Aus meinem Leben. Paul von Hindenburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul von Hindenburg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117658
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Franzosen in diese hineinzudrängen. Hierdurch sollte verhindert werden, daß die sich zahlreich im Vorgelände herumtreibenden Gegner verleitet würden, die massenhaft umherliegenden Gewehre zu ergreifen und einen, wenn auch aussichtslosen Durchbruchsversuch zu wagen. Ich ritt voraus durch das Bois de la Garenne bis auf die Höhen dicht über der Stadt. Die die Landschaft belebenden Rothosen erwiesen sich als harmlose Sucher nach Mänteln und Decken, welche sie in die Gefangenschaft mitnehmen wollten. Das Eingreifen des Regiments wurde daher unnötig; einige Patrouillen anderer Truppenteile, die in der Nähe biwakierten, genügten. Als ich dem mir nachfolgenden Regiment mit dieser Meldung entgegenritt, sah ich im Gehölz auf der nach Norden führenden Chaussee eine Staubwolke. Ein französischer Militärarzt, der vor der in ein Lazarett umgewandelten Querimont-Ferme stand und mich ein Stück Weges begleitete, [pg 40]sagte mir, daß sich in dieser Staubwolke der Kaiser Napoleon, begleitet von Schwarzen Husaren, befände, um nach Belgien zu fahren. Wäre ich nur zwei Minuten eher an die Straße gekommen, dann hätte ich Zeuge dieses historischen Augenblicks sein können.

      Am Abend dieses Tages verließen wir das Schlachtfeld und rückten in nahe Quartiere. Von diesen aus traten wir dann nach einem Ruhetage den Vormarsch auf Paris an. Dieser führte uns zunächst über das Schlachtfeld von Beaumont und später durch Gegenden, welche im letzten großen Kriege der Schauplatz schwerer Kämpfe gewesen sind. Am 11. und 12. September lag das Regiment in Craonne und Corbény, zwei freundlichen Städtchen am Fuße des Winterberges. Und am 28. Mai 1918 stand ich während der Schlacht bei Soissons-Reims neben meinem Allerhöchsten Kriegsherrn auf ebendemselben Winterberge. Ich machte Seine Majestät darauf aufmerksam, daß ich vor 48 Jahren dort unten im Quartier gelegen hätte. Von den beiden Orten waren kaum noch Trümmer übriggeblieben. Das Haus, in welchem ich an der Marktecke in Corbény gewohnt hatte, war unter Schutt und Asche nicht mehr herauszufinden. Auch der Winterberg, 1870 ein grüner, teilweise bewaldeter Rücken, zeigte nur kahle, steile Kalkhänge, von denen Geschosse, Hacke und Spaten die letzte Erdkrume entfernt hatten. Ein bei aller damaliger Siegesfreude trauriges Wiedersehen!

      Am 19. September sahen wir von der Hochfläche bei Gonesse aus, 8 km nordöstlich St. Denis, zum ersten Male die französische Hauptstadt. Die vergoldeten Kuppeln des Invalidendoms und anderer Kirchen funkelten im Morgensonnenstrahl. Ich glaube, daß die Kreuzfahrer einst mit ähnlichen Gefühlen auf Jerusalem geblickt haben, wie wir jetzt auf das zu unseren Füßen liegende Paris. Früh um 3 Uhr waren wir im Dunkeln aufgebrochen und lagen nun den ganzen schönen Herbsttag über auf den Stoppelfeldern zum Eingreifen bereit, im Falle bei uns oder den Nachbardivisionen das Besetzen und Einrichten der Vorpostenstellungen auf [pg 41]Schwierigkeiten stoßen sollte. Erst am späten Nachmittag durften wir in die Quartiere einrücken. Wir lagen in der nächsten Zeit in Gonesse, welches übrigens dadurch historischen Wert erlangt hat, daß dort 1815 Blücher und Wellington beim Eintreffen vor Paris zusammengekommen waren, um über die Fortführung der Operationen zu beraten.

      Statt eines baldigen vollen Erfolges hatten wir vor Paris noch monatelang recht anstrengenden und undankbaren Einschließungsdienst auszuüben, der an unserer Front nur selten durch kleinere Ausfallgefechte unterbrochen wurde. In die Eintönigkeit solcher Tätigkeit brachte erst die Weihnachtszeit mit der Beschießung der Forts eine militärisch belebende Zugluft.

      Die Mitte des Januar brachte dann für mich ein besonderes Erleben. Ich wurde mit einem Sergeanten als Vertreter des Regiments zur Kaiserproklamation nach Versailles entsandt. Den Befehl hierzu bekam ich am 16. Januar abends. Noch in dieser Nacht hatte ich mich in dem 15 km entfernten Margency einzufinden, woselbst vom Oberkommando der Maas-Armee für die Unterbringung aller aus östlichen Quartieren kommenden Abordnungen gesorgt war. Von dort sollten wir uns am 17. über St. Germain nach Versailles begeben. Zu Pferde konnte ich den etwa 40 km weiten Weg nicht zurücklegen, weil ich Gepäck mit mir führen mußte. Da setzte ich mich denn mit meinem Sergeanten und Burschen kurz entschlossen auf den Packwagen der Leibkompagnie des 1. Garderegiments, die mit mir im gleichen Ort lag und auch nach Versailles befohlen war. Im Schritt ging es so bei starker Kälte durch nächtliche Finsternis nach Margency, wo uns in einer Villa geheizte Kamine, gutes Strohlager und Tee erwarteten.

