Wyatt ging ins Haus zurück.
Webster saß nicht an seinem Platz.
»He, wo stecken Sie?«
Der Missourier ging durch den Korridor zur Küche.
Er klopfte an. Als er die Tür auf das zaghafte Herein einer Frauenstimme aufstieß, sah er den Hauswirt drüben auf einem Stuhl am Tisch hocken. Vor ihm stand die Flasche.
Wyatt rief absichtlich scharf: »Wo bleiben Sie denn? Sie spielen noch weiter.«
Webster erhob sich. Er schwankte sichtlich.
Seine Frau warf ihm einen besorgten Blick zu.
»Vorwärts, nehmen Sie noch einen Schluck zur Stärkung, und bringen Sie Ihren Geldbeutel mit.«
»Ja, sofort!«
Webster kam auf unsicheren Füßen mit hinaus.
Dann saßen die beiden Männer wieder einander gegenüber.
Wyatt hatte die Karten in der Hand. »So, Freund, jetzt wollen wir den Einsatz verdoppeln.«
Der Wirt keuchte: »Wie Sie wollen, Doc.«
Wyatt warf den Kopf hoch und tat erstaunt. »Doc?«
Webster, auf dessen Stirn der kalte Schweiß perlte, zuckte erschrocken zusammen. »Habe ich Doc gesagt?« Seine grauen, vom Whisky glänzenden Augen starrten Wyatt ängstlich an.
»Yeah, Sie haben Doc gesagt. All right, wenn Sie es wissen, dann ist es nicht zu ändern. Aber nun will ich Ihnen was sagen, Webster!« Wyatt beugte sich weit über den Tisch und tat geheimnisvoll. Durch die zusammengebissenen Zähne zischte er: »Ich bin in einer Sache hier, die unter allen Umständen geheim bleiben muß, ist das klar!«
Webster schöpfte Luft. Heftig nickend, versicherte er: »Sonnenklar. Sie können sich auf mich verlassen.«
Wyatt nahm seinen Stuhl herum und rückte näher an den schwitzenden Mann heran. »Sie scheinen mir ein ehrbarer Mann zu sein, dem man eine wichtige Sache anvertrauen kann.«
»Das bin ich! Ich schwöre Ihnen, das bin ich. Sie sind an den schweigsamsten Mann geraten, den Sie sich denken können.«
»Dann geben Sie acht, Webster. Ich arbeite zur Zeit im Auftrag von Mister Worsleburry.«
Webster versuchte, den Namen nachzusprechen. Damit hätte er auch einem weniger klugen Mann als dem äußerst gerissenen Spieler Holliday verraten, daß er gar nicht die Absicht hatte, über die ihm anvertrauten Geheimnisse zu schweigen.
Seine vom Whisky schwergewordene Zunge vermochte den Namen jedoch nicht zustandezubringen.
»Worsleburry ist ein steinreicher Bursche«, fuhr Wyatt fort. »Er hat einen großartigen Plan. Haben Sie schon gehört, daß eine Bahnlinie hier durchs Tal geplant ist?«
»Nein.« Webster hatte den Mund offenstehen lassen und stierte den Missourier fassungslos an. Auf den Gedanken, daß es völliger Unsinn war, hier im Tal eine Bahn zu bauen, wo kaum fünfzehn Meilen weiter nördlich bereits Schwellen von Osten nach Westen hinüber verlegt wurden, kam er nicht. Der Ernst im Gesicht des vermeintlichen Gamblers Holliday ließ ihn überhaupt nicht auf den Gedanken kommen, daß ihm hier etwas vorgeflunkert wurde.
»Die Sache liegt nun so.« Wyatt zündete sich umständlich eine Zigarre an. »Worsleburry hat die Absicht, das Land, das die Bahn braucht, aufzukaufen...«
»Verstehe!« rief der Wirt schnell und glaubte in seiner Bauernschläue tatsächlich begriffen zu haben. »Mister Wor... Mister Worsel... also, der Mann, der Ihr Boß ist, der will das Land aufkaufen, damit die Bahn es nachher ihm abkaufen muß. Habe ich recht?« Er grinste wie ein Honigkuchenpferd.
»Richtig.« Wyatt zog an seiner Zigarre. »Deshalb bin ich unterwegs. Ich kenne die Route, die geplant ist und reite sie ab.«
»Wollen Sie schon für Ihren Boß verhandeln und gar aufkaufen?« fragte der ölige Mann lauernd.
