Aus meinem Leben. Paul von Hindenburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul von Hindenburg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117658
Скачать книгу
in das 3. Garderegiment zu Fuß ein. Das Regiment gehörte zu denjenigen Truppenteilen, die gelegentlich der großen Vermehrung aktiver Verbände 1859/60 neu errichtet worden waren. Das junge Regiment hatte sich, als ich in dasselbe eintrat, bereits im Feldzug 1864 Lorbeeren erworben. Die Ruhmesgeschichte eines Truppenteiles schlingt ein einigendes Band um alle seine Angehörigen und liefert einen Kitt, der sich auch in den schwersten Kriegslagen bewährt. Hierin liegt ein unzerstörbares Etwas, das auch dann weiterwirkt, wenn, wie im letzten großen Kriege, Regimenter wiederholt einen förmlichen Neuaufbau durchmachen mußten. Übriggebliebene Reste des alten Geistes durchströmten die neuen Teile in kurzer Zeit.

      Ich fand in meinem Regiment, das aus dem 1. Garde-Regiment zu Fuß hervorgegangen war, die gute, alte Potsdamer Schule, den Geist, der den besten Überlieferungen des damaligen preußischen Heeres entsprach. Das preußische Offizierkorps dieser Zeit war nicht mit Glücksgütern gesegnet, und das war gut. Sein Reichtum bestand in seiner Bedürfnislosigkeit. Das Bewußtsein eines besonderen persönlichen Verhältnisses zu seinem König – der Vasallentreue, wie ein deutscher Historiker sich ausdrückt – durchdrang das Leben der Offiziere und entschädigte sie für manche materielle Entbehrung. Diese ideale Auffassung war für die Armee von unschätzbarem Vorteil. Das Wort „ich dien'“ hatte dadurch einen ganz besonderen Klang.

      [pg 17]

      Vielfach wurde behauptet, daß eine solche Auffassung eine Absonderung der Offiziere den anderen Berufsklassen gegenüber veranlaßt hätte. Ich habe diese Einseitigkeit im Offizierstande niemals in höherem Maße gefunden wie in jedem anderen Beruf, der auf sich hält und sich daher unter Seinesgleichen am wohlsten fühlt. Ein in den Grundzügen wohl zutreffendes Bild des damaligen Geistes innerhalb des preußischen Offizierskorps findet sich in einer Abhandlung über den Kriegsminister von Roon. Dort wird das Offizierskorps dieser Zeit ein aristokratischer Berufsstand genannt, fest und kräftig in sich geschlossen, aber durchaus nicht verknöchert oder dem allgemeinen Leben abgekehrt, auch keineswegs ohne eine Beimischung liberaler Elemente, fachmännisch nüchtern aber auch fachmännisch reich. Gegen das alte Ideal der weiten Menschlichkeit habe sich in ihm das neue der strammen Berufsbildung erhoben. Seine eifrigsten Vertreter habe es in den Söhnen der alten monarchisch-konservativen Schichten Preußens gefunden. Es sei getragen gewesen von einem starken Gefühl der staatlichen Macht, von einem friderizianischen Zuge, der Preußen in seinem Heere neue Betätigung in der Welt ersehnte.

      Als ich beim Regiment in seinem damaligen Standort Danzig eintraf, warfen die politischen Ereignisse der folgenden Monate schon ihre Schatten voraus. Zwar war die Mobilmachung gegen Österreich noch nicht ausgesprochen, aber der Befehl zur Erhöhung des Mannschaftsstandes war ergangen und in voller Ausführung begriffen.

      Angesichts des bevorstehenden Entscheidungskampfes zwischen Preußen und Österreich bewegten sich unsere politischen und militärischen Gedankengänge völlig in den Bahnen Friedrichs des Großen. Dementsprechend führten wir auch in Potsdam, wohin das Regiment nach seiner vollendeten Mobilmachung verlegt worden war, unsere Grenadiere an den Sarg dieses unvergeßlichen Herrschers. Auch der Tagesbefehl unserer Armee vor dem Einmarsch in Böhmen [pg 18]trug diesen Gedanken in seinem Schlußsatz mit den Worten Rechnung: „Soldaten, vertraut auf eure Kraft und denkt, daß es gilt, denselben Feind zu besiegen, den einst unser größter König mit einem kleinen Heere schlug.“

      Politisch empfanden wir die Notwendigkeit einer Machtentscheidung zwischen Österreich und uns, weil für beide Großmächte nebeneinander in dem damaligen Bundesverhältnis keine freie Betätigungsmöglichkeit vorhanden war. Einer von beiden mußte weichen, und da solches durch staatliche Verträge nicht zu erreichen war, hatten die Waffen zu sprechen. Über diese Auffassung hinaus war von einer nationalen Feindschaft gegen Österreich bei uns keine Rede. Das Gefühl der Stammesgemeinschaft mit den damals noch ausschlaggebenden deutschen Elementen der Donaumonarchie war zu stark entwickelt, als daß sich feindliche Empfindungen hätten durchsetzen können. Der Verlauf des Feldzuges bewies dies auch mehrfach. Gefangene wurden von unserer Seite meist wie Landsleute behandelt, mit denen man sich nach durchgefochtenem Streite gern wieder verträgt. Die Landeseinwohner auf feindlichem Gebiete, sogar der größte Teil der tschechischen Bevölkerung, zeigten uns meist ein derartiges Entgegenkommen, daß sich in den Unterkunftsorten das Leben und Treiben wie in deutschen Manöverquartieren abspielte.

