»Ja, Herr Professor, das ist Thomas Brandmayr«, sagte sie.
»Sehr erfreut«, nickte der Arzt und wandte sich der Patientin zu. »Tja, Frau Heilmann, ich hab’ mir noch mal genau die Röntgenbilder und Ihre Werte angeschaut. Es ist alles in Ordnung. Sie dürfen uns verlassen.«
Daß diese Nachricht bei den Ärzten und Pflegern Erleichterung, wenn nicht gar verhaltenen Jubel hervorgerufen hatte, verschwieg er diskret…
»Natürlich müssen S’ die Halskrause noch ein Weilchen tragen«, fuhr er fort. »Und suchen S’ Ihren Hausarzt auf, der alles andere veranlassen wird.«
Er schaute Thomas an.
»Und da Ihr Verlobter gekommen ist, kann er Sie gleich mitnehmen. Im Schwesternzimmer liegen Ihre Entlassungspapiere und der Bericht für den Hausarzt.«
Er reichte Iris die Hand.
»Ich wünsche Ihnen alles Gute.«
Dann wandte er sich Thomas zu.
»Keine Angst, in ein paar Wochen ist Ihre Braut wie neu«, meinte er. »Und besonders das hübsche Gesicht ist net in Mitleidenschaft gezogen worden. Es bleiben keine Narben zurück.«
Thomas konnte nichts anderes tun, als hilflos zu nicken.
*
»Was fang ich jetzt bloß mit dir an?« fragte er, als sie in seinem Wagen saßen und nach St. Johann fuhren.
»Wie wäre es denn, wenn du mal anhieltest und mich endlich küßt?« schlug Iris Heilmann vor.
Resignierend hatte er eingewilligt, sie mitzunehmen. Immerhin wurde sie aus dem Krankenhaus entlassen, ihre Sachen waren immer noch auf dem Granzingerhof, und irgendwie mußte sie ja dorthin kommen.
»Ich denk’ überhaupt net daran«, sagte Thomas. »Ich werd’ dich zu diesem Bauernhof fahren und dann will ich nix mehr von dir sehen oder hören.«
»Sag mal, hast du immer noch nicht begriffen, daß ich dich liebe?« begehrte sie nun auf. »Was glaubst du wohl, warum ich das alles auf mich genommen habe? Und diesen Bauernhof kannst du gleich vergessen. Keine zehn Pferde bringen mich dahin. Gibt’s kein Zimmer in der Pension Stubler mehr?«
»Das fehlte noch«, gab er zurück und hielt am Straßenrand. »Ich glaub’, ich muß mal eines klarstellen; ich liebe dich nicht, Iris. Ganz im Gegenteil, ich hab’ hier im Urlaub eine Frau kennengelernt, die mir sehr viel bedeutet. Und ich hab’ net die Absicht, diese Liebe deinetwegen aufs Spiel zu setzen.«
Die junge Frau schluckte. Das hatte sie gar nicht bedacht, daß Thomas eine andere haben könnte.
Allerdings war sie nicht bereit, kampflos das Feld zu räumen.
»Trotzdem werd’ ich nach St. Johann mitkommen«, sagte sie hartnäckig. »Die Frau Stubler scheint mir eine passable Frau zu sein. Sie wird dafür Verständnis haben, daß ich in meinem Zustand nicht auf einem Bauernhof schlafen kann.«
Na, das kann ja heiter werden, dachte Thomas und fuhr wieder an. Aber jetzt war auch schon alles egal. Bianca würde hoffentlich verstehen, in was für eine Zwickmühle er da geraten war.
Das Madel saß zur selben Zeit auf dem Balkon und wartete auf die Rückkehr ihres Liebsten. Den Vormittag hatte Bianca mit den Eltern verbracht. Sie waren wirklich noch einmal in das Trachtenmodengeschäft gegangen, und Franz Lennard hatte seiner Tochter ein hübsches Dirndl gekauft, das jetzt am Schrank hing. Bianca freute sich schon darauf, es Thomas vorzuführen.
Die Türen beider Zimmer waren geöffnet, so daß sie hören konnte, wenn er zurück war. Bianca blätterte in einer Illustrierten und schaute ab und zu immer wieder zur Straße hinunter. Endlich hörte sie einen Wagen vor dem Haus halten. Erwartungsvoll lief sie in ihr Zimmer und schlüpfte in das Dirndl.