      Am 18. früh eröffnete mir der Führer der Leibkompagnie, daß er soeben angewiesen sei, nicht nach Versailles zu marschieren sondern zum Regiment zurückzukehren. Glücklicherweise nahm mich und meinen Burschen ein anderer Kamerad mit auf seinen zweiräderigen [pg 42]Wagen, und auch mein Sergeant fand irgendwo freundliche Aufnahme. So trabten wir denn an klarem Wintermorgen unserm nächsten Ziele, St. Germain, entgegen. Aber mit des Geschickes Mächten ist kein ewiger Bund zu flechten. Unser vollgepackter Dogcart verlor plötzlich ein Rad, und wir lagen vollzählig auf der Landstraße. Zum Glück fanden wir bald in einem Ort eine Feldschmiede, die den Schaden beseitigte, so daß wir uns in St. Germain bei einem Frühstück in dem auf der Terrasse über der Seine herrlich gelegenen „Pavillon d'Henri quatre“ den übrigen Mitreisenden wieder anschließen konnten. Ein eigentümlicher Wagenzug war es, der dann im Strahl der untergehenden Sonne seinen Einzug in Versailles hielt. Alle Arten von Fahrzeugen waren vertreten, wie man sie in den Schlössern, Villen und Bauernhöfen um Paris auftreiben konnte. Den meisten Eindruck machte ein Kartoffelwagen, dessen Inhaber zur Feier des Tages rechts und links von seinem Sitz eine große preußische Fahne – deutsche gab es ja noch nicht – aufgezogen hatte. Bald nahm mich ein gutes Quartier bei einer freundlichen alten Dame in der Avenue de Paris auf, und der Abend vereinigte uns zu einem langentbehrten Souper im Hotel des Reservoirs.

      Die Feier am 18. ist genugsam bekannt. Sie war für mich reich an Eindrücken. Am erhebendsten und zugleich ergreifendsten wirkte selbstredend die Person meines Allergnädigsten Königs und Herrn. Seine ruhige, schlichte, alles beherrschende Würde gab der Feier eine größere Weihe als aller äußere Glanz. Die herzenswarme Begeisterung für den erhabenen Herrscher war aber auch bei allen Teilnehmern, welchem deutschen Volksstamme sie auch angehörten, gleich groß. Die Freude über das „Deutsche Reich“ brachten wohl unsere süddeutschen Brüder am lebhafteren zum Ausdruck. Wir Preußen waren darin zurückhaltender, aus historischen Gründen, die uns unsern eigenen Wert zu einer Zeit schon hatten erkennen lassen, in der Deutschland nur ein geographischer Begriff war. Das sollte fortan anders werden!

      [pg 43]

      Am Abend des 18. waren die in Versailles anwesenden Generale zur Tafel bei Seiner Majestät dem Kaiser in der Präfektur befohlen. Wir übrigen waren Gäste des Kaisers im Hotel „de France“.

      Der 19. Januar begann mit einer Besichtigung des alten französischen Königsschlosses mit seiner stolzen, den Ruhm Frankreichs verewigenden Gemäldesammlung. Auch der weitausgedehnte Park wurde besucht. Da rief uns plötzlich Kanonendonner in die Stadt zurück. Die Besatzung von Versailles war bereits alarmiert und im Ausmarsch begriffen. Es handelte sich um den großen Ausfall der Franzosen vom Mont Valerien her. Wir beobachteten den Kampfverlauf eine Zeitlang als Schlachtenbummler. Nachmittags traten wir dann die Rückfahrt an, und spät in der Nacht erreichte ich wieder mein Regimentsstabsquartier Villers le Bel, 8 km nördlich St. Denis, dankbar dafür, daß ich den großen geschichtlichen Augenblick hatte miterleben und meinem nunmehrigen Kaiser zujubeln dürfen.

      Der vergebliche Ausfall vom Mont Valerien war die letzte große Kraftäußerung Frankreichs. Ihm folgte am 26. die Kapitulation von Paris und am 28. der allgemeine Waffenstillstand. Gleich nach der Übergabe der Forts wurde unsere Brigade westwärts in die zwischen dem Mont Valerien und St. Denis gelegene Seinehalbinsel geschoben. Wir bezogen gute, schön gelegene Quartiere hart am Flußufer, Paris gegenüber in der Nähe des Pont de Neuilly.

      Von dort aus hatte ich Gelegenheit, Paris wenigstens oberflächlich kennenzulernen. Am 2. März morgens ritt ich in Begleitung einer Gardehusaren-Ordonnanz über die eben genannte Brücke nach dem Triumphbogen. Ich umging diesen ebensowenig wie am Tage vorher mein Freund, der damalige Husarenleutnant von Bernhardi, der als erster in Paris einrückte. Dann ritt ich die Champs Elysées herunter über die Place de la Concorde und durch die Tuilerien bis hinein in den Hof des Louvre, schließlich an der Seine entlang und durch den Bois de Boulogne wieder nach Hause. Ich ließ auf [pg 44]diesem Wege die geschichtlichen Denkmäler einer reichen gegnerischen Vergangenheit auf mich wirken. Die wenigen Einwohner, die sich zeigten, bewahrten eine gemessene Haltung.

      So wenig ich geneigt bin, einem Kosmopolitismus zu