Aus meinem Leben. Paul von Hindenburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul von Hindenburg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117658
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Ereignisse westlich Metz am 17. August in die dortige Gegend. Wir bogen nach Norden ab und trafen nach außerordentlich anstrengendem Marsch am Abend dieses Tages auf dem Schlachtfelde von Vionville ein. Die Spuren des furchtbaren Ringens unseres III. und X. Armeekorps am vorhergehenden Tage traten uns allenthalben vor die Augen. Über die Kriegslage erfuhren wir soviel wie nichts. So marschierten wir auch am 18. August von unseren Biwakplätzen bei Hannonville westlich Mars la Tour in eine uns noch ziemlich unklare Lage hinein und erreichten gegen Mittag Doncourt. Der bis dorthin verhältnismäßig kurze Marsch, ausgeführt in dichten Massenformationen unter unliebsamer Kreuzung mit dem sächsischen (XII.) Korps, in glühender Hitze, in dichten Staubwolken, ohne die Möglichkeit genügender Wasserversorgung seit dem vorausgehenden Tage, war zu einer großen Anstrengung geworden. Ich selbst hatte auf dem Marsch erst das Grab eines bei den 2. Gardedragonern gefallenen Vetters auf dem Friedhof von Mars la Tour besucht und dann Gelegenheit genommen, über das Angriffsfeld der 38. Infanteriebrigade und des 1. Garde-Dragoner-Regiments zu reiten. Reihen, ja stellenweise ganze Haufen von Gefallenen, Preußen wie Franzosen, in und nördlich einer Schlucht, bewiesen, welch ein mörderischer Kampf hier auf den allernächsten Entfernungen geführt worden war.

      Bei Doncourt machen wir Halt und denken ans Abkochen. Gerüchte, daß Bazaine nach Westen abmarschiert und damit entkommen sei, verbreiten sich. Die Begeisterung vom Vormittag ist ziemlich abgeflaut. Plötzlich beginnt in östlicher Richtung eine gewaltige [pg 31]Kanonade. Das IX. Korps ist auf den Feind gestoßen. Der Gefechtslärm belebt auch bei uns alles. Die Nerven beginnen sich neu zu spannen, das Herz wieder stärker und freudiger zu schlagen. Der Weitermarsch in nordöstlicher Richtung wird angetreten. Der Eindruck, daß es sich heute um eine gewaltige Schlacht handle, verstärkt sich von Minute zu Minute. Wir marschieren auf und erhalten in der Nähe von Batilly den Befehl, die Fahnen zu enthüllen. Es geschieht unter dreifachem Hurra; ein ergreifender Augenblick! Fast gleichzeitig galoppieren Gardebatterien an uns vorbei nach Osten vor, heran an die gegnerischen Stellungen. Immer mächtiger entwickelt sich das Schlachtenbild. Über den Höhen von Amanweiler bis halbwegs gegen St. Privat erheben sich dichte, schwere Wolken von Pulverdampf. In mehreren Linien hinter- und zugleich übereinander steht dort oben feindliche Infanterie und Artillerie. Ihr Feuer ist vorläufig mit ganzer Wucht gegen das IX. Armeekorps gerichtet. Dies wird anscheinend auf seinem linken Flügel vom Gegner überragt. Einzelheiten sind nicht zu erkennen.

      Um einen frontalen Angriff gegen die feindliche Stellung zu vermeiden, wenden wir uns in einer Wiesenschlucht, etwa fünf Kilometer gleichlaufend zur feindlichen Front, nach Norden auf Ste. Marie aux Chênes. Das Dorf wird von der Avantgarde unserer Division und Teilen des links von uns auf Auboué marschierenden XII. Korps angegriffen und besetzt. Nach Gewinnung von Ste. Marie marschiert unsere Brigade dicht südlich des Dorfes, mit der Front nach diesem, auf. Wir ruhen. Freilich eine eigenartige Ruhe. Verirrte Kugeln aus St. Privat vorgeschobener feindlicher Schützen schlagen ab und zu in unsere dicht geschlossenen Formationen ein. Leutnant von Helldorff, vom 1. Garderegiment, wird in meiner Nähe erschossen; sein Vater, Bataillonskommandeur im gleichen Regiment, war 1866 bei Königgrätz in Rosberitz auch unweit von mir gefallen. Mehrere Leute werden verwundet.

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      Ich betrachte mir die Lage. In östlicher Richtung, fast in der rechten Flanke unserer jetzigen Front, liegt auf einer allmählich ansteigenden Höhe St. Privat, mit dem etwa zwei Kilometer entfernten Ste. Marie aux Chênes durch eine gradlinige, mit Pappeln bestandene Chaussee verbunden. Das Gelände nördlich dieser Straße ist durch die Baumreihen großenteils der Sicht entzogen, macht aber den gleichen deckungslosen Eindruck, wie das Feld südlich der Chaussee. Auf den Höhen selbst herrscht eine fast unheimliche Stille. Unwillkürlich strengt sich das Auge an, dort vermutete Geheimnisse zu entdecken. Ihnen durch Aufklärung den Schleier zu nehmen, scheint man auf unserer Seite nicht für nötig zu halten. So bleiben wir denn ruhig liegen.

      Gegen 5½ Uhr nachmittags trifft unsere Brigade der Angriffsbefehl. Wir sollen hart östlich Ste. Marie vorbei in nördlicher Richtung antreten und dann jenseits der Chaussee gegen St. Privat zum Angriff einschwenken. Das Bedenken, daß diese künstliche Bewegung von St. Privat her in der rechten Flanke gefaßt würde, drängt sich sofort auf.

