Der Bergpfarrer Paket 3 – Heimatroman. Toni Waidacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Toni Waidacher
Издательство: Bookwire
Серия: Der Bergpfarrer
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740960018
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nur noch blasse Erinnerung. Sie war Bestandteil meines Lebens, aber das Leben geht weiter, und wenn sie heut’ vor mir stehen würde, ich weiß gar net, ob ich ihr dann noch bös’ wär, so gleichgültig ist sie mir inzwischen.«

      Langsam kroch die Sonne über den Horizont.

      »Ich glaub, wir sollten langsam zurückfahren«, meinte Kathie, der diese Worte sehr gutgetan und die sie beruhigt hatten. »Burgl und Schorsch werden mit dem Abendessen warten, und nachher will ich mit dem Kleid weitermachen.«

      Der Hund hatte sich zwischendurch von der Herumtollerei ausgeruht und lief munter vor ihnen her.

      »Ein wunderschönes Gefühl, mit der Frau, die man liebt, nach Haus’ zu kommen«, sagte Tobias glücklich, als sie auf den Hof einbogen.

      Kathie lächelte.

      »Ich hab’ mich vom ersten Moment an hier zu Hause gefühlt«, sagte sie und gab ihm einen Kuß.

      »Na, ihr wart ja lang fort«, wurden sie von der alten Magd begrüßt. »Zum Kaffeetrinken ist’s jetzt aber zu spät.«

      »Das wollen wir auch net«, lachten die beiden. »Uns ist eher nach einer deftigen Brotzeit.«

      Das Abendessen nahmen sie draußen ein. Es gab einen leckeren Wurstsalat und natürlich von dem Käse, den Tobias und Kathie von der Kandereralm geholt hatten. Anschließend setzten sie sich wieder auf die Bank im Garten, die zu ihrer Bank geworden war, seit sie sich dort den ersten Kuß gegeben hatten und diesmal leisteten Burgl und Schorsch ihnen Gesellschaft.

      Länger als sonst dehnte sich dieser Sonntagabend aus, und soviel fröhliches Gelächter war schon lange nicht mehr auf dem Stadlerhof erklungen.

      *

      Die junge Frau schaute in den Spiegel, aus dem ihr ein unendlich trauriges und verhärmtes Gesicht entgegenblickte.

      Tiefe Ringe lagen unter den Augen, die früher so gestrahlt hatten und das Haar, auf das sie einstmal so stolz gewesen war, hing nun strähnig und glanzlos auf die schmalen Schultern hinunter.

      Nach einem tiefen Seufzer wandte sich die Frau ab und ging zum Stuhl, auf dem der Mantel lag. Ein letzter Blick in das Zimmer, in dem außer dem Stuhl nur noch ein Bett stand, ein wackliger Tisch und ein Schrank, dessen rechte Tür aus den Angeln hing, die linke ließ sich überhaupt nicht mehr öffnen. Resl hatte es einmal versucht, und da war ihr die Tür entgegengefallen.

      Bruchbude wäre noch ein geschmeichelter Ausdruck für diese Unterkunft gewesen, die sie viel zu teuer bezahlen mußte. Aber sie hatte keine andere Wahl, wenn sie nicht auf der Straße schlafen wollte.

      Ein Blick auf die Uhr, es wurde Zeit für sie. Um über die Runden zu kommen, das Geld für die Miete und ein wenig zu essen für sich zu verdienen, hatte die junge Frau die zusätzliche Arbeit angenommen.

      Sie streifte den Mantel über, nahm die Rosen aus dem Wassereimer, ging aus der Tür und schloß hinter sich ab. Ein langer dunkler Flur erwartete sie, die Beleuchtung fiel meistens aus, und der Hausbesitzer machte sich nur selten die Mühe, eine Glühlampe auszuwechseln.

      Resl tastete sich an den anderen Zimmern vorbei. Sie waren alle belegt, von ähnlich gestrauchelten Menschen, wie sie einer war. Früher war das Haus einmal eine vornehme Pension gewesen, doch davon war nichts mehr zu merken. Der Putz an der Decke blätterte genauso ab, wie die Farbe an den Wänden, im Treppenhaus roch es nach Essensdünsten und Zigarrettenrauch, und die Stufen knarrten unter Resls Füßen. Sie mußte sich beeilen. Der Chef würde ohnehin sauer auf sie sein, weil sie in der Samstagnacht einfach Feierabend gemacht hatte. Da wollte sie es nicht noch schlimmer werden lassen, indem sie zu spät kam. Es war ihr schon schwer genug gefallen, sich aufzuraffen, und auf keinen Fall würde sie heute abend die selbe Runde gehen, wie sonst.

