Die zweifelhafte Miss DeLancey. Carolyn Miller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolyn Miller
Издательство: Bookwire
Серия: Regency-Romantik
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783775174862
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Bord.

      Ben hievte den korpulenten alten Major Dumfrey auf eine hölzerne Planke, befahl ihm, sich festzuhalten, und tauchte unter den Wellen nach Miss York.

      Wo war sie? Panik presste ihm die Brust zusammen. Er konnte die Tochter des Admirals nicht ertrinken lassen. Er würde die Tochter des Admirals nicht ertrinken lassen! Herr, hilf!

      Da!

      Ihr weißes Kleid schwebte wie Engelsflügel um sie herum. Er streckte die Hand aus, griff nach ihrem Kleid und zog sie mit aller Kraft an die Wasseroberfläche.

      »Ich habe Sie«, stieß er, erneut Wasser spuckend, aus, legte einen Arm um ihre Brust und begann verzweifelt, ans Ufer zu schwimmen. Die Wellen zogen ihn immer wieder hinaus. Seine Muskeln brannten. Er presste die Zähne zusammen und kämpfte weiter. Er würde es schaffen! Er musste!

      Die Korallen ritzten und schnitten. Weiter vorn sah er Männer auf dem Sand zusammenbrechen. Über dem erbarmungslosen Rauschen des Regens und der Wellen hörte er das Schleifen von Holz, sah, wie die Frauen und Kinder aus dem kleinen Boot geholt und an Land getragen wurden.

      Er sah die Frau an, die er im Arm hielt. Ihre Augen waren offen. Sie sprach nicht, wahrscheinlich verschloss ihr die Angst den Mund. An ihrer Stirn sickerte ein kleines Rinnsal Blut herunter. Wenigstens kämpfte sie nicht gegen ihn, nicht wie andere Menschen in Panik, wie er es auch schon gesehen hatte.

      Endlich fanden seine Füße festen Boden, seine Knie schrien nach Ruhe.

      »Kapitän!«

      Hände streckten sich aus, befreiten ihn von seiner Last.

      Er stolperte auf den Sand, brach keuchend zusammen. Er war nicht mehr der Jüngling von einst, doch mit neunundzwanzig war er noch immer einer der jüngsten Kapitäne der Königlichen Marine.

      Er stemmte sich hoch, schwankte kurz, weil sein Knie ihn nicht trug, und ließ den Blick über den Uferstreifen voller durchnässter, verschmutzter Menschen schweifen. »Fehlt jemand?«

      Lancaster zählte die Köpfe. »Alle vollzählig anwesend.«

      »Gott sei Dank!« Er erteilte noch ein paar Befehle. Plötzlich sah er, dass sein Zweiter Leutnant auf eine Stelle hinter ihm blickte. Er drehte sich um und sah sich einer weiteren Katastrophe gegenüber. Der Wundarzt des Schiffs blickte von Miss Yorks leblosem Körper auf und schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, Sir.«

      Erst in diesem Augenblick war ihm die Bitterkeit des Rettungswunders bewusst geworden.

      »Es tut mir leid, Sir.« Die Stimme des Dieners holte ihn ins Hier und Jetzt zurück. Die schrecklichen Szenen verblassten; der Garten tauchte wieder auf. Ben schluckte. Schüttelte den Kopf. Wenn er die Erinnerungen doch auch so abschütteln könnte!

      Er zwang seine Gedanken zurück in die Gegenwart und drehte sich zu seinem Bruder um, jenem Bruder, der ihn nie verstanden hatte und leider wohl auch nie verstehen würde. »Um noch einmal auf Tessa zu kommen. Hast du irgendwelche Pläne für die Zukunft deiner Schwester?«

      »Ich muss zugeben, dass ich darüber noch gar nicht nachgedacht habe.«

      Das überraschte Ben nicht. »Dann sollten wir allmählich damit anfangen. Ich muss bald nach London, danach gehe ich zurück nach Brighton, aber ich glaube nicht, dass es Mattie gefällt, wenn wir uns noch länger bei ihr herumdrücken.«

      »McPherson ist wohl zu knauserig, was?«

      Ben ballte die Fäuste und atmete tief ein, um seine Stimme wieder in die Gewalt zu bekommen. »Er ist überhaupt nicht knauserig. Ganz im Gegensatz zu anderen.« Er sah seinen Bruder ruhig an.

