Because I could not stop for death he kindly stopped for me. The carriage held but just ourselves – and immortality.
– Emily Dickinson (1830-86)
Kapitel 1
Der Fuchs war hungrig.
Er hatte seit drei Nächten nichts gefressen und das leere Loch in seinem Bauch zwang ihn, heute Nacht weiter als sonst umherzustreifen, weg von der Sicherheit seines Baus und in die Schatten des Winters hinein.
Eine anhaltende Kälte hatte seine Nahrungsauswahl drastisch reduziert. All die Waldmäuse, Wühlmäuse und Frösche, die er normalerweise fraß, waren verschwunden. Während einige im Erdboden verkrochen auf das Ende des Frostes warteten, hatten andere weniger Glück gehabt. Aber der Fuchs konnte nicht warten bis zum Frühjahr. Er war jetzt hungrig. Er musste fressen.
Außergewöhnliche Umstände erforderten außergewöhnliche Maßnahmen, und deshalb fand sich der Fuchs schließlich an der Umzäunung eines Gehöfts wieder. Auf der anderen Seite des Drahtes, den er so ruhelos abschritt, in den großen Holzställen hinter dem Farmhaus, saßen hunderte fetter, saftiger Hühner im warmen Stroh. Der Fuchs war nicht gierig. Er wollte bloß ein einziges. Nur eins von den vielen hundert Hühnern, welche die Thatchers ganz für sich allein hatten, und danach würde er seiner Wege ziehen. Wäre das so schlimm? Wenn er ganz still war, wenn er nur diese eine winzige Störung verursachte, hinein- und herausschlich, sich ein Huhn beim Hals schnappte und es mit sich in die Nacht zerrte, wie sollten sie überhaupt wissen, dass er dagewesen war?
Der Stall war vollgestopft mit Geflügel; die Thatchers konnten unmöglich wissen, wie viele Hühner sie überhaupt besaßen. Welchen Unterschied würde da eins weniger machen?
Der Fuchs war ein lautloser Killer. Er jagte mit Heimlichkeit und List. Und er nahm nur, was er brauchte. Er beanspruchte nichts außer seinem Recht auf Leben, genau wie jene, mit denen er sein Revier teilte.
Und dennoch verabscheuten ihn seine Nachbarn. Sie legten Fallen, um ihn zu fangen, durchsuchten die Hügel, um ihn mit Gas aus seinem Bau zu treiben, hetzten ihn mit Hundemeuten, die ihn zerfetzen sollten, und schossen mit Gewehren auf ihn, sobald sie seiner ansichtig wurden. Wie viele seiner Verwandten hatte er so schon verloren, ihr Blut verschmiert im Gesicht ihrer triumphierenden Mörder?
Nun, das würde diesem Fuchs nicht passieren. Er war umsichtiger als die meisten; leichtfüßiger. Er würde erst zur Tat schreiten, wenn er sicher war, dass ihn niemand sehen konnte. Und sobald er zugeschlagen hatte, würde er samt seinem Abendessen schon wieder mit den Schatten verschmelzen.
So wartete der Fuchs. Er wartete, bis Mrs. Thatcher in der Scheune nicht mehr ihr Hackebeil schwang. Er wartete, bis Mr. Thatcher im Hof mit dem Graben fertig war. Und er wartete, bis die Hühner im Stall ihre Augen schlossen und einschliefen. Er wachte und wartete und bereitete sich vor. Aber gerade als die Thatchers sich für die Nacht zur Ruhe begeben wollten, erhellte ein Paar Autoscheinwerfer die Zufahrt der Farm und scheuchte den Fuchs zurück in die Schatten.
Das Auto hielt vor dem Haus an und Mr. Thatcher erschien in der Tür. Er fragte den Besucher, was er wolle, und der Besucher teilte ihm kurz und knapp mit, dass er diese Farm für die Nacht benötige. Er erwarte einige Freunde und man habe sich geeinigt, sich hier zu treffen. Die meisten Menschen hätten es wohl als befremdlich empfunden, von einem wortkargen Eindringling mit einem solchen Anliegen vom Zubettgehen abgehalten zu werden, doch Mr. Thatcher wirkte nicht übermäßig verärgert. Tatsächlich schien ihn die Aussicht auf späte Besucher – noch dazu völlig Fremde – eher munter zu machen.
Mr. Thatcher fragte den Besucher, wer seine Freunde denn seien, aber der zuckte nur mit den Schultern und versprach, es werde sich alles klären, sobald die Zeit gekommen sei.
