»Ja, und hoffentlich wird ihr das Ganze eine Lehre sein. Allerdings hab’ ich da so meine Zweifel.«
»Na, spätestens wenn sie wegen des Unfalls vor Gericht steht, wird sie einsehen, wie dumm sie sich verhalten hat.«
Doktor Wiesinger hob die Schultern und ließ sie resignierend wieder sinken.
»Wer weiß?« meinte er dann. »Manchmal denk’ ich, es wär’ besser, wie meine Elena, als Tierarzt zu arbeiten. Die Viecher sind genügsam und stellen net solche Dummheiten an.«
»Bloß net, Toni«, lachte der gute Hirte von St. Johann. »Wir sind ja froh, daß wir dich haben. Grüß mir deine Frau und laß dir wegen der Geschichte keine grauen Haare wachsen.«
Nachdenklich ging Sebastian zum Pfarrhaus weiter.
Es ist wirklich unglaublich, wie leichtsinnig manche Leute mit ihrem Leben umgingen, dachte er. Für einen kurzen Rausch, einen Kick, den ihnen die rasende Geschwindigkeit gab, setzten sie ihr Leben und das anderer Menschen aufs Spiel. Max konnte ein Lied davon singen. Als Polizeibeamter wurde er oft genug mit tragischen Unfällen konfrontiert, deren Ursache in den meisten Fällen Leichtsinn und Unvermögen war.
Beim Abendessen war der Unfall natürlich auch Thema.
»Auf jeden Fall kann sich diese Frau Heilmann auf ein saftiges Bußgeld gefaßt machen«, sagte der Bruder des Geistlichen. »Net nur, daß sowohl der Sepp als auch der Toni ausgesagt haben, sie wäre mit überhöhter Geschwindigkeit die Straße heruntergekommen – das Cabriolet ist mir gleich aufgefallen. Heut’ mittag hatten wir eine Geschwindigkeitskontrolle an der Kreisstraße, und die Dame ist mit über hundert Sachen in die Radarüberwachung gebraust, wo eigentlich nur siebzig erlaubt sind. Offenbar schert sie sich generell net um irgendwelche Verkehrszeichen.«
»Hast denn schon was aus dem Krankenhaus erfahren, wie’s ihr geht?« fragte Sebastian.
Max grinste.
»Wie der Doktor schon sagte, Schleudertrauma und ein paar Blutergüsse, da wo der Gurt – sie war immerhin angeschnallt – gequetscht hat.
Ich bin vorhin noch im Krankenhaus gewesen, um die Frau Heilmann zu vernehmen. Aber das hab’ ich dann lieber erstmal verschoben. Die gute Dame macht die ganzen Ärzte und das Pflegepersonal nämlich rein wahnsinnig mit ihren Wünschen und Forderungen.
Zuerst wollt’ sie gar net bleiben und hat mit ihrem Vater gedroht, der ist nämlich Rechtsanwalt. Irgendwie ist’s dem Professor Haderer dann aber doch gelungen, sie zu überzeugen, daß es besser wär’, ein paar Tage zur Beobachtung zu bleiben.
Aber du glaubst net, was dann geschehen ist. Frau Heilmann ist Privatpatientin und verlangt natürlich ein Einzelzimmer. Aber mit einem Fernsehapparat, bitt’ schön, und das Essen soll aus einem Drei-Sterne-Restaurant geholt werden. Außerdem wünscht sie dies und das, ein Telefon und einen tragbaren Computer und was weiß ich noch alles, und treibt die armen Schwestern und Ärzte zur Weißglut.
Ich hab’ auf die Einvernahme verzichtet und werd’ wohl erst morgen oder übermorgen wieder zu ihr fahren.«
»Du liebe Güte«, schüttelte Sebastian den Kopf. »Wie alt ist sie denn überhaupt?«
»Laut Personalausweis mal gerade zweiundzwanzig Jahre alt.«
»Herr im Himmel, und benimmt sich wie eine überkandidelte Filmdiva?«
Max nickte.
»Offenbar kann sie’s sich leisten. Jedenfalls hat sie, ohne mit der Wimper zu zucken, zum Doktor gesagt, er solle ihr die Rechnung einfach schicken und net vergessen, ein ordentliches Trinkgeld aufzuschreiben. Und zum Wippler-Toni hat sie gemeint, er solle sich schon mal ein neues Auto aussuchen, sie würd’ es bezahlen.«
»Na, das scheint mir ja ein rechtes Früchtchen zu sein«, sagte Sebastian. »Woher kommt sie überhaupt? Und warum macht sie Urlaub bei uns?«
»Frau Heilmann stammt aus Pfarrkirchen und hat ein Zimmer auf dem Granzingerhof gemietet.«
Der Bergpfarrer schaute nachdenklich vor sich hin.