      Kurz bevor sich unsere Bataillone erheben, wird das ganze Gelände um St. Privat lebendig und hüllt sich in den Qualm feuernder französischer Linien. Die nicht zu unserer Division gehörige 4. Gardebrigade geht nämlich bereits südlich der Chaussee vor. Gegen sie wendet sich daher vorläufig die ganze Kraft der gegnerischen Wirkung. Diese Truppe würde in kürzester Zeit zur Schlacke ausbrennen, wenn wir, die 1. Gardebrigade, nicht baldmöglich nördlich der Chaussee angreifen und dadurch Entlastung schaffen würden. Freilich, dort hinüberzukommen, erscheint fast unmöglich. Mein Kommandeur reitet mit mir vor, um das Gelände einzusehen und dem Bataillon im Rahmen der Brigade die Marschrichtung anzugeben. Ein ununterbrochener Feuerorkan fegt jetzt auch gegen uns über das ganze Feld. Doch wir müssen versuchen, die eingeleitete Bewegung durchzuführen. Es gelingt uns auch, die Straße zu über[pg 33]schreiten. Jenseits dieser nehmen die sich dicht drängenden Kolonnen Front gegen die feindlichen Feuerlinien und stürzen, sich auseinanderziehend, vorwärts gegen St. Privat. Alles strebt danach, so nahe als möglich an den Gegner heranzukommen, um die dem Chassepot gegenüber minderwertigen Gewehre brauchen zu können. Der Vorgang wirkt ebenso erschütternd wie imponierend. Hinter den wie gegen ein Hagelwetter vorstürmenden Massen bedeckt sich das Gelände mit Toten und Verwundeten, aber die brave Truppe drängt unaufhaltsam vorwärts. Immer und immer wieder wird sie von ihren Offizieren und Unteroffizieren, die bald von den tüchtigsten Grenadieren und Füsilieren ersetzt werden müssen, auf- und vorgerissen. Ich sehe im Vorbeireiten, wie der Kommandierende General des Gardekorps, Prinz August von Württemberg, zu Pferde am Ortsausgang von Ste. Marie haltend, die gewaltige Krisis verfolgt, in die seine herrlichen Regimenter sich hineinstürzen, um darin vielleicht zugrunde zu gehen. Ihm gegenüber soll der Marschall Canrobert am Eingange von St. Privat gestanden haben.

      Um sein Bataillon aus der Anstauung der Massen nordöstlich Ste. Marie herauszubringen und ihm die für den Kampf notwendige Armfreiheit zu schaffen, läßt mein Kommandeur dasselbe nicht gleich die Front auf St. Privat nehmen, sondern setzt mit ihm zunächst in einer Falte des Geländes die bisherige nördliche Bewegung fort. So schieben wir uns in leidlicher Deckung so weit seitlich heraus, daß wir nach dem Einschwenken den linken Flügel der Brigade bilden. In diesem Verhältnis gelangen wir unter zunehmenden Verlusten in die Gegend halbwegs Ste. Marie-Roncourt.

      Bevor wir uns von hier aus zu einer Umfassung von St. Privat anschicken können, müssen wir bei Roncourt, das die Sachsen von Auboué aus noch nicht erreicht zu haben scheinen, klar sehen. Ich reite hin, finde das Dorf von Freund und Feind unbesetzt, bemerke aber in den Steinbrüchen östlich des Dorfes französische Infanterie. Es gelingt mir, noch rechtzeitig zwei Kompagnien meines Bataillons [pg 34]nach Roncourt zu führen. Bald darauf unternimmt der Gegner einen Angriff aus den Steinbrüchen, welcher abgewiesen wird. Nunmehr können sich die beiden andern Kompagnien ohne Besorgnis für Flanke und Rücken gegen den Nordeingang von St. Privat wenden, um dem schweren frontalen Kampf der übrigen Teile der Brigade wenigstens eine geringe Entlastung zu bringen. Später, nachdem Roncourt von Teilen des XII. Korps besetzt worden ist, ziehen sich auch unsere beiden dort verwendeten Kompagnien heran.

      In der Front nimmt unterdessen das blutige Ringen seinen Fortgang. Von feindlicher Seite aus ein ununterbrochen rollendes Infanteriefeuer aus mehreren Linien, das alles Leben auf dem weiten, deckungslosen Angriffsfeld niederzudrücken versucht. Auf unserer Seite eine lückenreiche Linie loser Truppentrümmer, die sich aber nicht nur am Boden festkrallen, sondern wie in krampfhaften Zuckungen sich immer wieder auf den Gegner zu stürzen versuchen. Mit verhaltenem Atem sehe ich auf diese Schlachtszenen, aufs äußerste gespannt, ob nicht ein feindlicher Gegenstoß unsere Truppen wieder zurückschleudern würde. Doch die Franzosen bleiben bis auf einen nicht über das erste Anreiten hinauskommenden Versuch, mit Kavallerie nördlich um St. Privat herum vorzubrechen, starr in ihren Stellungen.

      Eine Atempause im Infanteriekampf tritt ein. Beide Teile sind erschöpft und liegen sich, nur wenig feuernd, gegenüber. Die Waffenruhe auf dem Schlachtfelde ist so ausgesprochen, daß ich vom linken Flügel bis fast zur Mitte der Brigade und zurück in der Feuerlinie entlang reite, ohne das Gefühl einer Gefahr zu haben. Aber dann beginnt die Zermürbungsarbeit