DIVINE - BLICK INS FEUER. Cheryl Kaye Tardif. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Cheryl Kaye Tardif
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958350922
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mobilem Datakom-Gerät hergestellt hatte, sagte sie: »Gib mir fünfzehn Minuten. Ende der Nachricht.« Während sie weiter auf den Bildschirm mit der Nachricht starrte, wurde ihr klar, dass ihr Urlaub jetzt vorbei war. Kurz überlegte sie, was so wichtig sein konnte, dass Ben sich gezwungen sah, ihre Auszeit zu unterbrechen. Eigentlich hatte sie gehofft, sich in den nächsten zwei Tagen endlich etwas ausruhen zu können. Sie wühlte sich durch ihre verschwitzten Laken, setzte sich auf die Bettkante und griff nach ihrem eigenen Datakom. Sie öffnete ihren Kalender. Für heute war ein schwarzes X eingetragen. »Oh Gott«, stöhnte sie. Heute war ihr sechsundzwanzigster Geburtstag. Jasi hasste Geburtstage. Schwungvoll stieß sie sich von der Bettkante ab und schlug sich in der Dunkelheit den Zeh an ihrer Kommode an. Der stechende Schmerz ließ sie leise fluchend zusammenfahren. »Badlicht an, Stufe 2!« Ihr Home Security & Environmental Control System tauchte den Raum sofort in ein angenehm gedämpftes Licht. An manchen Tagen war sie Ben mehr als dankbar für die Installation von H-SECS in ihrer neuen Wohnung. An anderen Tagen, wenn sie sich mal wieder nicht an ein bestimmtes Kommando oder den Sicherheitscode für ihren Waffenschrank erinnern konnte, bekam Ben natürlich ordentlich was zu hören. Kopfschüttelnd humpelte Jasi ins direkt angrenzende Badezimmer. Konnte dieser Tag überhaupt noch schlimmer werden? Vielleicht sollte ich einfach wieder zurück ins Bett … und zwar bis morgen früh. Schnell setzte sie sich auf den Toilettendeckel und betrachtete ihren pochenden Zeh. Missmutig stand sie auf, lehnte sich an das Waschbecken und begutachtete ihr Spiegelbild. In diesem Moment holten sie die Erinnerungen an den Albtraum wieder ein. »Wieso kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«, flüsterte sie dem toten, imaginären Mädchen zu. Jasi spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und runzelte die Stirn, als sie sich mit den Ellenbogen am Waschbecken abstützte und ihre verquollenen grünen Augen bemerkte. Mit den Fingern fuhr sie über eine kleine Narbe an der linken Seite ihres Kinns. Eigentlich war die Narbe kaum sichtbar, aber Jasi wusste, dass sie da war. Sie riss sich aus ihren Gedanken, warf ihrem Spiegelbild einen letzten mitleidigen Blick zu und steuerte auf die Dusche zu. »Dusche an, Massage, 40 Grad«, sagte sie laut, während sie ihren Slip und ihr Nachthemd auszog. »Radio an, Lautstärke 7.« Aus den Deckenlautsprechern ertönte Musik von ihrem Lieblingssender und sie humpelte in die geräumige Duschkabine. Langsam streckte sie die Arme aus und spürte, wie sich ihre Muskeln merklich entspannten. Erleichtert seufzte sie auf, während das dampfende Wasser alle Gedanken an das tote Mädchen den Abfluss hinunterspülte. Jasi schäumte ihre langen kastanienbraunen Haare gründlich ein und ließ sich den Kopf eine Weile von dem angenehm warmen Wasserstrahl massieren. Sie verzog das Gesicht, während sie versuchte, ihre welligen Locken mit einem groben Kamm zu bändigen. Ihre Haare machten einfach, was sie wollten. Es war nicht das erste Mal, dass Jasi gute Lust hatte, sie einfach abzuschneiden. Aber sie befürchtete, dass sie dann mit einem Afro dastand, und das ging einfach gar nicht. Damit würde sie niemand mehr ernst nehmen. Plötzlich klingelte ihr Datakom. Die fünfzehn Minuten waren vorbei. Leise fluchend spuckte sie die restliche Zahnpasta aus und verfehlte dabei nur knapp den Seifenspender. »Datakom an!« »Guten Morgen, Sonnenschein!«, dröhnte eine männliche Stimme. »Hast du uns vermisst?« Benjamin Roberts, ihr Freund und Kollege, wartete gar nicht erst auf ihre Antwort. »Divine hat ein Command Meeting angesetzt. Er lässt ausrichten, dass es ihm sehr um deinen Urlaub leid tut, aber wir brauchen deine Hilfe.« Die Stimme folgte Jasi ins Schlafzimmer, wo sich das Licht auf Kommando einschaltete. Sie seufzte laut. »Klar, ich hab heute schließlich auch nichts Besseres zu tun. Zum Beispiel ausschlafen, ins Kino gehen oder mich leidenschaftlich mit einem gutaussehenden Fremden im Bett wälzen.« Nervös umrundete sie den Kleiderschrank, riss die Tür auf und trat schnell einen Schritt zurück. Man konnte nie wissen, wer oder was sich darin versteckte. Der Schrank war leer. »Sag mal, stör ich dich wirklich nicht?« Sie griff nach ein paar Kleidern und stieß die Tür schnell wieder zu. »Na, schön wär’s. Was ist denn überhaupt passiert, Ben?« Schnell schlüpfte sie in ein Paar lässige Jeans und eine leichte Bluse, während sie seine Antwort abwartete. »Bist du noch in der Dusche, Jasi? Vielleicht solltest du mal die Vid-Wall einschalten.« Sie hörte ihn kichern. »Ja, klar!« »Wir haben einen Fall in der Nähe von Kelowna – einen Brand.« Ben war wieder ganz ernst. »Ein Opfer, Dr. Norman Washburn, Arzt im Krankenhaus von Kelowna.« Jasi runzelte die Stirn und legte sich noch einen Schulterholster an. Kelowna. Dort war sie seit Jahren nicht mehr gewesen. Nicht seit den verheerenden Waldbränden auf dem Okanagan Mountain im Jahr 2003. Jetzt, neun Jahre später, würde sie zurückkehren. Sie wusste, dass sie hierfür einige Vorkehrungen treffen musste. »Was hat das denn mit uns zu tun?« »Tut mir leid, Jasi. Ich weiß, dass du eigentlich gerade frei hast. Aber der Fall ist wirklich heftig. Es gibt eine Verbindung zu einem anderen Brand. Zwei Opfer – eine Mutter und ihr Kind aus Victoria. Der Fall ist ungelöst.« Lange war kein Laut mehr zu hören. »Ben?« Sie hörte ihn leise glucksen. »Übrigens: Alles Gute zum Geburtstag, Jasi.« »Wo liegt die Verbindung zu dem Arzt in Kelowna?«, fragte sie und ignorierte die Anspielung auf ihren Geburtstag. Als Ben ihr mitteilte, was die Ermittler am Tatort gefunden hatten, griff Jasi nach ihrer 9-Millimeter-Beretta, überprüfte die Sicherung und steckte sie in das Holster. Sie eilte aus der Wohnung – dicht gefolgt von einem Schatten.