      Daß ihr Max Trenker so plötzlich gegenübersaß, hatte Resl einen tiefen Schock versetzt. Wie in Panik war sie davongelaufen, hatte sich in der Nebenstraße in einem der Häuser versteckt und gewartet, bis er wieder zum Hotel zurückgegangen war. Dann, nachdem sie noch eine Weile in dem Hausflur geblieben war, wagte sie sich aus ihrem Versteck und lief nach Hause. Die Rosen, die sie eigentlich verkaufen sollte, stellte sie in einen Eimer mit Wasser. Heut’ würde sie keinen Schritt mehr vor die Tür machen.

      Dann warf sie sich auf das Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf.

      Der Anblick des Polizisten aus St. Johann spülte all die Erinnerungen wieder an die Oberfläche, die Resl glaubte, unterdrückt zu haben. Und wie so oft, weinte sie über ihr Schicksal. Die junge Frau war heilfroh, daß es die Nacht zu Sonntag war. Da sie sich von dem Verkauf der Blumen kaum ernähren konnte, geschweige denn die Miete bezahlen, ging Resl putzen. Morgens um vier begann die Arbeit in einer großen Klinik. Fast immer ging sie gleich dorthin, wenn das Geld, das sie durch den Verkauf eingenommen hatte, beim Chef abgeliefert war. Nur Sonntags hatte sie frei und konnte endlich einmal ausschlafen. An den anderen Tagen kam sie nachmittags todmüde aus der Klinik heim, schlief ein paar Stunden, bis es wieder Zeit war, die Runde durch die Kneipen und Restaurants zu machen.

      Max Trenker – den hätte sie hier am allerwenigsten erwartet.

      Wie es wohl den anderen ging?

      Vater, Mutter, ihrem Bruder, Tobias – von ihnen hatte sie nichts mehr gehört, seit sie von zu Hause fortgegangen war. Aber natürlich war es ihre eigene Schuld, sie hatte jeglichen Kontakt abgebrochen.

      Daran und an Tobias Stadler dachte Resl Birnker auch jetzt, als sie mit den Rosen im Arm durch die abendlichen Straßen ging. Auch an den Mann, dem sie ihr Schicksal verdankte, mußte sie ab und zu denken, aber gleichzeitig wurde ihr voller Bitterkeit bewußt, daß sie durch ihr eigenes Verschulden in diese Situation geraten war.

      Wenn ich bedenk’, was für ein Leben ich jetzt als Stadlerbäuerin haben könnt’…

      Bloß net daran denken. Zum Heulen.

      Aber Resl wollte nicht mehr weinen. Woher sollten auch die ganzen Tränen kommen, wo sie doch schon so viele vergossen hatte?

      Wenigstens lief das Geschäft heute abend ganz ordentlich. Es war noch nicht einmal Mitternacht, als sie die letzte Rose verkauft hatte. Das Geld steckte in ihrer Börse. Resl suchte sich eine einsame Straße und zählte den Betrag, den sie abliefern mußte, genau ab. Es blieben immer noch ein paar Euros übrig, viele ihrer Kunden hatten ein kleines Trinkgeld gegeben. Doch das mußte sie gut verstecken. Wenn der Chef es fand, würde er es ihr gleich wegnehmen. Resl stopfte die Scheine in das Futter ihres Mantels und beeilte sich, zu dem Lagerhaus zu kommen, in dem der Mann residierte, der sich noch großartig vorkam, weil er ein paar gescheiterten Existenzen eine Arbeit gab, wie er sich ausdrückte.

      Aber heute würde ihr sein Spott und seine Häme nichts ausmachen. Resl freute sich auf die Stunden danach. Sie würde früher als sonst in die Klinik gehen, mit den Kolleginnen vielleicht einen schönen heißen Kaffee trinken und später gab es in der Kantine ein leckeres Mittagessen, für das sie nur wenig bezahlen mußte. Dafür konnte sie dann die Vorräte zu Hause sparen.

      Und wenn sie Glück hatte, dann würde der Chef ihr jetzt nicht ganz so böse sein. Immerhin waren ja alle Rosen verkauft, und das mit gestern, da würde sie sich schon eine Ausrede einfallen lassen.

      Und morgen? Morgen war schon wieder ein anderer Tag.

      *

      Noch vor Dienstbeginn hatte sich Max an den Computer im Polizeirevier gesetzt, um nach Resl Birkners Adresse zu forschen.

      Allerdings ohne Erfolg. Weder in München noch in den umliegenden Gemeinden war eine Frau dieses Namens gemeldet. Nachdenklich lehnte sich der Beamte zurück und betrachtete den Bildschirm des Computers. Das konnte nur bedeuten, daß Resl ohne festen Wohnsitz war oder sie hatte sich einfach nicht angemeldet.

      Mehr als Routine, als aus einem bestimmten Verdacht heraus, hatte er auch das Strafregister durchgesehen. Mit Erleichterung nahm Max zur Kenntnis, daß es über die junge Frau keinen Eintrag gab.

      Nach einigen Minuten nahm er den Hörer in die Hand und wählte die Nummer des Pfarrhauses. Sebastian Trenker war selbst am Apparat. Max berichtete