»Das mein’ ich net. Über uns müssen wir reden.«
Er sah sie schweigend an.
»Du weißt, daß ich dich immer noch liebe«, fuhr sie fort. »Und daß ich von einer gemeinsamen Zukunft träume. Warum bist’ immer noch so abweisend? Als du mich damals fortgeschickt hast, da hattest du deine Gründe. Ich konnt’ sie sogar verstehen, auch wenn’s mir sehr wehgetan hat. Aber jetzt sieht’s doch ganz anders aus. Du bist net mehr der arme Schlucker und brauchst dich net vor meinem Vater zu schämen.«
Wolfgang Pahlinger schluckte. Als wenn er das nicht alles längst schon selbst überlegt hätte. Trotzdem, es ging einfach nicht. Er konnte Kathrin doch nicht wie einen Spielball hin- und herschieben.
Langsam schüttelte er den Kopf, und in seinen Augen lag ein unendlich trauriger Blick.
»Ich fürcht’, es ist zu spät, Kathrin«, sagte er mit rauher Stimme. »Es kann net mehr so werden wie früher.«
Er ging ins Haus, während sie stehenblieb und ihm fassungslos hinterher sah. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, wie so oft in den letzten Tagen und Wochen.
*
Während auf dem Pahlingerhof alles seinen gewohnten Gang nahm, sah es auf dem Nachbarhof anders aus. Hubert Sonnenleitner merkte, wie ihm die Arbeit allmählich über den Kopf wuchs. Waren es früher drei Leute gewesen, als Kathrin noch da war, sogar vier, die mit anpackten, mußte er jetzt alles bewältigen. Dementsprechend sah es auch bald so auf dem Berghof aus.
Der Bauer hatte mit den Kühen, Feldern und dem Bergwald genug zu tun, so daß er kaum noch dazu kam, sich um das Haus zu kümmern. Hinzu kam, daß er noch nie in seinem Leben einen Staubsauger in die Hand genommen hatte, geschweige denn gespült, gekocht oder gewaschen hätte. Die Anzeige auf der Waschmaschine war für ihn ein Buch mit sieben Siegeln, und als sein erster Versuch, ein paar Hemden, Socken und Unterwäsche zu waschen, kläglich scheiterte, gab er es schließlich auf. Abends saß er dumpf brütend in der Küche und starrte auf die Berge schmutzigen Geschirrs und verfluchte die beiden, die er für seine Situation verantwortlich machte.
Das war zum einen Ria, in erster Linie aber Wolfgang Pahlinger.
Himmel, wie haßte er diesen Kerl, der das ganze heile Leben seiner Familie durcheinandergebracht hatte.
In solchen Momenten hätte er liebend gerne zu seinem Jagdgewehr gegriffen und dem Burschen das Lebenslicht ausgepustet.
Einige Male war Pfarrer Trenker heraufgekommen und hatte sich nach dem Befinden des Bauern erkundigt. Natürlich packte der Geistliche auch mit an, und Hubert Sonnenleitner war ihm dankbar dafür. Doch auf die mahnenden Worte des Geistlichen konnte er liebend gern verzichten.
Seufzend erhob sich der Bauer und ging schlafen. Morgen würde es wieder ein harter Tag werden, und er mußte ausgeschlafen sein.
Trotzdem fühlte er sich am nächsten Morgen wie gerädert. In der Nacht hatte er Magenschmerzen bekommen, die so schlimm geworden waren, daß er schließlich aufstand und im Apothekenschrank nach einem Mittel suchte. Allerdings kannte er sich darin nicht aus und wußte nicht, welches Medikament er nehmen sollte. Die Kopfschmerztabletten konnten es wohl nicht sein, und die Pillen, die der Doktor ihm mal wegen eines Rheumaleidens verschrieben hatte, kamen auch nicht in Betracht.
Schließlich fand er ein Mittel gegen Sodbrennen. Er kaute zwei Tabletten und legte sich wieder hin. An Schlaf war allerdings nicht mehr zu denken. Zum einen ging ihm viel zuviel im Kopf herum, zum anderen half das Medikament nicht gegen die Schmerzen im Bauch. Erst gegen Morgen besserte sich sein Zustand etwas, und der Bauer stand auf.
Wahrscheinlich liegt’s am Essen, überlegte er.
Bis vor ein paar Tagen hatte er sich noch von dem ernährt, was Speisekammer und Kühlschrank hergaben. Doch inzwischen waren die Vorräte aufgebraucht, und der Bauer aß nur noch Brot mit Wurst und Käse. Allerdings davon auch nur wenig, denn rechten Appetit hatte er nicht.
