Christel und Tobias räumten die Gläser aus dem Wohnzimmer in die Küche und wuschen sie ab. Es war spät geworden, dennoch setzten sie sich einen Moment noch auf die Bank vor dem Haus und schauten zum sternenübersäten Himmel hinauf.
»Was glaubst’ denn, wie lang’s dauern wird, bis wir mit dem Bau anfangen können?« fragte Christel.
Eines Tages würde Tobias den Hof übernehmen, aber noch waren die Eltern gesund und tatkräftig. Bis sie sich auf das Altenteil zurückzogen, würde es noch ein paar Jahre dauern. Bis dahin wollte das junge Paar in den Anbau ziehen, der hinter dem Bauernhaus entstehen sollte. Die Pläne lagen schon fix und fertig beim Architekten.
»Ich denk’, spätestens nach der Ernte«, meinte Tobias.
Er war groß und schlank und sah sehr gut aus, auch wenn er Arbeitskleidung trug. Früher war er ein rechter Hallodri gewesen, der den Madln die Köpfe verdreht hatte. Doch seit er mit Christel Berger zusammen war, hatte er keine andere Frau mehr angeschaut.
Dabei hatte es früher überhaupt nicht danach ausgesehen, als wenn aus den beiden einmal ein Paar würde. Die Schulbank hatten sie zusammen gedrückt, und Tobias, der damals ein recht frecher Bub gewesen war, hatte der Christel immer an den blonden Zöpfen gezogen. Die fand Buben damals noch blöd und ärgerte sich über diese Dreistigkeit.
Jahrelang war sie dann aus dem Wachnertal verschwunden, als sie in München studiert hatte. Zwar kam sie ab und zu, in den Semesterferien, aber da trafen sie und Tobias nur selten aufeinander. Erst als es Christel wieder ganz in die Heimat zog, sahen sie sich öfters, besonders auf dem Tanzabend im Löwen. Und da funkte es dann auch zwischen ihnen.
Christel hatte eine Stelle in der Kreisstadt angenommen und, um nicht immer fahren zu müssen, dort eine kleine Wohnung gemietet. Aber an den Wochenenden kam sie nach Hause zu ihren Eltern, die ein Haus in St. Johann bewohnten.
»Ich kann’s gar net abwarten, bis wir endlich zusammen wohnen«, seufzte Christel.
»Ich auch net«, antwortete Tobias und zog sie an sich.
Sie küßten sich, und Christel löste sich nur widerwillig aus seinen Armen.
»Jetzt muß ich aber los«, sagte sie. »Morgen muß ich noch arbeiten, und dann hab’ ich erst mal Urlaub. Und morgen kommt auch Kathrin.«
Tobias begleitete sie zu ihrem Auto. Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sie sich trennen konnten. Als Christel über die Bergstraße hinunter ins Dorf fuhr, dachte sie an die Freundin und den Tischherrn, den sie für Kathrin ausgesucht hatte.
Es hatte lange Diskussionen gegeben, ob Ingo überhaupt eingeladen werden sollte. Er galt in der Familie ihres Verlobten als Außenseiter, irgendwie verschroben. Doch Christel hatte darauf bestanden, schließlich war er Tobias’ Cousin und gehörte einfach dazu. Außerdem mochte sie ihn. Ingo pfiff auf Konventionen und lebte so, wie es ihm gefiel. Seine große Leidenschaft war die Malerei, und wenn er auch den großen Durchbruch noch nicht geschafft hatte; Christel fand seine Bilder toll und war überzeugt, daß er eines Tages Erfolg haben würde.
Daß sie ihn ausgerechnet als Tischherrn für die Freundin auserkoren hatte, war nicht ohne Grund geschehen. Kathrin dachte ähnlich wie sie selbst. Sie kannte keine Vorurteile und betrachtete erst den Menschen genau, ehe sie ihre Meinung über ihn kundtat. Auf Äußerlichkeiten gab sie genauso wenig, wie Christel, und die junge Braut hoffte, daß Kathrin als seine Tischdame möglicherweise aufkommende Wogen glättete.
*
Die Zeit raste. Zwischen Arbeit und den Hochzeitsvorbereitungen merkte Kathrin gar nicht, wie rasch die Wochen vergingen, und ehe sie sich versah, war ihr letzter Arbeitstag da. Zu Hause standen schon die fertig gepackten Koffer, denn gleich am nächsten Tag sollte es losgehen. Sie verabschiedete sich von den Kolleginnen und setzte sich aufatmend in ihr Auto.
Kathrin wollte gerade von dem firmeneigenen Parkplatz fahren, als es an ihre Scheibe klopfte.
Draußen stand Matthias Wagner und bedeutete ihr, das Fenster zu öffnen.
