Die zweifelhafte Miss DeLancey. Carolyn Miller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carolyn Miller
Издательство: Bookwire
Серия: Regency-Romantik
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783775174862
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er würde wohl kaum eine Dame finden, die über sein Hinken, sein mangelndes Vermögen und seinen fehlenden Titel hinwegsah und dazu auch noch über die Unannehmlichkeiten, die eine jüngere Schwester im Haus mit sich brachte, so liebenswert sie auch sein mochte.

      Eine solche Frau war schlicht und einfach nicht zu finden.

      Er lächelte ironisch. Es sei denn, seine Schwestern baten Gott um ein weiteres Wunder für ihren schwer geplagten Bruder.

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Ornament

      Brighton

      Eine Woche später

      Clara eilte die Marine Parade entlang. Die Morgenbrise zerrte an ihrem Haar, so wie der Streit kurz zuvor noch immer an ihrer Stimmung. Sie hatte geglaubt, etwas Gutes zu tun, wenn sie Matildas Bitte erfüllte, doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Reaktion ihrer Mutter auf ihre Zusage so heftig ausfallen würde.

      Vor einer Stunde hatte der Diener auf einem Silbertablett die Post gebracht. Sowohl der Diener als auch die formelle Präsentation der Post waren zwei Traditionen, an denen ihre Eltern trotz ihrer neuerdings sehr beschränkten Lebensumstände festgehalten hatten. Mutter hatte die Briefe überflogen und ihr Gesicht hatte aufgeleuchtet. »Richard hat endlich geschrieben!«

      Clara hatte einen leisen Ärger unterdrückt, während ihre Mutter den Brief las.

      »Er will zu Besuch kommen.«

      »Wie schön«, sagte Clara ausdruckslos, als sie merkte, dass ihre Mutter eine Antwort erwartete.

      »Und ob es schön sein wird, deinen Bruder wiederzusehen! Nicht dieser Ton, meine Liebe.«

      Oh doch, dieser Ton war völlig berechtigt. Als reichte Claras eigene Demütigung nicht aus, hatte Richard der Familie den letzten Schlag versetzt. Sein törichter Versuch zu helfen, hatte sie in so tiefe Schande gestürzt, dass nicht einmal der selbstgerechte Zorn ihrer Eltern sie wegerklären konnte.

      Es gelang ihr, ein höfliches Gesicht zu wahren, während Mutter noch etwas über den armen Richard murmelte, wobei sie offenbar ganz vergaß, dass Richard der Grund dafür war, dass ihre Situation sich in den letzten achtzehn Monaten so drastisch verschlechtert hatte.

      Als sie sich endlich über Richards traurige Verfassung beruhigt hatte, griff ihre Mutter nach dem nächsten Brief. Clara murmelte etwas, dass sie noch einmal in die Stadt gehen müsse.

      Doch da hatte Mutter von dem Brief, den sie gerade las, aufgeblickt. »Meine Liebe, du hast doch ganz sicher nicht vor, diese Frau und ihre schrecklichen Leute noch einmal aufzusuchen!«

      »Mutter, Mrs McPherson und ihr Mann versuchen einfach, denen zu helfen, die nicht so vom Glück begünstigt sind. Diese Männer, denen sie helfen, sind nicht schrecklich, sondern arm.«

      »Ja, aber es sind Männer, meine Liebe. Unglücklich, zugegeben, aber es sind Männer! Es ist nicht gut für deinen Ruf, wenn sich herumspricht, dass du mit solchen Menschen verkehrst.«

      Ihr wurde heiß vor Zorn. »Ich verkehre nicht mit ihnen, Mutter«, sagte sie steif.

      »Du missverstehst mich, meine Liebe.«

      Clara zog die Brauen hoch. »Wirklich?«

      Ihre Mutter schnaubte. »Ich mache mir einfach Sorgen um dich. Was, wenn einer von denen plötzlich Interesse an dir zeigt? Ich lasse nicht zu, dass dein Ruf beschmutzt wird.«

      »Mutter, mein Ruf kann gar nicht noch stärker beschmutzt werden. Und ehrlich gesagt, habe ich es genossen, dass meine Fertigkeiten einmal zu etwas nütze waren.«

      »Selbstverständlich sind sie zu etwas nütze. Wie auch nicht? Du bist eine außerordentlich talentierte Pianistin.« Mutter tippte auf den Brief. »Aber du darfst nicht nur an diese Menschen denken. Die liebe Lady Asquith hat für die nächsten Monate um das Vergnügen deiner Gesellschaft gebeten.«

      »Ich muss schon so bald nach London?«

      »Ja. Deine Patin gibt einen ihrer musikalischen Abende und wünscht ausdrücklich, dass du teilnimmst. Deine Freundin hat doch bestimmt nichts dagegen, wenn du ein paar Wochen ausfällst?«

      »Wohl nicht«, murmelte Clara.

