Aus meinem Leben. Paul von Hindenburg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul von Hindenburg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117658
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ich meine Auffassung dahin aus, daß wir nicht so einseitig und undankbar sein dürfen, über der Bewunderung für einen Alcibiades oder Themistokles, für die verschiedenen Katos oder Fabier so manche derjenigen Männer ganz zu übersehen, die in der Geschichte [pg 11]unseres eigenen Vaterlandes eine mindestens ebenso wichtige Rolle gespielt haben wie jene einst für Griechenland und Rom. Ich habe traurige Wahrnehmungen in dieser Beziehung leider wiederholt im Gespräch mit deutscher Jugend gemacht, die mir dann bei aller Gelehrsamkeit doch etwas weltfremd vorkam.

      Vor solcher Weltfremdheit bewahrten uns im Kadettenkorps unsere Lehrer und Erzieher, und ich danke ihnen das noch heute. Dieser Dank gebührt vornehmlich einem damaligen Leutnant von Wittich. Ich war ihm, als ich nach Wahlstatt kam, durch einen Verwandten empfohlen worden, und er nahm sich meiner stets besonders freundlich an. Selbst erst vor wenigen Jahren dem Kadettenkorps entwachsen, fühlte er ganz mit uns, beteiligte sich gern an unseren Spielen, besonders den Schneeballgefechten im Winter, wirkte überall erfrischend und anregend und besaß obenein ein hervorragendes Lehrtalent. Er hat mich 1859 in Sexta in Geographie und sechs Jahre später in Berlin in Selekta im Geländeaufnehmen unterrichtet, und als ich nach weitern Jahren die Kriegsakademie besuchte, fand ich auch dort wieder den Generalstabsmajor von Wittich als Lehrer vor. Dieser beschäftigte sich schon als Leutnant mit Kriegsgeschichte und gab uns manchmal während der sonntäglichen Spaziergänge durch Anlage kleiner Übungen in geeignetem Gelände anschauliche Bilder über den Gang der Schlachten, welche damals, 1859, in Oberitalien geschlagen wurden, wie z. B. Magenta und Solferino. Später, in Berlin, regte er mich, den Kadetten, auch bereits zum Studium der Kriegsgeschichte an und lenkte dadurch mein jugendliches Interesse in Bahnen, die für meinen weiteren Werdegang von Bedeutung waren. Ist doch die Kriegsgeschichte der beste Lehrmeister für die höhere Truppenführung. Als ich später in den Generalstab versetzt wurde, gehörte ihm Oberstleutnant von Wittich auch noch an bedeutsamer Stelle an, und schließlich sind wir beide sogar noch gleichzeitig Kommandierende Generale, also Befehlshaber über Armeekorps, gewesen. Das hatte der kleine Sextaner in Wahlstatt [pg 12]nicht geahnt, als ihm der Leutnant von Wittich in der Geographiestunde einen freundschaftlichen Jagdhieb mit dem Lineal versetzte, weil er Montblanc und Monte Rosa verwechselt hatte.

      Unter der harten Schulung des Kadettenlebens hat unser Frohsinn nicht gelitten. Ich wage es zu bezweifeln, daß sich das frische jugendliche Toben, dem natürlicherweise die gelegentliche Steigerung bis zum tollen Übermut nicht fehlte, in irgend welchen anderen Bildungsanstalten mehr geltend machte, als bei uns Kadetten. Wir fanden in unseren Erziehern meist verständnisvolle, milde Richter.

      Ich selbst war zunächst keineswegs das, was man im gewöhnlichen Leben einen Musterschüler nennt. Anfangs hatte ich eine aus früheren Krankheiten zurückgebliebene körperliche Schwächlichkeit zu überwinden. Als ich dann dank der gesunden Erziehungsart allmählich erstarkte, hatte ich anfänglich wenig Neigung dazu, mich den Wissenschaften besonders zu widmen. Erst langsam erwachte in dieser Beziehung mein Ehrgeiz, der sich mit den Jahren bei gutem Erfolge immer mehr steigerte und mir schließlich unverdientermaßen den Ruf eines besonders begabten Schülers einbrachte.

      Bei allem Stolz, mit welchem ich mich „Königlicher Kadett“ nannte, begrüßte ich doch die Tage der Einkehr in das Elternhaus stets mit unendlichem Jubel. Die Reisen waren in der damaligen Zeit, besonders während des Winters, freilich nicht einfach. Je nach dem Reiseziel wechselten langsame Bahnfahrten in ungeheizten Wagen mit noch langsamern Postfahrten ab. Aber alle diese Schwierigkeiten traten in den Hintergrund bei der Aussicht, die Heimat, Eltern und Geschwister wiederzusehen. Der Sehnsucht des Sohnes schlug das Herz der Mutter am wärmsten entgegen. So entsinne ich mich noch meiner ersten Weihnachtsheimkehr nach Glogau. Ich war mit anderen Kameraden die ganze Nacht hindurch von Liegnitz in der Post gefahren. Noch im Dunkeln trafen wir, durch Schneefall verspätet, in Glogau ein. Da saß die liebe Mutter in der schwach erleuchteten, kaum erwärmten sogenannten Passagierstube an wollenen [pg 13]Strümpfen strickend, als wolle sie durch das Nachgeben gegenüber der Sehnsucht zu einem ihrer Kinder die Vorsorge für das Wohl der anderen nicht versäumen.