Wyatt schüttelte den Kopf. »Nein, ich sehe mir die Leute an, von denen wir kaufen wollen. Es spielt ja für uns keine Rolle, ob die Bahn ein paar Kurven mehr oder weniger macht. Ob sie beispielsweise oben an dem Hang bei den Duncers entlangläuft oder direkt unten zwischen der Stadt und dem Fluß.«
»Wird hoch bezahlt?«
»Ich denke, das hat sich im Westen wohl längst herumgesprochen. Nur echte Goldclaims dürften mehr wert sein, als Landstücke, die man an die Bahn verkaufen kann.«
Websters Gesicht war feuerrot. »Es ist einerlei, ob die Bahn oben am Hang entlanggeführt wird oder unten am Fluß?«
»Natürlich ist es einerlei. Ich habe mir die Gegend genau angesehen. An und für sich wäre es vielleicht etwas günstiger, wenn man den Schienenstrang nördlich von Hatch legen würde, aber da liegen eine ganze Menge Weidestücke, die bestimmt nicht billig sind. Unten am Fluß sieht es bescheidener aus.«
»Doc!« zischelte der Mann atemlos, »kaufen Sie am Fluß. Der Boden ist da besser, es ist auch glatteres, ebeneres Land. Die Arbeiten kommen leichter vorwärts.«
Der alte Gauner roch den Braten. Er hatte doch unten am Fluß ein Stück Land, wo er Schafe züchten wollte. Der Negerboy hatte es Wyatt erzählt, als er ihm das Pferd seine Chefs ausgeliehen hatte. Und genau darauf hatte Wyatt gezielt. Webster war ihm prompt auf den Leim gegangen.
»Sind Sie persönlich daran interessiert, daß ich meinen Auftraggeber vorschlage, die Bahn unten am Fluß entlanglaufen zu lassen?«
»Ja, natürlich. Ich bin mit fast allen Leuten befreundet, die da unten Boden besitzen. Im Vertrauen«, er beugte sich weit über den Tisch und legte die Hand neben den Mund, als sei es ein großes Geheimnis, »ich habe da unten auch einen Streifen, den Sie dann natürlich mitnehmen könnten. Wenn ich einen Sonderpreis bekomme, berede ich meine Freunde zu einem Verkauf, der für Sie günstig ist. Wie finden Sie das?«
»Ausgezeichnet. Hauptsache, Sie halten zunächst Ihren Mund. Ich hatte schon mit einem der Duncers einen unsinnigen Streit drüben im Sommers Saloon. Das wird für mich ein Grund sein, den Bau am Fluß entlangführen zu lassen.«
Der Wirt war Feuer und Flamme. Er wollte die Whiskyflasche holen, aber Wyatt lehnte ab.
»Lassen wir es dabei, Webster. Sie halten Ihren Mund, und ich schaukel die Sache so, daß Sie mit allem zufrieden sein werden.«
»Wunderbar!«
Wyatt nahm den alten Colt Mike Wards aus dem Hosenbund. »Wegen dieses Schießeisens fing Bill Duncer einen verrückten Streit mit mir an. Ich habe das alte Ding von einem Mann gekauft, den ich in Scott getroffen habe. Er war ein bißchen verwundet und brauchte wohl Geld für Brandy.«
Wyatt stand auf.
Die Nachricht hinterließ im Gesicht Websters keinerlei Eindruck. Also hatte er mit der Geschichte direkt nichts zu tun.
Trotzdem war Wyatt nun sicher, daß der einfältige Mann so bald wie möglich die Geschichte mit dem Colt ausplaudern würde.
Und genau das beabsichtigte er. Nach Pollock wagte er ihn nicht zu fragen. Wenn der Wirt doch geschwätziger war, als der Marshal annahm, dann würde gerade die Frage nach Pollock bei Duncer Alarm schlagen. Denn dann wußte er, daß er richtig vermutet hatte.
Wyatt begab sich zur Ruhe.
Der Tag hatte ihn ziemlich angestrengt. Immerhin war es der erste Ritt nach dem Unfall gewesen.
Ehe er einschlief, dachte er noch einmal über die Dinge nach, die er heute erlebt hatte.
Er war hinter Sherman her. Hinter dem Mann, der den grauhaarigen Mike Ward in der Savanne bei Keystone niedergeschossen hatte. Und hier in Hatch war Wyatt mit dem Revolver Wards aufgefallen. Billy Duncer war durch den Anblick der Waffe fast außer sich geraten. Oben in der Sägerei hatte er erfahren, daß die Duncers den toten Mike Ward irgendwie zu fürchten hatten.