen. Seine Haut begann zu prickeln und kalter Schweiß breitete sich aus. Er verspürte beinahe so etwas wie Angst, ein Gefühl, dem er bisher kein handbreit Raum in seinem Leben gegeben hatte. Er erinnerte sich an Simsʼ linkes Auge, kurz bevor er gestorben war. Er hatte ihn angesehen, als sei Lewis der einzige Mann im Raum. Lewis dachte, er hätte etwas gesehen, einen geisterhaften Schimmer, wie sich kräuselnder Rauch, der von dem blutigen, roten Schädel aufgestiegen war, wie ein kleiner Rauchring … etwas, das entkam.

      Als sie Simsʼ Leiche auf der Bahre heraustrugen, war sein entstelltes Gesicht mit einem weißen Laken bedeckt. Ein braun-roter Fleck begann sich dort auszubreiten, wo das Laken am blutüberströmten Gesicht klebte. Als sie Sims an den anderen Irren vorbeitrugen, provozierte das eine weitere Welle von Jubelgeschrei, Johlen, Gelächter und Bemerkungen.

      »Hat er sich in die Hosen geschissen?«

      »Was werdet ihr mit ihm machen?«

      »Die werden ihn sezieren, Idiot. Wir kriegen alle eines Tages unseren Schädel aufgeschnitten und die gucken ihn sich ganz genau an.«

      »Stimmt das, Lewis? Lewis?«

      Matisak hatte das letzte Wort, als sie den Zellenblock verließen. »Du weißt, dass Stainlype dich jetzt erwischt hat, oder, Lewis?«

      Kapitel 2

      Der dicke Mann in dem Sitz neben ihr starrte weiter in ihre Richtung und seine Blicke glitten über den Stock mit dem Perlmuttgriff, der immer irgendwie im Weg war. Er war ein Geschenk gewesen, von denjenigen, die wussten, wie qualvoll und langwierig es gewesen war, bis sie sich wieder erholt hatte, und dass sie zumindest körperlich diesen furchtbaren Fehler und Rückschlag in ihrem Leben überwinden wollte.

      Sie fischte den Stock umständlich unter dem Sitz hervor, wo er genauso schlecht aufgehoben war wie auf ihrem Schoß, und stellte ihn neben sich. Die Boeing 707 wirkte wie ein schwerfälliger Dickhäuter am Rande des Rollfeldes und sie hatte sich immer noch nicht angeschnallt. Eine gelangweilte Flugbegleiterin wies sie an, das zu tun, und sie versuchte, das aufgesetzte Lächeln zu erwidern.

      Der Kurzstreckenflug von D.C. nach New York würde sich länger anfühlen, als er war. Der dicke Mann neben ihr bekam einen anhaltenden Anfall von Raucherhusten und begann sich danach darüber auszulassen, dass »Rauchverbote in Flugzeugen gegen die Verfassung verstießen«.

      Sie hasste es, mit kommerziellen Fluglinien zu reisen, besonders Economy, und noch schlimmer war es, wenn sie wegen der Arbeit fliegen musste. Dann bevorzugte sie einen Militärtransport mit Sitzen, so hart wie in einem 57er Chevy. Trotz der sogenannten Vorzüge eines modernen Jets – bequeme Polstersitze, Filme, Musik von Bach in einer Höhe von 50.000 Fuß und einer Verpflegung, die weniger appetitanregend war als ein Big Mac mit Pommes – würde sie jederzeit die karg ausgestattete F-14 vorziehen, die auf dem Rollfeld in Quantico stand. Zumindest, wenn sie verfügbar war.

      Sie gab ihr Bestes, um dem Fremden neben ihr nicht in die Augen zu sehen und damit seinen Vortrag übers Rauchen weiter zu verlängern, und öffnete stattdessen ihre Aktentasche als deutliches Zeichen, dass sie beschäftigt war.

      Am Abend vorher hatte ihr Chief Theresa OʼRourke alles gegeben, was das FBI über den Verrückten hatte, der gerade New York terrorisierte. Ein furchtbarer Fall eines Serienkillers und Kannibalen. Das unbekannte Raubtier, das die Stadt heimsuchte, war wie Gerald Ray Sims ein Fleischfresser, der einen erstaunlich ähnlichen Modus Operandi aufwies und eine ähnliche Sicht auf die Welt zu haben schien. Sie sollte es wissen. Sie hatte Stunde um Stunde mit Sims in seiner Zelle in Philadelphia verbracht und seine verschiedenen Geständnisse aufgezeichnet. Selten, vielleicht ein oder zwei Mal, hatte sie dabei auch Stainlypes Stimme auf Band aufgenommen.

