Aus meinem Leben. Paul von Hindenburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul von Hindenburg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117658
Скачать книгу
und Hofdienstes in Berührung.

      Nach Beendigung meines Kommandos zur Kriegsakademie kehrte ich zunächst für ein halbes Jahr zum Regiment nach Hannover zurück und wurde dann im Frühjahr 1877 zum Großen Generalstab kommandiert.

      Im April 1878 erfolgte meine Versetzung in den Generalstab unter Beförderung zum Hauptmann. Wenige Wochen darauf wurde ich dem Generalkommando des II. Armeekorps in Stettin zugewiesen. Hiermit begann meine militärische Laufbahn außerhalb der Truppe, zu welch letzterer ich bis zu meiner Ernennung zum Divisionskommandeur nur zweimal zurückkehrte.

      Der Generalstab war wohl eines der bemerkenswertesten Gefüge innerhalb des Gesamtrahmens unseres deutschen Heeres. Neben der strengen hierarchischen Kommandogewalt bildete er ein besonderes Element, das sich auf das hohe geistige Ansehen des Chefs des Generalstabes der Armee, also des Feldmarschalls Graf Moltke, stützte. Durch die Friedensschulung der Generalstabsoffiziere war die Gewähr geschaffen, daß im Kriegsfalle ein einheitlicher Zug [pg 50]alle Führerstellen beherrschte, ein einigendes Fluidum alle Führergedanken durchsetzte. Die Einwirkung des Generalstabes auf die Führung war nicht durch bindende Bestimmungen geregelt; sie hing vielmehr in einer unendlichen Mannigfaltigkeit von Abstufungen von der militärischen und persönlichen Eigenart der einzelnen Offiziere ab. Die erste Forderung an den Generalstabsoffizier war, die eigene Persönlichkeit und das individuelle Handeln vor der Öffentlichkeit zurücktreten zu lassen. Er mußte ungesehen schaffen, also mehr sein als scheinen.

      Ich glaube, daß es der deutsche Generalstab in seiner Gesamtheit verstanden hat, seine außerordentlich schwere Aufgabe zu erfüllen. Seine Leistungen waren bis zuletzt meisterhaft, mögen auch Fehler und Irrtümer im einzelnen vorgekommen sein. Ich wüßte kein ehrenderes Zeugnis für ihn, als daß die Gegner seine Auflösung durch die Friedensbedingungen gefordert haben.

      Man hat im Generalstabsdienst vielfach eine Geheimwissenschaft vermutet. Nichts verkehrter als das. Wie unsere gesamte kriegerische Tätigkeit so beruht auch die des Generalstabes lediglich auf der Anwendung der gesunden Vernunft auf den gerade vorliegenden Fall. Hierbei war oft neben höherem Gedankenflug gewissenhafte Beschäftigung mit aller möglichen Kleinarbeit erforderlich. Ich habe manch hochbegabten Offizier kennengelernt, der durch Versagen in letzterer Richtung entweder als Generalstabsoffizier nicht brauchbar war, oder als solcher ein Nachteil für die Truppe wurde.

      Meine Stellung beim Generalkommando belastete mich als jüngsten Generalstabsoffizier natürlich hauptsächlich mit solcher Kleinarbeit. Anfangs wirkte das enttäuschend, dann gewann ich Liebe zur Sache, da ich ihre Notwendigkeit für die Durchführung der großen Gedanken und für das Wohl der Truppe erkannte. Nur bei den alljährlichen Generalstabsreisen konnte ich mich als Handlanger des Korpschefs mit größeren Verhältnissen beschäftigen. [pg 51]Auch zu der ersten vom General Graf Waldersee, Chef des Generalstabes des X. Armeekorps, geleiteten Festungsgeneralstabsreise bei Königsberg wurde ich damals kommandiert. Mein kommandierender General war der General der Kavallerie Hann von Weyherrn, ein erprobter Soldat, der in jungen Jahren in schleswig-holsteinschen Diensten gefochten und 1866 eine Kavallerie-, 1870/71 eine Infanteriedivision geführt hatte. Es war eine Freude, den alten Herrn, einen vortrefflichen Reiter, zu Pferde in der Uniform seiner Blücherhusaren zu sehen. Meinen beiden Generalstabschefs, erst Oberst von Petersdorff, dann Oberstleutnant von Zingler, danke ich eine gründliche Ausbildung im praktischen Generalstabsdienst.

      Im Jahre 1879 hatte das II. Korps Kaisermanöver und erwarb sich die Anerkennung Seiner Majestät. Ich lernte bei dieser Gelegenheit den russischen General Skobeleff kennen, der zu der Zeit, nach dem Türkenkriege, auf der Höhe seines Ruhmes stand. Er machte den Eindruck eines rücksichtslos energischen, frischen und wohl auch ganz befähigten höhern Führers. Sein Renommieren berührte weniger angenehm.

      Nicht unerwähnt darf ich lassen, daß ich mich in Stettin verheiratet habe. Meine Frau ist auch ein Soldatenkind als Tochter des Generals von Sperling, welcher 1866 beim VI. Korps und 1870/71 bei der 1. Armee Generalstabschef war und gleich nach dem französischen Kriege starb. Ich fand in meiner Frau eine liebende Gattin, die treulich und unermüdlich Freud und Leid, alle Sorge und Arbeit mit mir teilte und so mein bester Freund und Kamerad wurde. Sie schenkte mir einen Sohn und zwei Töchter. Ersterer hat im großen Kriege als Generalstabsoffizier seine Schuldigkeit getan. Beide Töchter sind verheiratet, ihre Männer haben im letzten großen Kriege gleichfalls vor dem Feinde gestanden.