Sie hörte jemanden die Treppe heraufkommen und dann Geräusche aus dem Nachbarzimmer. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel schlich sie leise über den Balkon, um Thomas zu überraschen.
Doch in der Tür erstarrte sie. Er stand in seinem Zimmer, und eine Frau schmiegte sich an ihn.
Ein Stich ins Herz hätte nicht schmerzhafter sein können. Bianca spürte, wie sich alles in ihr zusammenzog. Die Kehle war wie zugeschnürt, und Tränen traten ihr in die Augen.
Eine Frau? Wieso eine Frau?
»Ich liebe dich«, sagte die Unbekannte.
»Bitte, Iris, laß das«, hörte sie Thomas sagen.
Er kannte sie also, nannte sie beim Namen.
Brauchte es mehr Beweise? Das, was sie gesehen und gehört hatte, war doch Beweis genug. Angelogen hatte er sie, nicht mehr als ein Urlaubsflirt war sie für ihn gewesen, bis heute. Bis diese Iris auftauchte. Wahrscheinlich stimmte die Geschichte mit dem Auto auch nicht. Bianca erinnerte sich, wie merkwürdig abwesend Thomas gestern abend gewesen war. Und heute morgen beim Frühstück, da hatte er auch einen sonderbaren Eindruck gemacht.
Sie räusperte sich, und das Paar fuhr auseinander.
»Entschuldigung«, sagte sie. »Ich wollt’ net stören.«
Damit drehte sie sich um, lief in ihr Zimmer und schloß die Tür hinter sich.
Tränen rannen ihr über das Gesicht, und ihr Körper bebte unter Schluchzen. Aus, alles aus! Er hatte sie niemals geliebt, nur benutzt. Sie war nur billiger Zeitvertreib.
Bianca hastete aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und aus der Pension hinaus, bevor Thomas auf die Idee kam, ihr noch eine weitere Lügengeschichte zu erzählen.
*
Der Journalist stand wie angewurzelt. Jetzt war genau das geschehen, was er hatte verhindern wollen. Iris hatte sich nicht davon abbringen lassen, mitzukommen, und er hatte schließlich zugestimmt. So konnte er gleich in ihrer Gegenwart Bianca gegenüber die Sache aufklären. Iris würde wohl nicht weiterhin so dreist behaupten, sie seien verlobt. Doch nun war alles anders gekommen. Bianca hatte ihn in einer Situation ertappt, die er nicht herbeigeführt hatte. Iris war es gewesen, die ihn umarmt hatte und küssen wollte.
Thomas schüttelte die Frau ab, die immer noch an ihm hing, und verließ das Zimmer. Er wollte gerade an Biancas Tür klopfen, als er hörte, wie unten die Haustür zufiel.
Zu spät!
Dennoch klopfte er, erwartete allerdings nicht wirklich, Antwort zu bekommen. Ärgerlich ging er in sein Zimmer zurück. Iris hatte sich auf seinem Bett ausgestreckt und schaute ihm lächelnd entgegen.
»War sie das?« fragte sie.
»Ja, das war sie«, entgegnete der Journalist und deutete auf die Tür. »Was immer du dir von der ganzen Sache erhofft hast, Iris, es wird sich net erfüllen. Und jetzt möcht’ ich, daß du verschwindest. Und zwar auf Nimmerwiedersehen!«
Langsam erhob sie sich.
»Thomas«, flehte sie, »das meinst du doch nicht ernst. Ich liebe dich doch!«
»Ich dich aber net!« rief er. »Herr im Himmel, begreif’ das doch endlich! Diese ganze Aktion war völlig blödsinnig, und ich kann jetzt zusehen, daß ich Bianca find’, und daß sie mir das auch wirklich glaubt.«
Endlich schien Iris begriffen zu haben. Schulterzuckend griff sie nach ihrer Jacke und hängte sie sich über.
»Dann eben nicht«, meinte sie. »War zwar ein teures Vergnügen, aber was soll’s. Schade, Thomas, es hätte sehr schön werden können mit uns.«
Er schüttelte den Kopf.
»Das glaub’ ich net«, antwortete er. »Meine Traumfrau ist ganz anders als du.«
Sie lächelte mokant.
»Traumfrau, Traummann – man findet doch nie das, was man sucht«, sagte sie beim Hinausgehen.
Er