»Das hört sich ganz so an, als wollten Sie sich meiner annehmen und mir weiterhelfen«, sagte sie.
»Freilich will ich das«, antwortete Pfarrer Trenker. »Und glauben S’ mir, wir werden schon was herausfinden.«
Er stand auf.
»So, dann geh’n wir als erstes in die Kirch hinüber«, erklärte er. »Und heut’ mittag bleiben S’ zum Essen. Meine Haushälterin ist eine sehr gute Köchin.«
Carla hatte ihr Glas geleert.
»Das glaub’ ich gern«, antwortete sie. »Dieser Saft schmeckt einfach wunderbar. Überhaupt kein Vergleich mit dem, was man sonst zu kaufen bekommt.«
Bevor sie das Pfarrhaus verließen, ging Sebastian in die Küche. Seine Haushälterin war mit den Vorbereitungen für das Mittagessen beschäftigt.
»Frau Tappert, wir haben einen Gast heut’ mittag«, sagte der Geistliche. »Die junge Dame bleibt zum Essen.«
Sophie Tappert sah auf. Sie war gerade dabei, aus gekochten Kartoffeln, Gries, Eigelb und Stärkemehl Knödel zu formen. Jetzt nickte sie.
»Hab’ ich mir schon gedacht, Hochwürden.«
Sebastian schmunzelte.
Natürlich, das hätte er sich ja auch denken können!
*
Als sie die Kirche betraten, kam Carla nicht mehr aus dem Staunen heraus. Stumm blieb sie in der Tür stehen und schaute sich um.
Gold, Blau und Rot – das waren die vorherrschenden Farben, in denen das Gotteshaus geschmückt war. Herrliche Fensterbilder mit Szenen aus der Bibel gab es zu sehen, wundervoll geschnitzte Heiligenfiguren, den Flügelaltar mit dem Kreuz darüber und die imposante Orgel.
»Wunderschön!« entfuhr es der Arzthelferin.
Der Geistliche führte sie herum und zeigte ihr alles, zuletzt schloß er die Tür zur Sakristei auf. Sebastian schaltete das Licht ein und ließ Carla Brinkmann dann eintreten.
Es war ein nicht sonderlich großer Raum, karg eingerichtet. In der Mitte stand ein Tisch mit ein paar Stühlen drum herum. Regale an den Wänden, mit Meßgeräten, Leuchtern und Kartons mit Kerzen. In einem offenen Kleiderschrank hingen Sebastians Gewänder und die der Meßdiener. An der Stirnseite der Sakristei befand sich das Regal, in dem die Kirchenbücher aufbewahrt wurden. Schwere Folianten, in Leder gebunden, viele davon schon sehr alt.
Der Bergpfarrer forderte Carla auf, sich zu setzen, und suchte das entsprechende Buch heraus. Er brachte es zum Tisch und schlug es auf.
»Dann wollen wir mal schau’n«, murmelte er und beugte sich über die offenen Seiten.
Sein Finger fuhr über die Jahreszahlen. Für die Arzthelferin waren die Ziffern und Buchstaben nur schwer zu lesen; die Vorgänger des Geistlichen hatten noch eine sehr alte Schrift benutzt.
Sebastian hatte indes keine Schwierigkeiten, die Eintragungen zu entziffern. Er nahm oft eines der alten Bücher zur Hand und las darin. Besonders interessant waren die ganz alten, bildeten sie doch gleichermaßen eine Chronik; neben Geburten, Taufen, Hochzeiten und Todesfällen waren auch Krieg, Pest und Feuersbrünste darin festgehalten worden.
»Da steht’s ja schon«, sagte er nach einer Weile und tippte auf die Stelle. »Brigitte Hornbacher, Tochter des Bergbauern Veit Hornbacher und seiner Frau Margarete, geb. Brunner.«
Sebastian las die Eintragung laut vor. Dann blätterte er zurück, bis er das Jahr fand, in dem Carlas Großeltern geheiratet hatten. Auch diese Daten enthielt er der jungen Frau nicht vor.
»Steht denn da auch, wann meine Großeltern verstorben sind?« fragte Carla.
Der Bergpfarrer suchte nach entsprechenden Daten.