Nach der morgendlichen Arbeit wollte er aufs Feld hinausfahren. Nicht mehr lange, und das Getreide mußte gemäht werden. Hubert Sonnenleitner hatte keine Ahnung, wie er das alles alleine schaffen sollte, und zum ersten Mal zog er in Erwägung, einen Knecht einzustellen.
Doch vorläufig kam er nicht dazu, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen, denn als er auf dem Traktor saß und den Motor starten wollte, hörte er nur ein knarrendes Geräusch, das wieder erstarb. Ansonsten blieb das Fahrzeug stumm.
Fluchend kletterte der Bauer aus dem Führerhaus und machte sich auf die Suche nach dem Fehler. Er mußte lange suchen und eine Engelsgeduld beweisen, ehe er herausgefunden hatte, daß die Glühkerzen hinüber waren. Zu seinem Ärger hatte er kein Ersatzteil zu Hause. Er würde also erst ins Dorf hinunterfahren und neue Kerzen besorgen müssen.
Verärgert stieg er in sein Auto und fuhr vom Hof. Daß ihn sein Weg am Pahlingerhof vorbeiführte, ließ seinen Blutdruck nur noch mehr ansteigen.
Von Pfarrer Trenker hatte er erfahren, daß sein mißratener Sohn ebenfalls dort Unterschlupf gefunden hatte, und für Hubert Sonnenleitner stand fest, daß der vermaledeite Nachbar die alleinige Schuld dafür hatte, daß es mit der Familie bergab gegangen war.
Eigentlich wollte er stur an dem Hof vorbeifahren, doch dann wandte er doch den Kopf und sah den Mann, den er bis aufs Blut haßte.
Abrupt trat er auf die Bremse, und der Wagen kam mit quietschenden Reifen zum Stehen.
Hubert Sonnenleitner sprang heraus und stürzte sich auf Wolfgang Pahlinger, der völlig ahnungslos am Weidezaun stand und seine Kühe betrachtete.
»Was ist…?« wollte er fragen, als er von harter Hand herumgerissen wurde.
Ehe er weitersprechen konnte, hatte er auch schon eine Faust im Gesicht.
»Ich schlag’ dich tot!« brüllte der Sonnenleitner.
Im Nu waren sie ein Knäuel, das sich über den Hof wälzte. Mal war Wolfgang obenauf, mal der Angreifer. Die Stelle, wo ihn die Faust getroffen hatte, war gerötet und stark angeschwollen. Doch der junge Bauer spürte den Schmerz nicht. Außerdem hatte er alle Mühe, zu verhindern, daß der Sonnenleitner ihm die Luft abdrückte.
»Bist’ wahnsinnig geworden?« ächzte er und versuchte, die Hand von seinem Hals zu lösen.
»Ich bring’ dich um, du Lumpenhund!« schrie der Nachbar.
Im Haus war man inzwischen auf den Lärm aufmerksam geworden, den die beiden Kontrahenten veranstalteten. Kathrin und Ria stürmten heraus, Toni war vor wenigen Augenblicken vom Hof gefahren.
Leider!
Er wäre wohl der einzige gewesen, der die beiden hätte wieder auseinanderbringen können.
Doch Kathrin wußte sich auch so zu helfen. Im ersten Moment war sie noch starr vor Schrecken gewesen, als sie erkannte, daß es ihr eigener Vater war, der sich da mit Wolfgang prügelte. Doch dann lief sie zur Scheune. Das Gebäude war erst vor ein paar Tagen fertiggestellt worden. Die Bauerntochter nahm den Wasserschlauch, der an der Wand aufgerollt hing, und drehte den Hahn auf. Dann lief sie zurück und richtete den Strahl auf die beiden Männer, die sich immer noch am Boden wälzten.
»Auseinander!« brüllte sie. »Ihr habt wohl völlig den Verstand verloren!«
*
Das Wasser war kalt. Eisig kalt sogar, und der kräftige Strahl hatte Hubert Sonnenleitner genau ins Gesicht getroffen. Unwillkürlich hatte er den Hals seines Gegners losgelassen und rappelte sich fluchend auf.
Wolfgang kam ebenfalls auf die Beine. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund.
Kathrin reichte Ria den Schlauch. Die Magd hatte die ganze Zeit dabeigestanden und wußte nicht, ob sie über die Szene, die sich ihr da bot, lachen oder weinen sollte. Jetzt lief sie zur Scheune zurück und drehte das Wasser ab.
Die Bauerntochter stand vor den beiden Männern, die Hände in die Hüfte gestemmt, und funkelte