Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme. Jodocus Temme. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027238149
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kommandieren oder auch wohl eine Parade führen können. Er war allerdings eine riesige, kräftige und prächtige Soldatengestalt; er hatte auch jene tiefe Schlachtenstimme, und er trug wohl als Zeugen seines persönlichen Mutes das Großkreuz des Ordens pour le mérite, das zugleich anzeigte, dass er im Besitze aller andern militärischen Orden seines Königs sei. Aber den großen Feldherrn glaubte man doch seinem strammen und steifen Wesen nicht ansehen zu können und man musste bei seinem Anblicke an die Gamaschenzeit denken, die freilich vorüber war, und an die Zeit der Paraden, die noch nicht vorüber war.

      Daher verschwand denn auch wohl die kleine Gestalt des geistlichen Herrn nicht neben der riesigen des Soldaten. Der Domherr reichte dem General kaum bis an die Schultern, er war beweglich neben der Gemessenheit des andern. Aber seine Bewegungen waren fein, vornehm, anmutig, und sein Gesicht war aristokratisch geschnitten, und aus seinen dunklen Augen blitzte Geist und die krausen grauen Haare deuteten Charakter an, während an dem General alles eben nichts Ungewöhnliches zeigte.

      Der General umarmte den Domherrn etwas steif. Und der Domherr, wenn auch seine angeborene Gutmütigkeit dem Gelähmten Hilfe geleistet hätte, machte doch wenig Umstände mit seinem Verwandten.

      »Sie haben mich ja vortrefflich einquartiert«, sagte der General.

      »Es soll mich freuen, wenn es Ihnen hier gefällt«, versetzte der Domherr. »Mein Johann soll Sie in das Innere führen. Ich muss mich doch nach der Gisbertine umsehen. — Johann, Du hast gehört.«

      Damit kehrte er zu dem Wagen zurück.

      Die Begleiterin des Generals war mit Hilfe ihrer Jungfer ausgestiegen.

      Es war eine schöne junge Dame im Anfange der zwanziger Jahre; eine zierliche, reizende, schlanke Gestalt; reiches aschblondes Lockenhaar; dunkelblaue, außerordentlich sanfte Augen; blendend weißer, durchsichtiger Teint; bei dem allem in dem feinen Gesichte, in dem ganzen zierlichen Wesen der Ausdruck einer gewissen Bestimmtheit und Entschiedenheit.

      Sie war mit dem Ordnen ihres Anzugs beschäftigt, als der Domherr zu ihr trat; vielmehr die Zofe war es; die Dame erteilte nur Befehle. Der Domherr stand vor ihr, sie blickte nicht nach ihm auf.

      Der Domherr sah sie schweigend, mit einem eigentümlichen Lächeln an.

      »Guten Abend, Gisbertine«, sagte er dann.

      Sie antwortete ihm nicht, sie sah nicht nach ihm auf.

      »Guten Abend, Gisbertine«, wiederholte er mit seinem ruhigen Lächeln. »Du hattest bisher noch keinen für mich. Du hattest nur einen Befehl für mich.«

      Die Dame sprach:

      »Ich bin nicht gewohnt, vernachlässigt zu werden«, sagte sie, ebenfalls vollkommen ruhig.

      »Guten Abend, Gisbertine«, wiederholte der Domherr nochmals.

      »Guten Abend«, sagte sie kurz.

      »Endlich!« lächelte der Domherr.

      »Also Du bist nicht gewohnt, vernachlässigt zu werden?« fragte er dann.

      »Ich sagte so«, erwiderte sie.

      »Und wenn ich nun nicht gewohnt wäre, Befehle zu empfangen?«

      »So passen wir nicht zusammen.«

      »Und warum kamst Du denn hierher zu mir?«

      »Um des Onkels Steinau willen.«

      »Aber der Onkel Steinau wollte nach Pyrmont!«

      »Ja!«

      »Und von Dir ging der Gedanke aus, hierher zu gehen. Du wolltest also etwas von mir!«

      Sie sah vor sich hin, ob sie ihm antworten solle.

