»Was hältst denn nun von meinem Vorschlag?« wollte seine Begleiterin wissen, während sie auf das Essen warteten.
Florian trank einen Schluck von dem Rotwein, den sie bestellt hatten. Er räusperte sich.
»Ich weiß net, ob das klappt«, wich er aus. »Im Moment haben wir wahnsinnig viel zu tun auf dem Hof.«
Annette machte ein betrübtes Gesicht.
»Schade«, sagte sie. »Ich hatte mich schon so darauf gefreut.«
»Ein andermal vielleicht«, meinte er und war froh darüber, daß sie seine Ausrede so ohne weiteres akzeptierte.
Als er sie später dann vor dem Hotel absetzte, in dem Annette ein Angestelltenzimmer im Dachgeschoß bewohnte, dauerte es noch eine ganze Weile, bis sie sich verabschiedet hatten.
»Ich hab’ dich ganz fürchterlich lieb«, flüsterte sie leise, bevor sie die Tür des Seiteneingangs aufschloß.
Florian antwortete nichts darauf. Er nickte ihr nur stumm zu und stieg in seinen Wagen.
Himmel, die will’s aber wissen, dachte er, als er durch den schlafenden Ort nach Hause fuhr.
Auf dem Hof herrschte auch schon längst Ruhe. Morgen würde man in aller Herrgottsfrühe wieder aufstehen müssen. Und auch Florian hätte eigentlich schon lange im Bett sein müssen.
Doch bevor er in seine Kammer hinaufging, blieb er in der Diele stehen und betrachtete das Bild. Der unbekannte Künstler hatte eine junge Bäuerin im Profil gemalt. Es handelte sich wohl um eine Angehörige der Familie, die früher den Hof bewirtschaftet hatte.
Es war wirklich verblüffend, wie sehr es der Frau ähnelte, die er im Kaffeegarten gesehen hatte.
Wie aus dem Gesicht geschnitten!
*
Carla wachte recht früh auf. Zu Hause begann ihr Tag in der Regel um sechs Uhr morgens. Zwar war Praxisbeginn erst gegen acht, aber da sie auch im Labor arbeitete, fing sie schon früher an als die anderen Kolleginnen.
Gestern abend war sie noch eine Weile durch den Ort spaziert und hatte sich mit allem vertraut gemacht. Später verzehrte sie auf ihrem Zimmer den restlichen Proviant. Ab heute würde sie sich im Wirtshaus verpflegen müssen, in der Pension gab es nur Frühstück.
Wie reichhaltig das war, davon konnte sich die junge Arzthelferin überzeugen, als sie geduscht und sich angezogen hatte. In dem Raum, in dem die Gäste saßen und ihr Frühstück einnahmen, waren die Tische eingedeckt. Carla war unter den ersten, die herunterkamen. Ria begrüßte sie freundlich.
»Guten Morgen. Haben S’ gut geschlafen?«
»Wunderbar.«
»Dann setzen S’ sich, ich bring’ Ihnen gleich das Frühstück. Möchten S’ vielleicht ein gekochtes Ei?«
Eier gab es zu Hause sonst nur am Sonntag, aber heute wollte Carla mal eine Ausnahme machen und bat um ein weichgekochtes Ei. Außerdem wollte sie gerne Tee trinken. Ria versicherte ihr, daß das überhaupt kein Problem wäre.
Carla hatte den anderen Gästen grüßend zugenickt und Platz genommen. Die Wirtin kam kurz darauf an ihren Tisch und brachte einen übervollen Korb mit Brot und Semmeln, dazu eine Platte mit Aufschnitt und Käse. Kleine Töpfchen mit Marmelade und Honig standen auf jedem Tisch griffbereit. Der Tee wurde in einer Kanne serviert, und die Arzthelferin registrierte mit Freude, daß es sich um richtige Blätter handelte, die die Wirtin aufgebrüht hatte, und nicht um einen Teebeutel.
»Heut’ morgen ist’s ein bissel trüb draußen.« Ria deutete zum Fenster hinaus. »Sonst hätt’ ich draußen gedeckt. Aber morgen soll’s wieder schön werden.«
Sie schaute prüfend, ob eventuell noch etwas fehlen würde, und sagte, daß das Ei gleich käme.
