»Dann laß mich doch mal ran«, schlug er vor.
Gemeinsam machten sie sich daran, die einzelnen Teile nochmals zu sortieren.
In der Küche hatte Ria unterdessen das Mittagessen fertig. Es gab gefüllte Krautwickel. Die Magd schaute abwechselnd auf die Uhr und aus dem Fenster. Schon zweimal hatte sie Krautwickel und Kartoffeln in Schüsseln gefüllt und auf den Tisch gestellt. Der Bauer legte großen Wert darauf, daß das Essen auf dem Tisch stand, wenn er hereinkam. Natürlich hatte Ria mit der Zeit gelernt, sich darauf einzurichten, genauso wie Kathrin, wenn sie gekocht hatte. Doch heute klappte es überhaupt nicht. Nach zehn Minuten war das Essen schon so weit wieder abgekühlt, daß die Magd es in die Töpfe zurückfüllte und wieder aufwärmte.
Zwischendurch warf sie einen Blick nach draußen. Jetzt war nicht nur der Bauer immer noch im Stall. Toni ließ auch auf sich warten.
Nach einer weiteren Viertelstunde war die Magd überzeugt, das Essen wieder auftragen zu können. Es wurde auch höchste Zeit; der Kohl, in dem das Hackfleisch eingewickelt war, hatte durch das erneute Aufwärmen an Konsistenz verloren. Er war weich und labbrig geworden. Wenn die Wickel noch länger im Topf auf dem Herd blieben, bestand die Gefahr, daß sich das schöne Gericht in einen matschigen Eintopf verwandelte.
»Wo bleiben s’ denn nur?« murmelte Ria vor sich hin, während sie die Kartoffeln aus dem Topf kratzte, die schon am Boden angesetzt hatten.
Endlich hörte sie die Tür gehen. Aber da waren schon wieder fünf Minuten vorüber.
»Himmel, war das eine Arbeit!« stöhnte Toni, als er und sein Vater eintraten. »Aber jetzt funktioniert die Anlage wieder.«
Er setzte sich auf seinen Platz und nahm sich Kartoffeln aus der Schüssel. Der Bauer hatte sich noch rasch ein Bier aus dem Kühlschrank geholt. Die nervenaufreibende Arbeit hatte ihn durstig gemacht. Nachdem er einen tiefen Schluck genommen hatte, hockte er sich auf seinen Stuhl und griff nach der Schüssel mit den Krautwickeln.
Einen Moment schaute Hubert Sonnenleitner aus, als überlege er, was das da wohl sein könne, was er in der Hand hielt. Er nahm den Löffel und wollte einen Krautwickel herausnehmen. Der Kohl, vom langen Warmhalten weich geworden, fiel auseinander, und das Hackfleisch auf den Teller.
Der Bauer sah die Magd an.
»Was ist das denn?« polterte er los.
»Krautwickel…«, antwortete Ria leise.
»Krautwickel?« brüllte Hubert Sonnenleitner so laut, daß sogar sein Sohn zusammenzuckte. »Soll ich dir sagen, was das ist? Schweinefraß! Jawohl, Schweinefraß!«
Dieser Vorwurf brachte das Faß zum Überlaufen. Ria hatte in den letzten Tagen wirklich eine Engelsgeduld bewiesen, sich viel gefallen lassen und über so manche Ungerechtigkeit hinweggesehen.
Doch was zuviel war, war zuviel!
Hinzu kam, daß Toni es noch immer nicht gewagt hatte, seinem Vater über sich und Ria reinen Wein einzuschenken. Jetzt hatte sie wirklich die Nase voll.
»Ja, Himmelherrgott, was glaubst’ denn eigentlich, wer du bist?« fuhr sie den überraschten Bauern an. »Ich laß es mir net mehr länger gefallen, wie ich hier behandelt werd’. Komm gefälligst pünktlich zum Essen, dann brauchst’ dich auch net zu beschweren. Dreimal hab’ ich’s aufwärmen müssen, da kann’s ja net so schmecken, wie’s eigentlich soll.
Und überhaupt, Bauer, ich hab’ mir in den letzten Tagen viel gefallen lassen. Viel zuviel! Und jetzt hab’ ich genug, wenn du noch einmal deine schlechte Laune an mir ausläßt, dann werf’ ich dir den ganzen Kram vor die Füß’, und dann kannst’ sehen, wie du zurechtkommst!«
Ria hatte es mit Wut in der Stimme und Tränen in den Augen gesagt. Jetzt schaute sie Toni an, der verlegen den Blick senkte – und schwieg.
