Während der Fahrt dachte er wieder an das, was Resl Wagner gesagt hatte. – Florian habe sich nach der Frau auf dem Gemälde erkundigt.
Genau an diesem Morgen!
Das war schon ein merkwürdiger Zufall.
Oder etwa doch nicht…?
Na ja, vielleicht war es doch ein Zufall, überlegte Sebastian. Eigentlich war es nicht möglich, daß Florian Carla Brinkmann kannte. Außerdem hatte die junge Arzthelferin die Frage der Bäuerin ja auch verneint.
Allerdings wollte ihm auch der Blick nicht aus dem Kopf gehen, mit dem Resl die junge Frau bedacht hatte.
Wie auch immer; Engelsbach kam in Sicht, und der Geistliche konzentrierte sich erst einmal auf das Gespräch, das vor ihm lag. Er hielt vor dem Pfarrhaus und stieg aus. Einen Moment glaubte er, nicht richtig zu sehen, als er meinte, daß eine Frau in Ordenstracht durch den Garten ging. Doch dann sah er, daß er sich nicht geirrt hatte. Es war tatsächlich eine Nonne, die an Blasius Eggensteiners Seite durch den Pfarrgarten schritt und auf den Amtsbruder einredete.
Sebastian Trenker machte sich bemerkbar und ging durch die Pforte.
»Grüß Gott zusammen«, sagte er.
Die beiden hatten sich umgedreht, und die Ordensfrau schaute den Besucher neugierig an. Der Pfarrer von St. Anna reagierte auf den Gruß mit einem kurzen Kopfnicken.
»Grüß dich, Blasius. Willst uns net miteinander bekannt machen?« fragte der Bergpfarrer, der dem Blick der Nonne nicht auswich.
»Ja, also, das ist Pfarrer Trenker aus St. Johann«, erklärte der Geistliche und deutete dann auf die Nonne. »Und das ist Schwester Klara.«
Sebastian reichte der Frau die Hand.
»Gelobt sei Jesus Christus«, murmelte sie, während sie die Hand schüttelte.
Der gute Hirte von St. Johann erwiderte den Gruß.
»Entschuldige, wenn ich vielleicht stör’«, bat er. »Aber ich müßte dich in einer dringenden Angelegenheit sprechen.«
Zu seiner Verwunderung nickte der Amtsbruder schnell und lächelte sogar.
»Ja, natürlich. Geh’n wir in mein Arbeitszimmer.«
Sebastian folgte ihm und wurde dabei den Eindruck nicht los, daß Blasius ganz froh war, der Nonne zu ›entkommen‹…
»Worum handelt es sich denn?« fragte der rundliche Geistliche, als sie sich gesetzt hatten.
Der Bergpfarrer erzählte von dem Besuch der jungen Frau und ihrer Suche nach dem Grab des Vaters.
»Ich fürcht’, da muß ich dich enttäuschen«, antwortete Blasius. »Hier auf dem Friedhof liegt er bestimmt net begraben. Gerad’ in der vergangenen Woche hatte ich dort eine Begehung mit dem Bürgermeister und noch einem von der Verwaltung. Der Friedhof wird allmählich zu klein. Wir haben alle Gräber überprüft, um festzustellen, ob welche darunter sind, die schon so alt sind, daß sie eingeebnet werden können. Der Name Starnmoser wär’ mir bestimmt aufgefallen.«
»Schade«, sagte Sebastian. »Ich hatte eigentlich so sehr darauf gehofft, hier das Grab zu finden.«
»Weiß denn niemand, wo die Hornbachers seinerzeit hingezogen sind?« erkundigte sich sein Amtsbruder.
»Nein, es gibt keine Spur von ihnen.«
Pfarrer Eggensteiner kratzte sich am Kinn.
»Hm«, sagte er dann schließlich, »wenn du willst, dann können wir natürlich noch mal die Kirchenbücher durchsehen.«
Sebastian war von soviel Entgegenkommen wirklich überrascht, aber wenn er auch nicht viel Hoffnung hatte, daß das Nachschlagen im Archiv etwas zutage fördern würde, stimmte er doch zu.
Schließlich mußte er die Laune des Geistlichen ausnutzen.
Sie gingen zur Kirche hinüber, und Sebastian sah auf dem Weg die Nonne am Gartenzaun stehen und ihnen nachblicken.