»Ich fürcht’, da werden wir nix finden«, sagte er schließlich. »Offenbar sind die Eltern Ihrer Mutter tatsächlich ganz von hier fortgegangen. Als ich vom Priesterseminar zurückkam, gehörte der Hof schon der Familie Wagner. Ich bin dann für einige Zeit noch in München gewesen, ehe ich hier die Pfarrstelle übernahm. In diesem Zeitraum muß sich das also alles abgespielt haben. Ihre Großeltern haben den Hof verkauft und sind fortgegangen, weil sie hier net mehr glücklich werden konnten, nachdem die Tochter mit dem Knecht durchgebrannt ist.«
Carla nickte. So oder so ähnlich muß es wohl gewesen sein.
»Dann wird sich wohl auch nix über das Grab meines Vaters finden?«
Sebastian schüttelte den Kopf.
»Wenn er hier auf dem Friedhof liegen würd’, dann schon«, antwortete er. »Aber so…«
»Wie kann mein Onkel denn so sicher sein, daß das Grab hier sein soll?«
Der gute Hirte von St. Johann hob ratlos die Hände.
»Vielleicht wollte Ihre Mutter net, daß jemand die letzte Ruhestätte ihres ersten Mannes kennt«, vermutete er. »Aber um ganz sicher zu sein, werd’ ich mit meinem Amtsbruder in Engelsbach sprechen. Vielleicht gibt es in den dortigen Kirchenbüchern einen Hinweis.«
Sebastian blätterte weiter, suchte nach einem ganz bestimmten Eintrag. Schließlich schüttelte er den Kopf.
»Also, ich vermute, daß Tobias Starnmoser net aus St. Johann stammt«, sagte er. »Der Name war mir gleich unbekannt. Wenn er doch hier geboren wäre, dann stünde es in diesem Buch. Wir können also davon ausgeh’n, daß Ihr Vater ein Zugereister war.«
Carla seufzte.
Ihre Mutter hatte ihr einen mehr als vagen Hinweis hinterlassen. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie hätte überhaupt geschwiegen.
Mutlos verließ die Arzthelferin an der Seite des Geistlichen die Kirche.
»Kopf hoch«, sagte Sebastian. »Noch ist net alles verloren. Wir werden so lang’ nachforschen, bis wir etwas finden. Wenn Ihre Mutter dem Herr Brinkmann gegenüber gesagt hat, das Grab sei hier, dann glaub’ ich fast, daß meine Vermutung richtig ist –, sie wollte net, daß jemand weiß, wo Tobias Starnmoser begraben liegt. Und selbst, wenn sich im Archiv zu St. Anna nix finden sollte, dann bleiben uns immer noch die Gärtnereien hier im Wachnertal, die solche Aufträge zur Grabpflege übernehmen.«
Er nickte der jungen Frau aufmunternd zu.
»Noch lassen wir die Hoffnung net fahren!«
Carla lächelte.
Es tat ihr gut, solche Worte zu hören, bedeuteten sie doch, daß sie nicht alleine war bei ihrer Suche nach den Wurzeln der Vergangenheit.
»Nach dem Essen fahren wir zum Hof Ihrer Großeltern hinauf«, versprach der Bergpfarrer. »Die Wagners werden sich freuen, Sie kennenzulernen.«
Bis zum Mittagessen hatten sie noch Zeit, im Garten des Pfarrhauses zu sitzen und sich über alles zu unterhalten. Sebastian Trenker spürte dabei wieder diesen übermächtigen Drang zu helfen. Nie würde er diese junge Frau wieder nach Hause fahren lassen, ohne vorher Licht in das Dunkel zu bringen.
*
Blasius Eggensteiner zwängte sich aus seinem Auto, was angesichts seiner Leibesfülle gar nicht so leicht war. Der Pfarrer von St. Anna brachte gut und gerne an die hundertzwanzig Kilo auf die Waage. Zwar versuchte seine Haushälterin seit geraumer Zeit, etwas gegen sein Übergewicht zu unternehmen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Pfarrer Eggensteiner aß nun mal gerne, und die schmale Kost, die Hermine Wollschläger ihm vorsetzte, schmeckte ihm überhaupt nicht. Deshalb verschwand er hin und wieder im Wirtshaus des Nachbarortes, wo er es sich dann richtig gutgehen ließ und Diätkost und Schonkaffee vergessen konnte.
So hatte er auch an diesem Mittag schon gegessen, als er zum Pfarrhaus zurückkehrte. Nach dem Besuch bei dem erkrankten Bauern, der außerhalb Engelsbachs seinen Hof hatte, war der Geistliche nach Waldeck weitergefahren und hatte sich einen herrlichen Schweinsbraten mit Kraut und Knödeln gegönnt.
Seine