      In mein erstes Kadettenjahr fiel im Sommer 1859 ein Besuch des damaligen Prinzen Friedrich Wilhelm, des späteren Kaisers Friedrich, und seiner Gemahlin in Wahlstatt. Wir sahen fast alle bei dieser Gelegenheit zum ersten Male Mitglieder unseres Königshauses. Noch nie hatten wir beim Parademarsch unsere Beine so hoch geworfen, noch nie bei dem sich hieran anschließenden Vorturnen so halsbrecherische Übungen gemacht als an diesem Tage. Und von der Güte und Leutseligkeit des Prinzenpaares sprachen wir noch lange Zeit.

      Im Oktober des gleichen Jahres wurde zum letzten Male der Geburtstag König Friedrich Wilhelms IV. gefeiert. Unter diesem schwergeprüften Herrscher habe ich also die preußische Uniform angelegt, die bis an mein Lebensende mein Ehrenkleid bleiben soll. Ich hatte die Ehre, der verwitweten Gemahlin des Königs, der Königin Elisabeth, im Jahre 1865 als Leibpage zugeteilt zu werden. Die Taschenuhr, die Ihre Majestät mir damals schenkte, hat mich in drei Kriegen treulich begleitet.

      Ostern 1863 wurde ich nach Sekunda und hierdurch nach Berlin versetzt. Das dortige Kadettenhaus lag in der neuen Friedrichstraße unweit des Alexanderplatzes. Ich lernte nun zum ersten Male Preußens Hauptstadt kennen und durfte jetzt endlich bei den Frühjahrsparaden mit Aufstellung Unter den Linden und Vorbeimarsch auf dem Opernplatz sowie bei den Herbstparaden auf dem Tempelhofer Felde meinen Allergnädigsten Herrn, König Wilhelm I., sehen.

      Einen ebenso erhebenden als ernsten Ton brachte in unser Kadettenleben der Beginn des Jahres 1864. Der Krieg gegen Dänemark brach aus, und ein Teil unserer Kameraden schied im Frühjahr von uns, um in die Reihen der kämpfenden Truppen zu treten. Mich selbst verhinderte leider noch das jugendliche Alter daran, zu der [pg 14]Zahl dieser Vielbeneideten zu gehören. Mit welch heißen Wünschen die ausziehenden Kameraden von uns begleitet wurden, bedarf keiner Schilderung.

      Über die politischen Gründe, die zu dem Kriege führten, zerbrachen wir uns den Kopf noch nicht. Aber wir hatten doch schon das stolze Empfinden, daß in das matte und haltlose Wesen des Deutschen Bundes endlich einmal ein erfrischender Wind gefahren war, und daß die Tat wieder mehr gelten sollte als das Wort und die Aktenbündel. Im übrigen verfolgten wir mit glühendem Interesse die kriegerischen Ereignisse, wohnten freudig klopfenden Herzens der Einbringung der eroberten Geschütze und dem Siegeseinzug der Truppen als Zuschauer bei und glaubten zu dem Gefühl berechtigt zu sein, einen Teil jenes Geistes in uns zu haben, der auf den dänischen Kampffeldern unsere Truppen zum Erfolge führte. War es zu verwundern, wenn wir seitdem kaum den Tag erwarten konnten, der uns selbst in die Reihen unserer Armee führen sollte?

      Bevor dies geschah, wurde uns noch die Ehre und das Glück zuteil, unserm König persönlich vorgestellt zu werden. Wir wurden zu dem Zweck in das Schloß geführt und hatten dort Seiner Majestät Namen und Stand des Vaters zu nennen. Kein Wunder, daß da mancher in der Aufregung erst kein Wort hervorbrachte und dann die Worte durcheinander warf. Hatten wir doch noch nie unserm greisen Herrscher so nahe gegenüber gestanden, ihm noch nie so scharf in das gütige Auge geblickt und seine Stimme gehört. Ernste Worte sprach der König zu uns. Er ermahnte uns, auch in schweren Stunden unsere Schuldigkeit zu tun. Bald sollten wir Gelegenheit haben, dies in die Tat umzusetzen. Manche von uns haben ihre Treue mit dem Tode besiegelt.

      Im Frühjahr 1866 verließ ich das Kadettenkorps. Allezeit bin ich seitdem dieser militärischen Erziehungsanstalt auf Grund meiner persönlichen Erfahrungen und Neigungen dankbar und treu ergeben geblieben. Ich freute mich immer der hoffnungsvollen jungen Kame[pg 15]raden in des Königs Rock. Auch während des Weltkrieges nahm ich gern Gelegenheit, Söhne meiner Mitarbeiter, meiner Bekannten oder gefallener Kameraden bei mir als Gäste zu sehen. Ein günstiger Umstand gab mir sogar Veranlassung, die Feier meines in den Krieg fallenden 70jährigen Geburtstages damit zu beginnen, daß ich drei kleine Kadetten in Kreuznach von der Straße weg an meinen mit eßbaren Geschenken reich besetzten Frühstückstisch rufen lassen konnte. Sie traten vor mich hin, so wie ich die Jugend liebe, frisch und unbefangen, leibhaftige Bilder längst vergangener Zeiten, Erinnerungen an selbsterlebte Tage.

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