Irgendwas stimmt da nicht, überlegte er. Wenn diese Frau Heilmann wirklich so begütert war, warum mietete sie sich dann auf einem Bauernhof ein? Abgesehen davon paßte es, nach allem, was er über diese Frau gehört hatte, gar nicht zu ihr, daß sie ihre Ferien ausgerechnet im Wachnertal verbringen wollte. Solche Leute fuhren doch eher in die Urlaubsorte, wo sich die Schönen und Reichen tummelten und sie zeigen konnten, wie dick ihr Bankkonto war.
Es mußte also einen besonderen Grund haben, daß die Frau mit so einer bescheidenen Unterkunft vorlieb nahm.
Aber welchen?
Sebastian Trenker hatte keine Ahnung, daß er diesen Grund schon sehr bald erfahren würde.
*
Jochen Kranzler schreckte aus einem leichten Dämmerschlaf hoch, als die Nachtschwester in das Bereitschaftszimmer kam und den jungen Arzt weckte.
»Tut mir leid, Herr Doktor«, sagte sie, »aber die Patientin von der Vierzehn verlangt nach Ihnen…«
»Ach, net schon wieder!« stöhnte Jochen und fuhr sich durch das kurze schwarze Haar. »Was hat unser ›Star‹ denn jetzt für Probleme?«
»Frau Heilmann behauptet, ihr Nackenwirbel sei angebrochen«, antwortete Schwester Kathrin und mußte an sich halten, um nicht laut loszuprusten. »Ich hab’ versucht, es ihr auszureden, aber sie besteht darauf, daß Sie nach ihr sehen.«
Die Schwester zuckte hilflos die Schultern.
»Na ja, was soll ich da machen? Immerhin ist sie Privatpatientin beim Professor.«
»Schon gut, Schwester«, winkte der Arzt ab. »Sie können ja nix dafür.«
Seufzend streifte er seinen Kittel über.
Privatpatientin – da mußte er jeder Laune entsprechen, ob er wollte oder nicht. Immerhin zahlte sie ja dafür.
Allerdings mochte er es auch mal so gut haben und mit dem Geld um sich werfen können. Das Leben war einfach ungerecht!
Er ging über den Flur und blieb vor der Tür des Krankenzimmers stehen. Nach einem kurzen Anklopfen trat er ein.
Iris Heilmann saß aufrecht in ihrem Bett. Der Fernsehapparat war eingeschaltet. Um den Hals trug die junge Frau einen Stützverband, das schöne Gesicht wurde von ein paar blutverkrusteten Schrammen verunziert.
»Da bin ich, Frau Heilmann«, sagte Jochen Kranzler. »Was kann ich für Sie tun?«
Iris machte eine klägliche Miene. »Gott sei Dank, Herr Doktor, da sind Sie ja endlich«, jammerte sie. »Ich warte ja schon eine Ewigkeit!«
»Tut mir leid«, erwiderte er. »Aber es gibt noch andere Patienten, um die ich mich kümmern muß.«
Daß es in dieser Nacht ungewöhnlich ruhig auf der Station war und er gerade ein wenig geschlummert hatte, mußte die Frau ja nicht wissen.
»Was fehlt Ihnen denn?« fragte er.
»Mein Hals«, sagte Iris Heilmann. »Er tut fürchterlich weh. Bestimmt ist ein Wirbel gebrochen.«
Der junge Arzt hatte am frühen Abend die Station übernommen und gleich schon von seinem Kollegen erfahren, wer die Frau war. Natürlich hatte er sich die Krankenunterlagen angesehen und wußte über ihren Zustand Bescheid.
»Das kann net sein, Frau Heilmann«, antwortete er. »Sie sind gründlich geröntgt worden. Dabei wurden keinerlei Verletzungen im Halswirbelbereich festgestellt. Die Schmerzen rühren von dem Schleudertrauma her, das Sie sich bei dem Aufprall zugezogen haben. Manchmal treten sie erst in ein paar Tagen auf, manchmal eben früher oder auch gar net. Sie sind eine ganz normale Begleiterscheinung und müssen Sie net beunruhigen. Ich werde der Schwester sagen, daß sie Ihnen ein Mittel dagegen gibt, und dann werden S’ ruhig schlafen können.«
Er