Die zweifelhafte Miss DeLancey. Carolyn Miller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolyn Miller
Издательство: Bookwire
Серия: Regency-Romantik
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783775174862
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dem alles so war, wie es sein sollte. Und während sie ihren Zuhörern ein wenig Erleichterung und Ablenkung verschaffte, besänftigten die Melodien, die sie spielte, auch ihre eigene Seele.

      Sie blickte auf und sah voller Freude, wie diese Männer mit ihren Verbänden, die einen Arm oder ein Bein verloren hatten, die Augen schlossen und lächelten. Immer wenn sie spielte, schienen die Männer für einen Augenblick ihre Sorgen zu vergessen. Ihre Mutter hatte recht, manche lächelten sie an, doch sie achtete nicht darauf. Sie erwiderte ihr Lächeln, auch wenn Matilda meinte, sie solle sie nicht ermutigen, nach den Sternen zu greifen. »Denn es ist auf den ersten Blick zu sehen, dass Sie eine feine Dame sind.«

      Also brauchte Mutter sich vielleicht nicht ganz so große Sorgen zu machen.

      Als die Suppe ausgegeben war, kam Matilda zu ihr und Clara konnte ihr erzählen, dass sie bald nach London reisen würde.

      Matildas Augen leuchteten auf. »Oh, Sie müssen mir sagen, wann Sie fahren, dann schreibe ich Tessa, wenn Sie nichts dagegen haben. Benjie hat mir versprochen, sie auf einen Besuch mit nach London zu nehmen, und sie würde sich bestimmt sehr freuen, Sie wiederzusehen. Ich glaube, sie ist manchmal ein bisschen einsam.« Sie sah Clara forschend an. »Sie haben doch nichts dagegen, Tessa zu treffen? Sonst sage ich ihr nichts von Ihren Plänen.«

      »Natürlich habe ich nichts dagegen. Vielleicht möchte sie zu dem musikalischen Abend kommen, den Lady Asquith veranstaltet.«

      Matildas Augen wurden ganz rund. »Wirklich? Oh, das würde sie bestimmt liebend gern! Man stelle sich vor, eine echte Lady!«

      Sie unterdrückte ein Lächeln. Anscheinend hatte Matilda keine Ahnung von der gesellschaftlichen Stellung ihrer Familie. »Wenn Sie mir ihre Anschrift geben, schreibe ich ihr und teile ihr mit, wo ich in London wohne.«

      »Danke«, sagte Matilda. »Es wird ihr guttun, einmal in diesen Kreisen zu verkehren. Aus ihren Briefen schließe ich, dass sie froh sein wird, der Gesellschaft meines Bruders, und sei es auch nur vorübergehend, zu entkommen. George kann auch in seinen besten Zeiten recht langweilig sein.«

      »Wird er denn nicht mit ihr nach London reisen?«

      Matilda zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Aber nach dem, was Tessa schreibt, hat sie offenbar Benjie das Versprechen abgenommen, sie dorthin zu begleiten.« Sie strahlte. »Dann werden Sie ihn endlich kennenlernen.«

      »Ja.« Clara ignorierte ihr Lächeln und ordnete ihre Noten. Wirklich, Matildas eifriges Bestreben, dass Clara ihren geheimnisvollen angebeteten Bruder kennenlernte, war nachgerade absurd.

      Aber warum verspürte sie ein Aufflackern von Neugier beim Gedanken an die bevorstehende Begegnung? Er war doch viel zu jung für ein ernsthaftes Interesse, oder?

Ornament

      London

      Ben verlagerte unmerklich sein Gewicht in dem Versuch, sich an Dr. Townsends Anweisungen von vor drei Tagen zu erinnern: mäßige Bewegung, aber wenn möglich Ruhe mit hochgelagertem Bein. Außerdem sollte er einen Stützverband anlegen. Leider hatte er in den letzten Tagen wenig Ruhe gefunden.

      Er sah seiner Schwester zu, die mit dem geübten Blick einer Londoner Matrone, die dreimal so alt war wie sie, durch die Regalreihen von Hookhams Leihbücherei wanderte. Jeder hätte sie für eine erfahrene Debütantin gehalten und nicht für ein junges Mädchen kurz vor der Einführung in die Gesellschaft. Aber das mochte der Einfluss ihrer Tante Adeline sein. Seit ihrer Ankunft war Ben praktisch in sämtliche Buchhandlungen Londons geschleppt worden und sogar zu einer Näherin, von der ihre Tante gesagt hatte, dass sie weder die Welt verlangen noch länger als unbedingt nötig brauchen würde. Die Mittel, die George zur Verfügung gestellt hatte, reichten für ihren Lebensunterhalt und für die Kleider und den Flitterkram aus, den die Schwester ihrer Mutter für unerlässlich hielt. Er und Tessa hatten schnell gemerkt, welch ein Segen es war, dass ihre Tante sich erbeten hatte, als Tessas Anstandsdame zu fungieren, und sie in ihrem Stadthaus in der Curzon Street aufgenommen hatte.