      Nicht nur in Gedanken sondern auch in der Wirklichkeit schritten wir in diesem Kriege auf friderizianischen Bahnen. So brach das Gardekorps auf viel betretenen Kriegspfaden von Schlesien her bei Braunau in Böhmen ein. Und der Verlauf unseres ersten Gefechtes, desjenigen bei Soor, führte uns am 28. Juni in dem gleichen Gelände und in der nämlichen Richtung von Eipel auf Burkersdorf gegen den Feind, in der sich einst am 30. September 1747 während der damaligen Schlacht bei Soor Preußens Garde inmitten der in den starren Formen der Lineartaktik anrückenden Armee des großen Königs vorbewegt hatte.

      [pg 19]

      Unser 2. Bataillon, bei dessen 5. Kompagnie ich den nach dem damaligen Reglement aus dem dritten Gliede gebildeten 1. Schützenzug führte, hatte an diesem Tage kaum Gelegenheit, in vorderster Linie einzugreifen, weil wir den taktischen Anschauungen dieser Zeit entsprechend zu der schon vor dem Gefecht ausgesonderten Reserve gehörten. Immerhin hatten wir aber doch wenigstens Gelegenheit, uns in einem Gehölz nordwestlich Burkersdorf mit österreichischer Infanterie herumzuschießen und Gefangene zu machen, sowie später ungefähr zwei Eskadrons feindlicher Ulanen, welche in einem Grunde ahnungslos hielten, durch unser Feuer zu vertreiben und ihnen ihre Fahrzeuge abzunehmen. In letzteren befanden sich unter anderm die Regimentskasse, welche abgeliefert wurde, viele Brote, welche unsere Grenadiere auf ihre Bajonette gespießt in das Biwak bei Burkersdorf brachten, und das Kriegstagebuch, welches in dem gleichen Heft wie das des italienischen Feldzuges von 1859 niedergeschrieben war. Vor etwa 12 Jahren lernte ich einen älteren Herrn, einen Mecklenburger, kennen, der damals in österreichischen Diensten als Leutnant bei einer der Ulanen-Eskadrons gestanden hatte. Er beichtete mir, daß er bei dieser Gelegenheit seine neue Ulanka eingebüßt hätte, die für den Einzug in Berlin bestimmt gewesen war.

      Da ich bei Soor nicht viel erlebt hatte, so mußte ich mich damit begnügen, wenigstens Pulver gerochen und einen Teil jener seelischen Stimmung durchgemacht zu haben, welche die Truppe bei ihrer ersten Berührung mit dem Gegner ergreift.

      Aus meiner Kampfbegeisterung heraus wurde ich am nächsten Tage sozusagen mit der Rückseite der Medaille bekannt gemacht. Mir oblag mit 60 Grenadieren die traurige Pflicht, das Gefechtsfeld nach Toten abzusuchen und diese zu beerdigen, eine ernste Arbeit, die dadurch erschwert wurde, daß das Getreide noch auf dem Halm stand. Mit knapper Not erreichte ich, vielfach andere Truppenteile durch Laufen im Chausseegraben überholend, mit meinen Leuten am Nachmittag mein Bataillon, das sich schon im Gros der Division [pg 20]im Vormarsch nach Süden befand. Ich kam gerade noch zur Zeit, um die Erstürmung des Elbüberganges von Königinhof durch unsere Vorhut mit anzusehen.

      Der 30. Juni versetzte mich in die nüchterne Wirklichkeit kriegerischen Kleinkrams. Ich mußte mit schwacher Bedeckung etwa 30 Wagen voll Gefangener im Nachtmarsch nach Trautenau bringen, dort in die nunmehr leeren Fahrzeuge Verpflegung aufnehmen und mit dieser dann wieder nach Königinhof zurückkehren. Erst am 2. Juli früh konnte ich mich meiner Kompagnie wieder anschließen. Es war hohe Zeit, denn schon der nächste Tag rief uns auf das Schlachtfeld von Königgrätz.

      Nachdem ich in der folgenden Nacht mit meinem Zuge eine Patrouille in der Richtung auf die Festung Josephstadt ausgeführt hatte, standen wir am Morgen des 3. Juli ziemlich ahnungslos im naßkalten Vorposten-Biwak am Südausgang von Königinhof herum. Da ertönte das Alarmsignal, und bald darauf kam der Befehl, rasch Kaffee zu kochen und dann marschbereit zu sein. Aufmerksame Lauscher konnten bald heftiges Geschützfeuer aus südwestlicher Richtung vernehmen. Die Anschauungen über den Grund des Gefechtslärms waren geteilt. Im allgemeinen überwog die Meinung, daß die von der Lausitz her in Böhmen eingedrungene 1. Armee des Prinzen Friedrich Karl – wir gehörten zur 2. des Kronprinzen – irgendwo auf ein vereinzeltes österreichisches Korps gestoßen sei.

      Der nun eintreffende Vormarschbefehl wurde mit Jubel begrüßt. Sah doch der Gardist mit hellem Neid auf die bisherigen glänzenden Erfolge, die das links von uns vorgedrungene V. Armeekorps unter General von Steinmetz bisher errungen hatte.