Es war still auf dem Ranchhof.
»Ich!« Es war die Stimme des Ranchers.
Wyatt wandte sich nach ihm um. »Sie haben ihn gesehen in der Nacht?«
»Ja.«
Wyatt nickte. »Good.« Dann reichte er dem Rancher die Hand, nickte den Männern zu, stieg auf sein Pferd und warf noch einen letzten Blick auf den toten blutjungen Cowboy Jim Hunter, den Joe McIntire inzwischen auf den Boden neben die Pferdetränke gelegt hatte.
*
Wyatt ritt nach Wichita.
Es war an einem strahlenden Morgen, als er endlich nach schier endlosem Ritt vom Süden her in die breite Mainstreet einritt.
Vorm Keno-House stand ein hochrädriger Buggy mit einem prächtigen, gepflegten Fuchs an der Deichsel.
Der Mann, der jetzt den Spielsaloon verließ, war untersetzt und trug einen dünnen Bart auf der Oberlippe, der ebenso rot und unansehnlich war wie das krause rote Haar, das sich unter der Krempe des weißen Hutes hervorschob. Die Augen des Mannes waren grüngrau, groß und von tiefen Schatten untermalt.
Trotzdem war er sicher noch nicht alt, dieser Mann. Mit gravitätischen Schritten näherte er sich seinem Buggy.
Als er den Marshal sah, blieb er stehen, lüftete den Hut und rief: »Hallo, Sie sind zweifellos Wyatt Earp!«
Wyatt nickte müde und trieb sein Pferd auf die Gehsteigplanke zu.
Der Mann nahm ein Seidentaschentuch aus seiner Reservetasche und wischte sich die Schweißperlen von der Stirn.
Bei dieser Bewegung stieg ein etwas aufdringlicher Geruch von süßlichem Parfüm in die empfindsame Nase des Marshals.
»Mein Name ist Everett Collander! Ich bin Zeitungsmann und will drüben in dem leergewordenen Haus des alten Bristol Villers eine neue Zeitung aufmachen.«
Wyatt war höflich genug, abzusteigen. »Na, dann viel Glück, Mr. Collander! Ich hoffe nur, daß Sie genügend Leser finden werden.«
»Na, Ihnen, Marshal, werde ich jeweils ein Freiexemplar zustellen, versteht sich.« Hierauf ließ der Mann ein geradezu albernes Lachen hören, hielt sich seinen schweren Bauch und schnipste sich ein unsichtbares Stäubchen vom linken Unterarm. »Übrigens, Marshal«, erklärte er, »ich werde demnächst ein kleines Fest geben und hoffe, daß ich Sie unter meinen Gästen sehen darf.«
»Ich bin kein sehr geselliger Mann«, meinte Wyatt wenig begeistert.
»Ist auch nicht nötig. Dafür bin ich um so geselliger. Es ist nämlich so, daß ich heiraten will.«
»Aha!« Wyatt lächelte.
»Ja, Marshal, ich heirate nämlich die schönste Frau von ganz Wichita.«
»Soso«, meinte Wyatt gelangweilt und sah zur anderen Straßenseite hinüber, wo zwei betrunkene Cowboys eben Nat Pinglewoods Saloon verließen.
»Keine Angst«, schwatzte der Zeitungsmann unterdessen weiter. »Ich habe nicht nur die Zeitung, das ist mehr so eine spleenige Idee von mir. Ich werde auch nur alle vierzehn Tage eine Nummer des Wichita Chronicle herausbringen, in dem dann selbstverständlich auch immer von unserem berühmtem Marshal Wyatt Earp die Rede sein wird.«
»Besser nicht«, winkte Wyatt ab, der nichts mehr haßte als Lobhudelei.
Collander prustete vor Lachen. »Ach ja, Sie meinen, die Verbrecher würden sonst allzu gut Ihren Steckbrief kennenlernen. Keine Sorge, den werde ich völlig verschleiern... Nein, Marshal, ich habe etwas Festes im Hinterhalt. Mein Bruder Ed fand damals, anno 48, unten bei Sacramento in dem kleinen Gold-Tal ein Plazer, das er beinahe aufgegeben hätte. Gerade an dem Tage, als er sein Lager abbrechen wollte, fand er so viel Gold, wie die anderen Diggers im ganzen Tal in einem Monat zusammen nicht gefunden hatten. Ed grub und grub und hatte schließlich so viel, daß er aufhören konnte. Er schleppte den Gewinn nach Boston und tat bei den anderen Diggers so, als hätte er nichts gefunden. Nun ja, was soll ich lange erzählen, er bekam den großen Husten, wurde immer bleicher und ging nach zwei Monaten sang- und klanglos ein, der Ärmste!« Wieder schlug Collander seine wenig angenehme Lache an. »Tja, das war’s...«
»Und so kamen Sie an den festen Hintergrund«, stellte Wyatt fest, während er sich weiter auf den Weg zum Marshal-Office machen wollte.