      Sie war so eine Art Expertin für Verrückte geworden. Das war ihr Spezialgebiet, abgesehen von ihrem Fachwissen als forensische Expertin für das FBI.

      »Wie ist das passiert?«, fragte der Mann auf dem Platz neben ihr.

      Sie tat so, als sei sie in die Akte vertieft, in der sie ihr Gesicht vergraben hatte.

      »Wie ist das mit Ihrem Bein passiert?«, beharrte er. Sie sah die Rolex an seinem Arm über einer alten Brandwunde. »Eine so hübsche Frau wie Sie. Ein Skiunfall, richtig? Oder irgendein Sportunfall?«

      Sie sah weiter nach unten. »Ja, Skiunfall«, log sie und fragte sich, ob sie ihn nicht mit der Wahrheit hätte schocken sollen – von einem Verrückten verstümmelt, der außerdem versucht hatte, Blut aus meiner Kehle zu trinken. Ob er das nun geglaubt hätte oder nicht, es hätte ihn bestimmt von seinem freundlichen Small Talk abgebracht. Aber was, wenn er dann all die Details hätte hören wollen? Das war zu riskant, dachte sie.

      »Ich fahre ja nicht Ski. Ist nicht so, dass ich im Moment überhaupt viel tue, wobei man sich anstrengen müsste. Ich arbeite mit Computern«, sagte er mit einem kurzen Lachen. »Ich arbeite in D.C. bei H&P, Sie wissen schon, beim Pack

      »Es tut mir leid, aber …«

      »Hewlett-Packard! Ich mache da …«

      »Bitte, Mr. ähh …«

      »Dorrington. Meine Freunde nennen mich Jack.«

      »Mr. Dorrington, ich habe hier eine Tonne an Arbeit vor mir, also entschuldigen Sie bitte.«

      Eine kleine Pause, dann hob der Jet ab, gefolgt von einem lauten Seufzen Jack Dorrington von Hewlett-Packard, der ohne ein weiteres Wort anfing, das Bordmagazin durchzublättern und Jessica in Ruhe ließ.

      Jessica wusste, dass sie überall Blicke auf sich zog. Eine auffällig große Frau, die das gute Aussehen ihrer Eltern geerbt hatte, und jetzt auch noch dieses verdammte Humpeln und der Stock. ›Mad‹ Matisak hatte ihr Aussehen verändert und die Art, wie andere sie ansahen, mit ihr umgingen, sie beurteilten und letztlich auch, wie sie sich selbst sah.

      Das Flugzeug stieg durch den Regen auf und erhob sich über die Wolken in das Sonnenlicht, das Virginia und D.C. schon seit mehreren Tagen verwehrt worden war. Die grellen Sonnenstrahlen wirkten wie Balsam auf ihre Seele.

      Neben ihr sagte Dorrington: »Könnten Sie vielleicht den Sonnenschutz herunterziehen? Die Sonne blendet … da kann man kaum lesen.«

      Sie ließ der Sonne noch ein paar Momente, bevor sie leise den Sonnenschutz herunterzog und sich wieder in ihre düstere Arbeit vertiefte. Nur Augenblicke, bevor sie das Pathologielabor in Quantico verlassen wollte, hatte sie erfahren, dass Gerald Ray Sims sich buchstäblich selbst den Schädel eingeschlagen hatte beim Versuch, endlich Stainlype aus seinem Kopf zu kriegen. Vielleicht fand er im Tod seinen Frieden, aber sie zweifelte daran.

      Sie sah sich die Informationen an, die sie bisher über den Killer in New York hatten, der von der Presse »Die Klaue« genannt wurde. Dann schloss sie die Augen und döste langsam beim Brummen des Flugzeugs ein.

      Als sie das erste Mal das Gefängnis in Philadelphia besucht hatte, um weitere Informationen von Matisak zu bekommen, der »bereit war, mit den Bundesbehörden zu kooperieren«, war es mit dem ausdrücklichen Zweck geschehen, so viel wie möglich über ihn und seine Opfer herauszufinden, von denen einige noch immer nicht gefunden worden waren. Es war außerdem wichtig, so viel sie konnte über seine Beweggründe zu erfahren, die Methoden, die er verwendet hatte, um seine Opfer in die Falle zu locken, die Gründe, wieso er ausgerechnet diese Frauen und Männer ausgewählt hatte, um sie umzubringen.

      Matisak war einer der hunderte Serienkiller, die das FBI befragte. Die Informationen wurden dann miteinander verknüpft und Computer damit gefüttert, um besser zu verstehen, wie solche Monster der Gesellschaft entstanden waren und wie man sich künftig am besten vor ihnen