      Tante Adelines verstorbener Ehemann hatte seine Frau gut versorgt hinterlassen und sie erwies sich jetzt als die ideale Begleitung für Tessa, denn sie besaß sowohl den erlesenen Geschmack als auch die Herzlichkeit und gute Laune, die das Wesen ihrer früh verstorbenen Mutter ausgezeichnet hatten. Sie hatte inzwischen die Witwentracht abgelegt und freute sich darauf, die Orte wiederzusehen, die sie während ihrer eigenen Saison vor so vielen Jahren geliebt hatte; von dem heutigen Ausflug hatte sie sich allerdings wegen einer leichten Erkältung entschuldigt.

      Tessa suchte über einem Stapel Bücher Bens Blick. »Hast du etwas dagegen, wenn ich zwei nehme?«

      »Natürlich nicht.« Er hätte auch nichts dagegen gehabt, wenn sie ein Dutzend mitgenommen hätte. Das war es ihm wert, wenn er sah, dass seine schüchterne Schwester dafür aus ihrem Schneckenhaus herauskam.

      »Ich würde gern nachsehen, ob sie auch eine Ausgabe von Mansfield Park haben.«

      »Soll das heißen, dass du dieses Buch Waverley vorziehst?«, neckte er sie.

      Sie grinste.

      Kurz darauf standen sie am Ausleihschalter. Tessa trug ihre Bitte vor, woraufhin der ältere Angestellte sofort einen sorgenvollen Blick aufsetzte. »Es tut mir leid, Miss, aber diese besondere Ausgabe ist gerade nicht vorrätig. Wir erwarten aber in der nächsten Woche eine neue Sendung. Soll ich es für Sie reservieren?«

      Sie sah Ben an. Er wandte den Blick ab, weil er wollte, dass sie dem Mann selbst antwortete. »D…das wäre sehr nett, d…danke schön.«

      »Sehr gern.«

      Sie hinterließ ihren Namen und ihre Anschrift, dann traten sie hinaus auf die Bond Street. Das Klappern der Pferdehufe auf den Pflastersteinen und das Rattern der prächtigen Kutschen der gehobenen Gesellschaft, die an ihnen vorbeifuhren, bildeten einen eklatanten Kontrast zu der ruhigen Atmosphäre in der Bücherei. Tessa klammerte sich an Bens Arm, doch ihre Augen leuchteten vor Vergnügen. »Ich liebe London.«

      »Es ist aufregend.« Er sah hinunter in ihr strahlendes Gesicht. Ihre Begeisterung unterschied sich sehr von ihrer üblichen Zurückhaltung. Sie bot ein völlig anderes Bild als die übrigen jungen Damen, deren blasierter Gesichtsausdruck den Eindruck erweckte, als fänden sie London langweilig oder seien viel zu gut erzogen, um wahre Gefühle zu zeigen. Beides machte wenig Eindruck auf ihn. Die junge Dame, die sein Herz ansprechen wollte, musste ehrlich und aufrichtig sein und durfte ihre Gefühle weder unter den sprichwörtlichen Scheffel stellen noch so ruhig und bescheiden sein, dass man sich fragte, ob sie imstande war, überhaupt etwas zu empfinden. Er wünschte sich eine zärtliche, aber dennoch geistvolle Gefährtin, vielleicht nicht ganz so freimütig wie Matilda, aber auch nicht so still wie Tessa. Das Bild eines wilden und verzweifelten Geschöpfs auf den Klippen kam ihm in den Sinn. Er verdrängte es. Er wollte sicherlich keine fade Frau, aber er wünschte sich auch keine verzweifelte.

      Sie kamen an einer Gruppe junger Herren vorüber. Dabei hörte er mehr als eine Bemerkung über die Attraktivität seiner Schwester. Ben drehte sich um, sah, dass die jungen Männer ihnen nachschauten, und warf ihnen einen Blick zu, mit dem er sich auf mehr als einem Schiff den nötigen Respekt verschafft hatte.

      Im Weitergehen kam ihnen ein weiterer junger Geck entgegen, dessen Kleidung die Ansprüche noch des eingefleischtesten Nörglers erfüllt hätten. Der junge Mann – er konnte nicht älter als vierundzwanzig sein – fing seinen Blick auf. Seine Augen wurden groß, er hob sein Monokel, dann ließ er es wieder fallen. »Kemsley?«

      Ben blieb stehen und zog die Brauen hoch.

      »Verzeihen Sie, aber sind Sie nicht Kapitän Benjamin Kemsley von der Ansdruther

      »Ja.«

      Der junge Herr streckte die Hand aus. »Ich dachte doch, dass ich Sie von Ihrem Bild in der Times erkenne. Es ist mir eine Ehre, einem Helden zu begegnen.«

      Ben bekam rote Ohren. »Guten Tag, Mr …«

      »Mein