      »Du wolltest etwas von mir, Gisbertine!«

      Sie hatte noch keinen Entschluss gefasst.

      »Hast Du mir nichts zu sagen, Gisbertine?« fragte er.

      »Nein«, antwortete sie fast trotzig.

      »Auch keine Frage an mich?«

      »Nein!« wiederholte sie fast heftig.

      »Hm, Gisbertine, seit heute früh wütet die Schlacht drüben über dem Rhein.«

      Sie zuckte zusammen Ihr schönes Gesicht wurde weiß. Aber es dauerte kaum eine Sekunde. Dann hatte sie ihre volle Fassung wieder.

      »Gehen wir ins Haus, Onkel Florens. Der Onkel Steinau wird auf mich warten. Deinen Arm, wenn ich bitten darf.«

      Sie nahm seinen Arm.

      »Du zitterst nicht, Gisbertine?« fragte er.

      »Zittern? Wovor?« erwiderte sie stolz.

      »Gisbertine, ich erhielt gestern Abend einen Brief von Gisbert.«

      »Er lebt also noch!« sagte die Dame kalt.

      Der Domherr fuhr ruhig fort:

      »Er schrieb aus Charleroi.«

      »So?«

      »Er erwartete am andern Tage eine Schlacht.«

      »Warum erzählst Du mir das, Onkel?«

      »Weil« — der Domherr verlor doch beinahe seine Ruhe — »wenn der arme brave Mensch heute gefallen ist oder morgen fallen wird, Du seine Mörderin bist!«

      »Ich erstaune, Onkel Florens.«

      Der Domherr war wieder Herr über sich; es mochte ihm Anstrengung genug kosten.

      »Gehen wir ins Haus, Gisbertine.«

      »Ich bat Dich schon darum.«

      »Noch eine Frage, Gisbertine«, sagte er dann. »Unter welchem Namen willst Du hier sein?«

      Sie sah ihn verwundert an.

      »Als Freifräulein von Aschen.«

      »Hier«, sagte der Domherr.

      Sie hatten das Haus erreicht.

      »Du wirst allein sein wollen«, sagte der Domherr.

      »Ja!«

      Sie trennten sich.

      Der Domherr blieb in tiefen Gedanken in der Haustür stehen.

      »Wie empfing die eine mich mit dem jubelnden Freudengeschrei! Und wie diese! Freilich, freilich! Karoline hat immer das brave, edle Herz, dem sie nicht den Schatten eines Vorwurfs machen kann. Und diese? Aber wie ist es denn? Macht denn der Mensch dem Herzen Vorwürfe, oder das Herz dem Menschen? Vom Gewissen spricht man! Was ist denn das Herz? Und was ist das Gewissen?«

       Zweites Kapitel.

       Nachrichten vom Kriegsschauplatze und wie es unterdes in deutschen Landen aussieht

       Inhaltsverzeichnis

      Etwa drei Viertelstunden von Hofgeismar entfernt liegt in einer jener engen Bergschluchten, durch welche die Diemel fließt, eine alte Sägemühle, deren Räder von dem Flusse getrieben werden. Anderthalbhundert Schritt von der Mühle entfernt liegt ein neues Haus — es war wenigstens im Jahre 1815 noch neu — umgeben von einem freundlichen Gärtchen und einem Rasenplatz, der sich bis an die Diemel erstreckt. Das Haus ist halb verborgen von krausen Obstbäumen; den Rasenplatz fassen schattige Linden und an dem Ufer des Flusses dichte Weidenbäume ein. Haus und Garten und Rasenplatz liegen in der Mitte der engen Schlucht und sie liegen dort reizend zwischen den hohen, steilen, mit dunkler Laubwaldung bedeckten Bergen und an dem klaren Flusse, der tief und rauschend zwischen ihnen hinströmt.

      Mühle und Hans gehören einem und demselben Besitzer. In dem Hause wird eine Wirtschaft betrieben. Der Müller hat diese Wirtschaft