»Ich will net neugierig sein«, sagte er. »Aber diese Schwester Klara – wo kommt sie her und was will sie hier?«
Blasius Eggensteiner hatte die Tür geöffnet und ließ ihn eintreten. Dabei verzog er das Gesicht.
»Aus Regenburg kommt s’, von einem ›Orden der Barmherzigen Schwestern Maria‹ oder so ähnlich«, antwortete er, während sie den Mittelgang durchschritten. »Ihre Mutter Oberin hat sie losgeschickt, um Spenden zu sammeln, für irgendeine Sache, die der Orden unterstützen will.«
»Aha«, sagte Sebastian und zuckte die Schultern.
Eine merkwürdige Geschichte, dachte er, von einem Orden dieses Namens habe ich noch nix gehört.
Sie hatten die Sakristei erreicht, und sein Amtsbruder war schon dabei, das Buch mit den entsprechenden Jahrgängen herauszusuchen. Gemeinsam schauten sie die Eintragungen durch. Aber weder der Name Starnmoser noch Hornbacher tauchte dort auf.
»Tja, tut mir leid, daß ich dir net helfen konnte«, sagte Pfarrer Eggensteiner, und in seiner Stimme schien wirkliches Bedauern mitzuschwingen.
Sebastian hatte mit allem möglichen gerechnet, aber nicht damit, daß Blasius so freundlich zu ihm sein würde.
Es muß wohl etwas mit dem Besuch der Nonne zu tun haben, überlegte er auf der Rückfahrt nach St. Johann.
Er nahm sich vor, später nach dem Orden zu forschen, aus dem Schwester Klara kam. Irgendwie schien ihm die Angelegenheit mit der Spendensammlung äußerst merkwürdig.
War sie wirklich eine Nonne, die im Auftrag ihrer Mutter Oberin unterwegs war? Oder handelte es sich bei ihr um eine raffinierte Betrügerin?
Der gute Hirte von St. Johann beurteilte selten einen Menschen auf den ersten Blick. Aber in den langen Jahren, in denen er nun schon mit Menschen zu tun hatte, war ihm eine gewisses Gespür zu eigen geworden. Irgend etwas im Blick der Nonne hatte ihn nachdenklich gemacht. Er wußte nur nicht genau, was es war…, aber dieses Gespür, das hatte er.
*
Beim Abendessen erzählte Resl Wagner vom Besuch des Geistlichen und der jungen Frau. Während ihr Mann keine Bemerkung dazu machte, war Florian wie elektrisiert.
»Brinkmann heißt sie?« fragte er nach. »Carla Brinkmann?«
»Ja«, nickte seine Mutter und blickte ihn seltsam an. »Kennst du sie etwa?«
Der Bauernsohn schüttelte den Kopf und schaute geistesabwesend vor sich hin.
Florian ärgerte sich, daß er sie verpaßt hatte. Dabei hatte er sich am Morgen noch gedacht, daß die Frau vielleicht herkommen würde.
»Dann ist sie also eine aus der Familie Hornbacher«, stellte er fest.
»Ja«, entgegnete die Bäuerin. »Es ist wohl so, daß die Tochter der Hornbachers sich damals in einen Knecht vom Hof verliebt hat und mit ihm durchgebrannt ist. Leider ist der Mann, Starnmoser hat er geheißen, gestorben, als seine Frau ein Kind erwartete. Ein and’rer hat die Witwe später geheiratet und das Madl adoptiert.«
»Die Carla.«
»Genau. Und deshalb heißt sie Brinkmann, nach ihrem Adoptivvater.«
»Ist ja eine tolle Geschichte.«
»Na, ich weiß net. Für die Eltern von der Brigitte war das alles andere als toll«, erwiderte die Bäuerin. »Die Sache muß sie so mitgenommen haben, daß sie hier net länger bleiben wollten. Sie verkauften den Hof und zogen fort.«
Sie blickte ihren Mann an.
»Und du weißt wirklich nix darüber, wo sie abgeblieben sein könnten?«
Josef Wagner schüttelte den Kopf.
»Keinen blassen Schimmer hab’ ich«, antwortete er. »Ich frag’ mich bloß, warum diese Carla Brinkmann jetzt plötzlich auftaucht.«