      George wurde rot. »Ich weiß gar nicht, wie du dir das vorstellst. Was soll ich denn mit dem Mädchen anfangen?«

      »Sie ist deine Schwester. Lade doch Tante Adeline ein. Jedenfalls trägst du die Verantwortung für Tessa, jetzt, wo du das Familienoberhaupt bist.«

      »Aber warum kannst du nicht …«

      »Weil ich nicht glaube, unsere Schwester gut verheiraten zu können, wenn sie unter den Umständen, die ich mir leisten kann, im kargen Haushalt eines Junggesellen wohnt.«

      George stand vor Verblüffung der Mund offen. »Wie meinst du das? Hast du denn nicht eine Riesensumme für deine Heldentaten erhalten?«

      »Der Prinzregent hat es mir zugesagt, ja, aber ich habe noch keinen Penny gesehen.« Er kämpfte gegen die wachsende Frustration an. Er wollte nicht von einem königlichen Versprechen abhängig sein, aber das Geld käme ihm im Moment sehr gelegen. Den größten Teils seines eigenen Geldes hatte er den Witwen von Smith und Anderson gegeben. Die beiden Seeleute hatten zwar den Schiffbruch überlebt, waren aber drei Wochen später an Malaria gestorben. Es schien ihm nicht richtig, Geld zu besitzen, wenn zwei Leute aus seiner Mannschaft Familien hatten, die Not litten.

      Er zwang seine Gedanken zurück zum gegenwärtigen Thema. »Außerdem, was ich auch verdient habe, ist nichts im Gegensatz zu deinem Einkommen als Baronet.«

      Sein älterer Bruder kniff die Augen zusammen.

      Ben unterdrückte ein Seufzen. Vielleicht war es Zeit für eine emotionalere Ermahnung. »Liebst du deine Schwester denn gar nicht, George?«

      »Natürlich tue ich das!«

      »Dann wäre es vielleicht an der Zeit, es zu beweisen.«

      »Aber, aber …«

      »Um Himmels willen! Gut. Gib mir die Mittel, dann richte ich ihr ein Haus ein.«

      «Du hast gar nichts?« George quollen beinahe die Augen aus dem Kopf. »Ich dachte …«

      »Ich weiß, was du dachtest! Und ich sehe auch, was du im Moment denkst.«

      »George will mich nicht?«

      Die leise Stimme ließ ihn zur Tür blicken. »Tessa!«

      George wurde dunkelrot. »Tessa, meine Liebe, natürlich freue ich mich, wenn du bei mir bleibst!«

      »Ich glaube dir nicht.« Sie presste die Lippen zusammen und sah Ben flehend an. »Bitte nimm mich wieder mit!«

      Er holte tief Luft. »Ich wünschte, ich könnte es. Vielleicht wenn ich mich eingerichtet habe …«

      »Wann wird das sein?«, fragte George. Es klang beinahe höhnisch. »Ich könnte mir denken, dass es mehr als genug Damen gibt, die gern einen Helden kennenlernen würden.«

      Wenn ja, dann war er noch keiner begegnet.

      »Warum redest du immer so mit ihm, George?«, fragte Tessa und sah zwischen ihnen beiden hin und her. »Es klingt, als seist du neidisch.«

      Ben warf seiner Schwester einen dankbaren Blick zu und setzte rasch wieder eine nichtssagende Miene auf, bevor George zu ihm herübersah.

      »Einen dermaßen schlecht gekleideten Mann würde ich nicht beneiden, und wenn mein Leben davon abhinge.«

      Ben unterdrückte ein ironisches Lachen. »Hoffen wir, dass es nicht so weit kommt.«

      Sein Bruder runzelte die Stirn und Ben nutzte seine momentane Verwirrung, um Tessa aus dem Zimmer zu ziehen. Nach ein paar Minuten eiliger Erklärungen war sie bereit, ein oder zwei Wochen zu bleiben. Trotz seines Zögerns besaß George doch einen Sinn für familiäre Pflichten, hoffte Ben jedenfalls.

      »Und ich verspreche, dich bald nach London zu holen.«

      »Aber nicht zurück nach Brighton?«

      Er drückte sie liebevoll. »Wir wollen doch Mattie und David mal ein bisschen Ruhe gönnen, oder? Sie haben gerade erst geheiratet.«

      Sie nickte langsam. »Ich hoffe, ich war keine Last für sie.«

      »Eine Last? Du? Niemals!«

      Tessa lachte und die Anspannung löste sich. Beide empfanden eine seltsame Mischung aus Zuversicht und