»Ja, eben so. Und es ist ein Glück, sonst könnte ich meiner Braut nicht viel bieten. Was ist schließlich schon ein Zeitungsmann? Ein Nichts, ein Garnichts. Ich aber bin etwas... Und Susan soll etwas von mir haben.«
Wyatt fragte, während er wieder in den Sattel stieg: »Wie heißt denn die Auserwählte?«
»Susan Hollister.«
»Soso!« Ach, es interessierte ihn gar nicht, den Marshal, was der Mann da erzählte. Aber es war nun einmal seine Art, für jeden Menschen Verständnis aufzubringen. Vielleicht war er deshalb so beliebt bei seinen Mitbürgern.
Wyatt saß im Sattel und hatte die Zügel schon angehoben. Da hörte er den Mann hinter sich sagen:
»Ach ja, Susan hat draußen auf der Moon-Ranch unten in der vergessenen Ecke am Rock Creek die Hölle gehabt – man sieht es ihr direkt an.«
Wyatt zog die Zügelleine an und wandte den Kopf zurück. »Von der Moon-Ranch kommt sie?«
»Ja.«
»Na, dann bestellen Sie ihr bitte einen Gruß von ihrem Vater und von ihrer Schwester Mary!«
In diesem Augenblick verließ eine Frau den Barbershop Lewt Martins, der direkt neben dem Spielsaloon war.
Eine hochgewachsene Frau von stolzem ebenmäßigem Wuchs und einer berauschenden Fülle von Haarlocken, die ein geradezu bezaubernd schönes Gesicht umgaben. Ein faszinierendes Augenpaar beherrschte dieses Gesicht. Der vollgeschwungene Mund gab beim Lächeln eine Reihe von blendend weißen Zähnen preis. Als sie jetzt den schwarzen, hauchdünnen Hutschleier, der weit über das Gesicht hinunterfiel, anhob, und ihr Blick auf den Marshal fiel, fragte sie den dicken Collander: »Na, Mr. Collander, halten Sie wieder jemanden von der Arbeit ab?«
Der Mann wurde puterrot, tänzelte wie ein Pfau auf die Frau zu, hob beide Hände und legte ihr den breiten Seidenschal, der etwas von den Schultern gerutscht war, zärtlich um den Hals. Er flötete mit hoher Stimme: »Ja, mein Gold! Da bist du ja. Na, wie siehst du aus. Bezaubernd. Es ist reizend von dem Meister von Kamm und Schere, daß er deinetwegen den Shop für drei Stunden schließt; um dein wundervolles Haar zu pflegen! Aber was rede ich, sieh dir den Mann da an. Weißt du, wer das ist? Tja, guck nur genau hin: Es ist mein Freund, der Marshal Wyatt Earp.«
Die Frau warf einen forschenden Blick auf den Reiter und lächelte dann: »Hallo!«
Wyatt Earp nahm den Hut mit einer ungelenken Bewegung ab und stülpte ihn gleich wieder auf.
»Jetzt kommt erst das Schönste!« rief Collander. »Er soll dir Grüße von deinem Papa und deiner Schwester bestellen.«
Sofort verlor Susan Hollister ihre stolze Haltung. Sie lief auf den Marshal zu, legte ihre behandschuhte Rechte auf den Steigbügel des Reiters und fragte mit leuchtenden Augen: »Sie waren auf der Moon-Ranch, Mr. Earp?«
»Ja.«
»Und? Haben Sie... haben Sie Vater gesehen?«
»Ja, ich soll Ihnen ja einen Gruß von ihm bestellen, von ihm und Ihrer hübschen Schwester.«
Susan lächelte in sich hinein. »Und sonst?« fragte sie.
Wyatt begriff sie nicht ganz. Er sagte: »Ich hätte Ihnen die Grüße natürlich überbracht, aber ich komme eben erst zurück.«
»Ja!« rief der Zeitungsmann mit dem Gold im Hintergrund. »Es ist wahr. Ich habe ihn aufgehalten. So long, Marshal!«
Susan aber hielt den Steigbügel des Marshals fest. »Gibt es sonst etwas...? Ich meine, etwas Neues