In diesem Moment erschien Mrs. Thatcher hinter ihrem Ehemann, halb in seinem Rücken und halb hinter der Tür lauernd. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf ihr Mann mit einem faltigen Lächeln sein Einverständnis signalisierte.
Die Thatchers gingen beiseite, um den Besucher über ihre Schwelle treten zu lassen. Der nahm die freundliche Einladung an und quetschte sich zwischen den beiden hindurch. Die Tür wurde geschlossen. Kurz darauf gingen die Lichter aus.
Der Fuchs wachte und wartete weiter. Er hörte ein paar seltsame Geräusche, aber schnell wurde es wieder still. Das war seine Chance. Seine Zeit war gekommen.
Der Fuchs huschte aus dem Gebüsch und rannte über das offene Gelände. Unter dem sternenklaren Himmel und im silbernen Mondlicht jagte sein langer Schatten hinter ihm über das Feld. Er verschwand im selben Moment wie der Fuchs unter dem Bretterboden des Stalls; so plötzlich, als wäre er nie dagewesen. Der Fuchs konnte seine Beute auf der anderen Seite der Dielen riechen. Er konnte sie riechen, aber sie konnten ihn nicht wahrnehmen. Der Hühnerstall war zu voll, zu geschäftig. Sie hatten andere Dinge im Sinn. Von der Gefahr, die unter ihnen lauerte, hatten sie keine Ahnung.
Alles, was er brauchte, war eine Lücke in den Bodenbrettern, oder eine verrottete Stelle, durch die er sich durchgraben könnte, aber er fand nichts von beidem. Der Stall war sicher. Und für den Moment auch seine Bewohner.
Wieder stellten die Ohren des Fuchses sich auf.
Die Haustür des Wohnhauses war geöffnet worden und jemand trat heraus. Der Fuchs hörte Schritte über den Kies im Hof knirschen, die dem Versteck, in dem er kauerte, bedrohlich nahekamen. Neben dem Stall verstummten die Schritte. Der Fuchs hielt den Atem an. Langsam bewegten sich die Schritte an der Längsseite des Stalls hin und her, bis der Fuchs ein Geräusch vernahm, das ihn in Panik versetzte: das Spannen einer Flinte.
Er ließ sein Abendessen im Stich, wuselte unter dem Stallboden hervor, hetzte über die freie Fläche und rannte um sein Leben.
Er bereitete sich auf den glühenden, reißenden Schmerz der Schrotkugeln vor und verfluchte das kalte Wetter, das ihn gezwungen hatte, solch verzweifelte Maßnahmen zu ergreifen, aber zu seiner Überraschung und großen Erleichterung blieb der Schuss aus.
Der Fuchs wusste nicht, wie er es bis an den Waldrand geschafft hatte. Schließlich wagte er aus dem Unterholz einen Blick zurück und sah nicht, wie erwartet, die Thatchers, sondern den geheimnisvollen Gast, der sie heute aufgesucht hatte.
Dessen Augen konnte der Fuchs nicht erkennen, da sie sich hinter dunklen Gläsern verbargen, doch er hatte das Gefühl, dass sie auf ihn gerichtet waren, obwohl er hier in der Dunkelheit kauerte.
Der Mann schwang sich die Flinte der Thatchers über die Schulter und begann am Zaun entlangzugehen, wobei er ab und zu einen Blick in die Richtung des Fuchses warf. Dann schwenkte ein zweites Paar Autoscheinwerfer über die Farm.
Den Fuchs beschlich langsam das Gefühl, dass er heute Nacht kein Glück haben würde. Er zog sich weiter in den Schatten zurück, schlüpfte durch einen Stacheldrahtzaun und beschloss, etwas anderes zu versuchen. Er mochte zwar leer ausgegangen und nach wie vor hungrig sein, doch wenigstens lebte er noch, um sein Jagdglück später erneut zu probieren. Und das war mehr, als man heute Nacht von den meisten anderen ungeladenen Gästen der Thatchers behaupten konnte.
***
Einige Augenblicke später erschrak der Fuchs über das Geräusch von Stiefeln, die durchs Unterholz rannten. Hier draußen gab es noch jemand anderen als den Besucher der Thatchers, und wie es sich anhörte, hatte er mehr Angst als der Fuchs.
»Kontrollstützpunkt, bitte kommen, over«, wiederholte der Mann immer wieder, obwohl niemand bei ihm war, der es hätte hören können. »Kontrollstützpunkt,