»Was und?«
»Haben Sie Ärger gehabt?«
Wyatt lachte. »Sie meinen mit Sicherheit anzunehmen, daß man in Hatch und Page City Ärger bekommen muß.«
Der Schmied kratzte sich seinen Schädel und brummte: »Alles Gute, Mister. Das Hotel ist da drüben. Ich weiß, daß Sie keine Ratschläge mögen, trotzdem: Reiten Sie so bald wie möglich weiter.« Er wandte sich um und watschelte in die düstere Werkstatt zurück, wo er alsbald wieder in der Gerümpelecke verschwand.
Der Mann an der Rezeption im City Hotel war sehr groß, spindeldürr und hatte ein richtiges Pferdegesicht. Das Bemerkenswerteste an ihm war die Tatsache, daß er nicht lachen konnte. Das aber sollte Wyatt erst später feststellen.
»Ich bin aus Maine. Wir sind Neu-Engländer, uralte Familie. Ich bin das schwarze Schaf der Familie gewesen und wollte unbedingt in den Westen. Das heißt, ich wollte an die Westküste, nach San Francisko, aber im Westen bin ich dann hängengeblieben. Hier in Page City. Idiotisch, nicht wahr? Susan war schuld daran. Sie tanzte drüben in der Luck-Bar. Gott, damals war die ganze Stadt hinter ihr
her.«
»... und heute ist Sie Ihre Frau«, unterbrach Wyatt, um auch etwas zu sagen.
Der redselige Mann, der endlich ein Opfer gefunden zu haben glaubte, schüttelte den Kopf. »Nein, eben nicht. Sammy Godwyn und Hanc Loower haben sich ihretwegen geschossen.«
»Und?«
»Sie liegen beide draußen auf dem Stiefelhügel.«
»Und Susan?« forschte Wyatt ziemlich uninteressiert, während er den Zimmerschlüssel, den der Spindeldürre noch festhielt, an sich nahm.
»Susan...?« Das Pferdegesicht verzog sich. Heavens! Es sollte ein Lachen sein, war aber nur ein kläglicher Abklatsch. »Sie tanzt noch immer drüben.«
Wyatt ging die Treppe hinauf.
Das Zimmer war sehr dürftig eingerichtet. Ein altes Metallbett, ein schiefstehender Schrank. Ein Waschtisch mit einer Porzellanschüssel, die mehrere Sprünge hatte; darüber ein halbblinder Spiegel. Zwei Stühle und ein Fenster mit verblichenen Vorhängen.
Wyatt schob das Fenster sofort hoch, um frische Luft hineinzulassen.
Der Boden war direkt musikalisch. Jede Diele gab einen anderen Quietschlaut von sich, wenn der große Mann sie mit seinem Gewicht belastete. Wyatt hatte gerade seine Satteltasche über einen der beiden Stühle geschoben, als es klopfte.
»Bitte.«
Der Griff drehte sich nicht.
»Heh, wer ist denn da?«
Nichts.
Der Mann stieß die Tür mit dem Fuß auf. Draußen stand eine Frau.
Ann Duncer!
Mit weit offenen Augen blickte sie auf den Revolver in der Hand des Marshals.
»Sie sind ein gefährlicher Mensch, ich habe es gewußt.«
Wyatt grinste und ließ den Revolver mit einem Handsalto ins Halfter gleiten. »Sie machen mir Spaß, Miß. Erst klopfen Sie, denn melden Sie sich nicht. Haben Sie erwartet, daß ich mit erhobenen Händen herauskomme?«
»Vielleicht wäre das besser...«
»Fragt sich, für wen.«
Um ihre Mundwinkel zuckte ein spöttisches Lachen.
»Was wollen Sie?« fragte er grob.