*
Hubert Sonnenleitner war im ersten Moment so verblüfft, daß er gar nichts sagen konnte. Solch einen Gefühlsausbruch hatte er bei der Magd noch nie erlebt. Nachdem sich dann seine Überraschung gelegt hatte, lief sein Gesicht dunkelrot an, und auf der Stirn schwellte eine dicke Zornesader.
»Was sagst’ mir da?« rief er. »Meinen Kram allein’ machen? Bitt’ schön, das kannst haben. Du bist entlassen. Und zwar fristlos!«
Ria, die bei ihrem Zornesausbruch über die ungerechte Behandlung von ihrem Stuhl aufgesprungen war, stand immer noch am Tisch. Ihr Herz klopfte vor Aufregung und Ärger. Sie warf Toni einen unsicheren Blick zu.
»Jetzt sag’ du doch auch mal was!« rief sie.
»Der hat nix zu sagen«, brüllte Hubert Sonnenleitner. »Net, solang’ ich noch Herr im Haus bin.«
Toni räusperte sich. Er hatte dem ganzen Streit beigewohnt, ohne sich einzumischen. Natürlich war es ihm ein Dorn im Auge, wie sein Vater Ria behandelte, doch bisher hatte er nicht gewagt, dagegen anzugehen. Doch jetzt sah er ein, daß es an der Zeit war, Partei zu ergreifen.
»Ria hat recht, Vater«, sagte er mit fester Stimme. »Du hast sie in der letzten Zeit ungerecht behandelt. Und daß das Essen verkocht ist, dafür kann sie ja nun wirklich nix.«
Der Bauer hatte erneut einen tiefen Schluck aus der Bierflasche genommen. Er wischte sich über den Schnauzbart und blickte seinen Sohn aus engen Augenschlitzen an.
»Was mischst’ dich da ein?« raunzte er Toni an. »Ich red’ hier wohl gegen die Wand, was? Noch lieg’ ich net unter der Erde, und auf dem Hof wird getan, was ich anordne. Ria ist entlassen. Sie kann ihre Sachen packen und gehen. Den Lohn für den Rest des Monats kannst’ ihr nachher auszahlen.«
»Einen Dreck werd’ ich«, fuhr Toni hoch. »Und wenn sie gehen muß, Vater, dann geh’ ich mit.«
Der Bauer riß die Augen auf. Ungläubig sah er zu, wie sein Sohn zu der Magd ging und seinen Arm um sie legte.
»So ist das also«, murmelte er.
Toni Sonnenleitner nickte.
»Ja, Vater, so ist es. Ria und ich, wir lieben uns. Wir sind ein Paar, und ich hab’s dir eigentlich schon lang’ sagen wollen. Aber ich hab’ mich net getraut. Doch was du dir heut’ geleistet hast, das kann ich mir net mehr länger ansehen. Mit der Kathrin hast’ es dir verdorben, und mich wirst jetzt auch los.«
Hubert Sonnenleitner schaute, als zweifle er an Tonis Verstand. Langsam stemmte er sich am Tisch hoch und atmete schwer.
»Dann geh!« brüllte er. »Los, verschwind! Du brauchst mir net wieder unter die Augen zu kommen. Überhaupt keiner. Ich hab’ keine Kinder mehr.«
Toni zog scharf die Luft ein. Eben hatte er für einen Moment die Hoffnung gehabt, sein Vater würde einsehen, daß er unrecht hatte und einlenken, wenn er sah, wie sein Sohn zu der Magd stand. Doch das stellte sich als Irrtum heraus. Er sah Ria an und nickte.
»Gut, dann gehen wir eben.«
Sie war nicht sicher gewesen, daß Toni in dieser Situation tatsächlich zu ihr halten würde, aber als er jetzt gegen seinen Vater aufbegehrte, da liebte sie ihn mehr als je zuvor. Deutlicher konnte er ihr nicht zeigen, daß sie zusammengehörten.
Der Bauernsohn nahm ihre Hand und zog sie mit sich.
»Was fangen wir denn jetzt an?« fragte sie, als sie dann auf dem Hof standen.
»Ich hab’ keine Ahnung«, gestand er. »Nur, daß es so net weitergehen konnt’, das weiß ich.«
Er lächelte sie an.
»Fahren wir zum Pahlingerhof«, schlug er vor. »Vielleicht können wir da für den Anfang unterkommen.«
Während sie in aller Eile ein paar Sachen zusammenpackten, ließ sich der Sonnenleitnerbauer nicht sehen. Vielleicht hatte Toni die Hoffnung, daß sein Vater es sich doch noch einmal überlegt hatte, doch als sie die Sachen ins Auto schafften