      1881 wurde ich zur 1. Division nach Königsberg versetzt. Diese Verwendung machte mich selbständiger, brachte mich der Truppe näher und führte mich in meine Heimatsprovinz.

      [pg 52]

      Aus meinem dortigen dienstlichen Leben möchte ich besonders hervorheben, daß der bekannte Militärschriftsteller General von Verdy du Vernois zeitweise mein Kommandeur war. Der General war eine hochbegabte, interessante Persönlichkeit. Er verfügte infolge seines reichen Erlebens in hohen Generalstabsstellen während der Kriege 1866 und 1870/71 über außergewöhnliche Kenntnis der entscheidenden Ereignisse damaliger Zeit. Auch hatte er schon früher durch seine Zuteilung zum Hauptquartier des russischen Oberkommandos in Warschau während des polnischen Aufstandes 1863 einen tiefen Einblick in die politischen Verhältnisse an unserer Ostgrenze gewonnen. Die Mitteilungen aus seinem Leben, die er mit einer glänzenden Erzählerkunst vortrug, waren deshalb nicht nur vom militärischen sondern auch vom politischen Standpunkte in hohem Grade belehrend. General von Verdy war außerdem auf dem Gebiete der angewandten Kriegslehre bahnbrechend. Ich lernte daher unter seiner Anleitung und im gegenseitigen Meinungsaustausch sehr viel für meine spätere Lehrtätigkeit an der Kriegsakademie. So wirkte der geistvolle Mann in verschiedenen Richtungen äußerst anregend auf mich ein. Er war mir stets ein gütiger Vorgesetzter, der mir sein volles Vertrauen schenkte.

      Auch meines damaligen Korps-Generalstabschefs, Oberst von Bartenwerffer, erinnere ich mich gern in Dankbarkeit. Seine Generalstabsreisen und Aufgaben für die Winterarbeiten des Generalstabes waren meisterhaft angelegt, seine Kritiken besonders lehrreich.

      Vom Stabe der 1. Division wurde ich nach drei Jahren als Kompagniechef in das Infanterieregiment 58, Standort Fraustadt in Posen, versetzt. Ich hatte bei dieser Rückkehr in den Frontdienst eine Kompagnie zu übernehmen, die fast ausschließlich polnischen Ersatz hatte. Die Schwierigkeiten, die der Verständigung zwischen Vorgesetzten und Untergebenen und damit der Erziehung und Ausbildung durch den Mangel gegenseitiger Sprachkenntnis im Wege stehen, lernte ich hierbei in ihrem ganzen Umfange kennen. Ich [pg 53]selbst war der polnischen Sprache bis auf einige Redensarten, die ich in meiner Kinderzeit aufgeschnappt hatte, nicht mächtig. Meine Einwirkung auf die Kompagnie war noch dadurch außerordentlich erschwert, daß die Mannschaften in 33 Bürgerquartieren, bis hinaus zu den die Stadt umgebenden Windmühlen, verstreut lagen. Im allgemeinen waren aber meine Erfahrungen mit dem polnischen Ersatz nicht ungünstig. Die Leute waren fleißig, willig und, was ich besonders hervorheben möchte, anhänglich, wenn man der Schwierigkeiten, die sie bei Erlernung des Dienstes zu überwinden hatten, Rechnung trug und auch sonst bei aller Strenge für sie sorgte. Damals glaubte ich, daß die größere Häufigkeit von Diebstählen und von Trunkenheit bei den Polen weniger mit moralischer Minderwertigkeit als mit vielfach ungenügender erster Jugenderziehung zu erklären sei. Ich bedauere es sehr, daß ich meine gute Meinung von den Posener Polen jetzt zurückstecken muß, nachdem ich von den Greueln gehört habe, welche die Insurgenten Wehrlosen gegenüber verübt haben. Das hätte ich den Landsleuten meiner einstigen Füsiliere nicht zugetraut!

      Gern denke ich auch heute noch an meine leider nur fünfvierteljährige Kompagniechefszeit zurück. Ich lernte zum ersten Male das Leben in einer kleinen, halbländlichen Garnison kennen, fand außer im Kameradenkreise auch freundliche Aufnahme auf benachbarten Gütern und stand wieder einmal in unmittelbarem Verkehr mit dem Soldaten. Ich bemühte mich redlich, auf die Eigenart jedes einzelnen einzugehen und knüpfte so ein festes Band zwischen mir und meinen Untergebenen. Darum wurde mir die Trennung von meiner Kompagnie sehr schwer trotz aller äußern Vorteile, welche mir die Rückkehr in den Generalstab brachte.

      Diese erfolgte im Sommer 1885 durch Versetzung in den Großen Generalstab. Nach wenigen Monaten wurde ich Major. Ich kam in die Abteilung des damaligen Oberst Graf von Schlieffen, des späteren Generals und Chefs des Generalstabes der Armee, wurde aber [pg 54]außerdem noch der Abteilung