»Ich komme von Mister Pollock.«
»Kann ich mir denken.«
»Er läßt Ihnen sagen, daß er die Frist verkürzt. Sie müssen morgen vor Anbruch des Tages verschwunden sein.«
»Ach – und weshalb?«
»Das geht Sie nichts an.«
Wyatt ließ sich auf das Bett nieder. »Allen Ernstes, eine hübsche Stadt. Da kommt ein Spielhöllenonkel daher und verjagt die Leute aus der Stadt. Wirklich spaßig. Bin gespannt, was der Sheriff dazu sagt.«
»Er wird nichts dazu sagen.«
»Kann sein. Haben Sie sonst noch was auf dem Herzen?«
»Ich will wissen, was Sie von mir wollen?«
Wyatt rieb sich das Kinn und blickte sie sinnend an.
»Sagen Sie es!« zischte sie böse.
Der Mann lachte.
Da trat sie rasch zwei Schritte auf ihn zu. Mit der Rechten suchte sie etwas aus der Tasche zu ziehen, als sie dann aber in die Mündug des fünfundvierziger Revolvers sah, den der Mann ihr entgegenhielt, stieß sie die Luft wütend durch die Nase aus.
»Was wollen Sie von mir? Woher wissen Sie, daß ich hier bin? Wenn es Ted erfährt...«
»Bilden Sie sich allen Ernstes ein, daß er das nicht erfährt?«
»Wenn, dann nur von Ihnen.«
»Und die Männer, die in die Luk-Bar kommen, werden doch aufmerksam.«
»Aus Hatch kommen keine Männer in die Luk-Bar.«
»Ich komme zum Beispiel auch aus Hatch.«
»Yeah, Sie sind ein brutaler Kerl. Ich weiß nicht, was Sie vorhaben, aber als Sie Cass niederschlugen, da...«
»Da? Reden Sie weiter, Miß Duncer. Wollen Sie vielleicht sagen, daß ich Sie da sehr heiß an Ihren lieben Bruder Ted erinnerte, der gestern abend Ihren Vater niederschlug wie einen Verbrecher? Oder was wollten Sie sagen?«
Jetzt sah die hochgewachsene Frau ihn wirklich mit entsetzten Augen an.
Wie konnte er das wissen? Hatte Sie bisher nur eine dumpfe ungewisse Furcht vor ihm empfunden, so hatte sich diese jetzt in wühlende Angst verwandelt.
Sie wich zurück zur Tür und stieß heiser und tonlos hervor: »Wer sind Sie?«
Wyatts Gesicht war jetzt tiefernst. »Ich habe Ihnen darauf bereits eine Antwort gegeben, Miß Duncer.«
Sie preßte die Lippen so hart aufeinander, daß sie einen schmalen weißen Strich bildeten. Dann lief sie wortlos hinaus.
Wyatt blickte ihr aus dem geschlossenen Fenster nach.
Er war also am Ziel. Das war ihm in dem Augenblick klargeworden, als der Schmied auf die Frage nach der Wohnung Shermans ihn so verstört angesehen hatte.
Sherman wohnte also auch hier.
Page City war also die Endstation.
Page City oder Hatch.
Irgendein Geheimnis verband die beiden einen halben Tagesritt auseinanderliegenden Städte miteinander.
Sherman.
Cass Pollock.
Ted und Billy Duncer.
Ann Duncer.
Der tote Mike Ward.
Hatte Cass Pollock Sherman hinter Mike Ward hergeschickt? Ohne Wissen der Duncers? Und wenn, weshalb hatte er es getan?
Wer war dieser Mike Ward?
Woher kannten die Duncers und Cass Pollock seinen Colt so genau?
*
Wyatt schlief ein paar Stunden, stand dann auf, wusch sich, bürstete seinen Anzug sauber aus, putzte seine Stiefel und ging hinüber zum Barbier.
Der fettleibige Mann mit den braunen Augen verzog das Gesicht, als er den Kunden eintreten sah. Er legte die zerlesene Zeitung aus der Hand und erhob sich seufzend. »Was wollen Sie?«
»Ich wäre gern rasiert.«
»Hm – wenn es sein muß!« Mißmutig kramte der dicke Barbier