»Ich wollt’ dir noch schnell einen schönen Urlaub wünschen«, sagte der dreißigjährige Leiter der Abteilung Produktentwicklung. »Schade, daß es mit meinem Urlaub net geklappt hat.«
Kathrin lächelte. Daß Matthias in sie verliebt war, das war kein Geheimnis. Mehr als einmal hatte er sie schon eingeladen, mit ihm ins Kino, Theater oder Restaurant zu gehen. Einige Male hatte sie zugestimmt. Sie mochte ihn zwar, auf eine Art, aber mehr empfand sie für ihn nicht. Als Matthias herausfand, daß Kathrin in diesem Jahr nicht mit ihrer Freundin verreisen würde, da hatte er sofort seine Chance gewittert. Doch leider klappte es, zu seinem Leidwesen, nicht mit der Urlaubsplanung. Ein neues Produkt sollte in ein paar Wochen auf den Markt kommen, und die Arbeiten daran liefen auf Hochtouren. Da war es unmöglich, daß der Leiter der Abteilung seinen Urlaub nahm.
»Ich wünsch’ dir eine schöne Zeit«, sagte Matthias. »Und bleib’ mir treu.«
Auch wenn die letzte Bemerkung scherzhaft klingen sollte, so wußte Kathrin doch, wie ernst sie ihm war. Sie lächelte.
»Paß auf, daß der Laden hier net abbrennt«, gab sie augenzwinkernd zurück und winkte ihm zu.
»Schreib’ mal«, rief Matthias und sah dem davonfahrenden Auto hinterher.
Himmel, was für eine Frau, ging es ihm durch den Kopf.
Dunkelrotes Haar, ein apartes Gesicht, mit zwei grünen Augen, die wie Smaragde funkeln konnten und dazu eine Figur, die jeden Mann ins Träumen brachte.
Was würde er darum geben, wenn sie ihn auch lieben würde!
Kathrin fuhr währenddessen so schnell wie möglich nach Hause. Abendessen, schnell unter die Dusche und dann ins Bett. Morgen sollte es in aller Herrgottsfrühe losgehen.
So sehr sie sich auf die Hochzeit freute, beinahe noch mehr freute sie sich auf drei Wochen Urlaub, die vor ihr lagen. Zwischendurch hatte sie natürlich mehrmals mit Christel telefoniert, und die Freundin hatte ihr versichert, daß Tobias und sie ihre Hochzeitsreise erst für den Herbst geplant hatten. Ihre Schwiegereltern besaßen einen Bauernhof, und da war Tobias um diese Jahreszeit unabkömmlich. Es sei ohnehin schon ein Wunder, daß es mit dem Hochzeitstermin gerade noch so gegangen sei. Christel würde also Zeit für die Freundin erübrigen können. Außerdem war da noch Pfarrer Trenker, der sich schon darauf freute, Kathrin wiederzusehen und mit ihr eine gemeinsame Bergtour zu unternehmen.
Am nächsten Morgen packte Kathrin ihr Kleid, das sie extra für die Feier gekauft hatte, zuletzt in das Auto. Vorsichtig hatte sie das gute Stück in einen Kleidersack gehängt, damit es nicht zerknitterte. Die Zweitschlüssel für Wohnung und Briefkasten legte sie unter die Fußmatte des Nachbarn. Norbert würde sich, wie er es immer tat, um Post und Blumen kümmern.
Schnell war sie aus München heraus, noch hatte der morgendliche Verkehr nicht eingesetzt, und als Kathrin schließlich den Zubringer auf die Autobahn erreichte, da war sie mit ihren Gedanken schon in St. Johann.
Himmel, wie freute sie sich, sie alle wiederzusehen. Den hübschen, kleinen Ort, Christel und ihre Familie, und vor allem freute sie sich auf die Hochzeit.
Allerdings war sie auch ein wenig skeptisch. Christel hatte nur Andeutungen gemacht, betreffend des Tischpartners, den sie für Kathrin ausgesucht hatte. Ein naher Verwandter Tobias’ sollte es sein, mehr wollte sie nicht verraten.
Aber der merkwürdige Unterton in der Stimme der Freundin, der wollte Kathrin nicht aus dem Kopf gehen…
Gegen Mittag erreichte sie St. Johann. Christels Eltern besaßen ein Haus, das am anderen Ende des Ortes lag. Als Kathrin durch das Dorf fuhr, fühlte sie sich gleich heimisch. Alles strahlte Ruhe und Gemütlichkeit aus, und der Anblick der Kirche weckte Erinnerungen an die vielen gemeinsamen Bergtouren, die sie und die Freundin mit Pfarrer Trenker unternommen hatten.
Da Christel heute ihren letzten Arbeitstag hatte, hatten