      »Sehr schön. Ich werde Penelope schreiben, dass wir versuchen, in den nächsten vierzehn Tagen zu kommen. Du brauchst wahrscheinlich neue Kleider und alles.« Mutter hatte geseufzt. »Wir werden natürlich etwas beisteuern.«

      Jetzt eilte Clara den Weg entlang, zur Steyne, und dachte über Mutters Worte nach. Eine Reise nach London würde noch mehr Kosten verursachen, nutzlose Kosten, würden manche sagen. Aber das war vielleicht ihre letzte Chance, einen Mann zu finden, der ihr einen Heiratsantrag machte. War sie lange genug von London fort gewesen, dass der Tratsch verstummt war? Bestimmt sprachen die Leute inzwischen mehr über Napoleons letzte Eskapaden. Sie musste über sich selbst lächeln. Wie egozentrisch war sie doch zu denken, dass die Leute über sie nachdachten!

      Sie bog um die Ecke und ging zu dem kleinen Gemeindesaal, wo die McPhersons begonnen hatten, wöchentliche Treffen für die heimgekehrten Soldaten zu veranstalten, um die Lebensgeister der Männer ein wenig zu ermuntern, die für ihr Land gekämpft hatten und jetzt behindert waren und eine Rente erhielten, die Clara nicht einmal in ihren schlimmsten Träumen für so niedrig gehalten hätte. Wie sollte ein Mann – ganz zu schweigen ein Ehemann und ein Vater – seine Familie mit weniger als zehn Pfund im Jahr durchbringen? Matildas nüchterne Information hatte Claras Probleme wirklich sehr, sehr unbedeutend wirken lassen.

      Sie hatte Matilda gefragt, warum sie sich für diese Menschen einsetzte, und ihre Freundin hatte sie überrascht angesehen und geantwortet: »Wahrscheinlich wegen meines Bruders.«

      Dem Reichen? Sie musste ihr ihre Verwirrung angesehen haben, denn Matilda hatte gelächelt. »Ich vergesse immer, dass nicht alle Menschen über die Verdienste meines Bruders im Krieg Bescheid wissen. Aber eigentlich kam uns die Idee, als er zurück war und sah, unter welchen furchtbaren Bedingungen die von allen vergessenen Heimkehrer lebten. Er selbst besaß Gott sei Dank genügend, aber nicht alle hatten dieses Glück, deshalb hat er fast sein ganzes Vermögen für die weniger Glücklichen gespendet. Aber ist es denn nicht unsere Pflicht, unsere Verantwortung als Mitglieder der Kirche, denen zu helfen, die arm sind und zu kämpfen haben?« Sie nickte und sagte entschieden: »Wir müssen etwas tun.«

      Was konnte Clara dagegen einwenden?

      Zudem hatte sie festgestellt, dass es ihr half, sich um andere Menschen zu kümmern und nicht mehr nur über ihre eigenen Nöte nachzugrübeln. Die Traurigkeit wog nicht mehr so schwer. Die Träume plagten sie nicht mehr so sehr.

      Sie stieß die Tür auf und wurde vom Geruch nach Kohlsuppe und ungewaschenen Leibern begrüßt. Gott sei Dank war Mutter nicht hier und wurde von derart unfeinen Eindrücken belästigt.

      »Oh, gut! Da sind Sie ja.« Matilda kam zu ihr gelaufen. »Es scheinen doch wesentlich mehr Leute zu kommen, seit Sie letzte Woche für uns gespielt haben.«

      Sie lächelte. Zum Glück konnte Mutter das Zwinkern in den Augen der Pfarrersfrau nicht sehen.

      Clara nickte den Damen zu, die in der behelfsmäßigen kleinen Küche aushalfen, und ging an ihren Platz vor dem ramponierten Klavier. Matilda hatte ihren Mann überredet, es vom Pfarrhaus hierher in den Gemeindesaal schaffen zu lassen. Sie legte ihre Noten zurecht, sah die Männer an, unterdrückte ein Schaudern und fing an zu spielen.

      Ganz langsam schwand der niederdrückende Geruch von Kummer und Schmutz, während die komplizierten Tonfolgen ihre ganze Aufmerksamkeit verlangten. Die Musik war schon immer ein Heilmittel für sie gewesen, eine Möglichkeit, sich in der Disziplin und Kreativität,