       Ein Taxi brachte sie zu einem abgeschiedenen Gebäude im West End.

       Auf dem Dach der scheinbar heruntergekommenen Lagerhalle wartete ein Helikopter. Die Motorengeräusche vermischten sich mit dem Straßenlärm der Umgebung. Vancouver war ständig in Bewegung. Eine Stadt, die niemals schlief.

       Mit der Handtasche über der Schulter tippte Jasi ihren Sicherheitscode ein und nannte laut ihren Namen. Seit Neuestem war die Tür zusätzlich durch eine Spracherkennungssoftware gesichert.

       Die Tür öffnete sich und sie schlüpfte in die kleine Luftschleuse. Ein Mann in Militärkleidung und mit Bürstenhaarschnitt begrüßte sie. In einer Hand hielt er locker sein Gewehr.

       »Hi, Thomas«, winkte sie ihm zu.

       Der Waffentechniker war groß und muskulös; sein Gesicht hatte Ähnlichkeit mit einem Pitbull. Als er sie erkannte, schenkte er ihr ein für seine Verhältnisse überaus freundliches Lächeln. »Agent McLellan. Schön, Sie wiederzusehen.«

       Jasi holte ihre Beretta aus dem Halfter und legte sie in eine durchsichtige Plastikschale. Die Schale lief über ein Band in ein Loch in der Wand, wo die Pistole durchleuchtet und die Registrierdaten überprüft wurden.

       Thomas winkte sie durch.

       Über einen kurzen Gang gelangte sie in einen großen Raum voller Computer und technischem Equipment. Sie folgte einem zweiten Wachmann zunächst zu dem Ganzkörper-Scanner, dann dem Metall- und Pulverdetektor und ließ geduldig ihre Fingerabdrücke überprüfen.

       Als letztes wartete noch der Netzhaut-Scanner.

       »Ich sehe was, was du nicht siehst«, kicherte Vanda, die diensthabende Technikerin, als sie Jasi entdeckte.

       »Und zwar jede Menge Augenringe … die zu dem Gesicht einer Sechzigjährigen passen«, brummte Jasi während der Prozedur.

       »Also für eine Sechzigjährige haben Sie sich verdammt gut gehalten, junge Dame«, scherzte Vanda und winkte Jasi durch die Kontrolle.

       »Ach ja? Also wenn Divine mich das nächste Mal aus dem Urlaub holt, dann stell ich mich einfach tot!«

       Jasi ging zur letzten Sicherheitskontrolle. Hier wurde der kleine Tracking-Chip überprüft, der ihr in den Bauchnabel implantiert worden war. Der Chip diente dazu, vermisste Agenten aufzuspüren – und zur Identifikation. Besonders wenn anhand des Körpers keine eindeutige Identifikation mehr möglich war.

       Auf der anderen Seite des Kontrolldurchgangs wartete bereits Benjamin Roberts. »Sie haben freies Geleit, oh Königin der Finsternis.« Er machte eine ausholende Bewegung und Jasi bemerkte seine schwarzen Handschuhe.

       Thomas schob die Schale mit der Waffe in Bens Richtung. Er runzelte die Stirn. »Weißt du, Jasi, es gibt inzwischen auch etwas bessere Modelle als dieses alte Teil.«

       Sie zuckte mit den Schultern. »Ja, weiß ich. Aber sie hat eben einen sentimentalen Wert.«

       Er reichte ihr die Waffe.

       »Alles Gute zum Geburtstag, Agent McLellan«, rief Thomas.

       Jasi warf Ben einen vernichtenden Blick