Carla schenkte sich Tee ein und genoß den ersten Schluck. Sie schaute sich um. Es waren nur wenige andere Gäste, die an den Tischen saßen; die meisten schliefen wohl noch. Sie sah ein junges Paar, das sich gegenübersaß und verliebt anschaute, zwei Ehepaare hatten einen größeren Tisch für sich. Vermutlich waren sie zusammen hier. In der anderen Ecke hatten ein paar junge Burschen Platz genommen und unterhielten sich über eine Bergtour, die sie für den nächsten Tag geplant hatten.
Noch während Carla sich das Frühstück schmecken ließ, trudelten nach und nach die anderen Gäste ein, und die junge Frau wunderte sich, wie Ria Stubler das alles allein bewältigte; sie deckte auf und räumte ab, unterhielt sich nebenbei mit den Leuten und hatte für jeden ein freundliches Wort.
Bewundernswert, dachte die Arzthelferin, die Frau ging offenbar ganz und gar in ihrem Beruf auf.
Zwischendurch hatte sie einen Blick in die ausliegende Tageszeitung geworfen, aber nichts von Interesse entdeckt. Nachdem sie fertig war, ging Carla in ihr Zimmer hinauf und holte die kleine Tasche, in die sie alles hineingetan hatte, was ihr wichtig erschien; ihre Geburtsurkunde, das Dokument über die Adoption, die Heiratsurkunde der Eltern, den Brief der Mutter an sie. Vielleicht wollte ja jemand auf dem Amt irgend etwas Offizielles sehen, bevor man Auskunft gab.
Im Rathaus erlebte sie zunächst eine Enttäuschung. Das Einwohnermeldeamt befände sich in der Stadt, wurde ihr mitgeteilt. Zwar habe es vor Jahren hier auch eine Meldestelle gegeben, doch im Lauf der Modernisierung und Umstellung auf Computer wäre diese ausgelagert worden. Heutzutage wurden die Daten auf elektronischem Wege direkt zum Amt in der Kreisstadt weitergeleitet.
Carla sah ein, daß sie dort nichts weiter ausrichten konnte, und verließ das Rathaus wieder. Es blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als in die Stadt zu fahren.
Als sie schon auf dem Weg zu ihrem Auto war, das vor der Pension stand, fiel ihr der Rat ein, den Onkel Heinrich ihr gegeben hatte – das Kirchenarchiv.
Sie überquerte rasch die Straße und ging den Kiesweg hinauf, der zur Kirche führte. Ein kleines Schild wies auf das Pfarrhaus hin, in dem sich das Büro der Kirchengemeinde befinden sollte. Carla beschloß, ihr Glück dort zu versuchen. Ihr Herz klopfte vor Aufregung, als sie den Klingelknopf drückte. Es dauerte nicht lange, bis sie Schritte hörte und die Tür geöffnet wurde. Erstaunt blickte sie auf den Mann, der sie freundlich lächelnd ansah.
»Grüß Gott. Kann ich Ihnen helfen?« fragte er.
Carla blickte in ein markantes, leicht gebräuntes Gesicht.
Sollte das der Geistliche sein?
Sie konnte es kaum glauben; mit seiner sportlichen Figur sah der Mann eher aus wie ein prominenter Sportler oder Filmstar.
Sie überwand ihre Verwunderung und stellte sich vor.
»Grüß Gott. Mein Name ist Carla Brinkmann«, nickte sie. »Ich komme wegen einer Auskunft und hoffe tatsächlich, daß Sie mir weiterhelfen können, Herr…«
Natürlich hatte sie den Priesterkragen gesehen, war aber immer noch unsicher, wirklich einen Mann Gottes vor sich zu haben. Doch die nächsten Worte beseitigten jeden Zweifel.
»Ich bin Pfarrer Trenker«, sagte der Seelsorger. »Kommen S’ doch, bitt’ schön, herein, Frau Brinkmann.«
Er ließ die Besucherin eintreten und führte sie in sein Arbeitszimmer, wo er ihr einen Platz anbot.
»Kann ich Ihnen was zu trinken anbieten?«
»Vielen Dank, Hochwürden.« Carla schüttelte den Kopf. »Ich hab’ gerad’ erst gefrühstückt. Außerdem möcht’ ich Ihre Zeit net über Gebühr in Anspruch nehmen. Obwohl – ich fürcht’, es wird doch eine längere Geschichte…«
Der Bergpfarrer lächelte.
»Ich hab’ Zeit und ich hör’ gern’ zu«, meinte er. »Aber wissen S’ was? Wenn man viel redet, dann bekommt man leicht einen trockenen Mund, und ein Apfelsaft kann nie schaden. Meine Haushälterin macht ihn übrigens selbst.«
Sebastian öffnete die Tür.
»Frau