»Du hast das kleine Licht gesehen«, sagte ihm eine Stimme. Dann wurden wieder Kerzen angezündet und man sagte, er möge das volle Licht sehen. Wieder wurde die Binde abgenommen und mehr als zehn Stimmen riefen zugleich: »Sic transit gloria mundi.«
Peter begann sich zu fassen und blickte sich im Zimmer um. Um einen langen, mit schwarzem Tuch bedeckten Tisch saßen zwölf Männer, alle in denselben Gewändern, die er vorhin gesehen hatte. Einige waren Peter bekannt. Auf dem Stuhl des Vorsitzenden saß ein unbekannter junger Mann mit einem Kreuz um den Hals. Alle beobachteten ein feierliches Schweigen und hörten auf die Worte des Vorsitzenden, der den Hammer in der Hand hielt. An der Wand sah er glänzende Sterne. Auf der einen Seite des Tisches war ein kleiner Teppich mit verschiedenen Figuren darauf, auf der anderen Seite stand eine Art von Altar mit der Bibel und dem Menschenschädel. Auf dem Tisch standen sieben große Kirchenkerzen. Zwei der Brüder führten Peter an den Altar, brachten seine Füße in rechtwinkelige Stellung und befahlen ihm, sich niederzulegen.
»Er muß zuerst die Kelle erhalten«, sagte flüsternd einer der Brüder.
»Ach, hören Sie auf damit«, erwiderte ein anderer.
Peter blickte sich mit seinen kurzsichtigen Augen ringsum und plötzlich entstanden in ihm Zweifel.
»Wo bin ich? Was tue ich? Wird man nicht über mich lachen? Werde ich mich nicht mit Beschämung dessen erinnern?« Aber seine Zweifel dauerten nur einen Augenblick. Peter sah die ernsthaften Gesichter der ihn Umgebenden, erinnerte sich an alles, was er schon durchgemacht hatte und begriff, daß er nicht auf halbem Wege stehenbleiben konnte. Er entsetzte sich über seine Zweifel und bemühte sich, das frühere wonnige Gefühl wieder zu erwecken. Und wirklich, es erschien noch stärker als zuvor. Nachdem er einige Zeit gelegen hatte, wurde ihm befohlen, aufzustehen. Man legte ihm ein ebensolches weißes ledernes Gewand um, wie es die anderen trugen, gab ihm eine Kelle in die Hand und drei Paar Handschuhe. Darauf sagte ihm der Großmeister, er solle sich hüten, jemals dieses weiße Gewand zu beflecken, das die Festigkeit und Sittsamkeit vorstelle. Dann sagte er von der Kelle, er solle sich bemühen, damit sein Herz von den Lastern zu reinigen. Endlich teilte er ihm über das erste Paar Handschuhe mit, daß er ihre Bedeutung nicht erfahren könne, die Handschuhe aber behalten solle. Über das andere Paar sagte er, er solle sie in Gesellschaften tragen, und über das dritte Paar, welches Damenhandschuhe waren, belehrte er ihn: »Lieber Bruder, auch diese Frauenhandschuhe sind für Sie bestimmt. Geben Sie sie dem Weibe, welches Sie mehr als alle andern verehren. Damit versichern Sie diejenige, die Sie als würdig eines Freimaurers auswählen, der Sittsamkeit Ihres Herzens. Aber achte wohl darauf, lieber Bruder, daß diese Handschuhe nicht unreine Hände schmücken.«
Peter blickte sich unruhig um, und es entstand ein peinliches Schweigen, welches durch einen der Brüder unterbrochen wurde, indem er Peter auf den Teppich führte und aus einem Heft die Erklärung aller darauf abgebildeten Figuren, Sonne, Mond, Hammer, Senkblei, Kelle, Würfel, Säule, drei Feuer und so weiter vorlas. Dann wurde Peter ein Platz angewiesen. Man zeigte ihm das Zeichen der Loge, nannte ihm das Losungswort zum Eintritt und endlich wurde ihm erlaubt, sich niederzusetzen. Der Großmeister begann die Statuten vorzulesen. Peter war in seiner Freude und Aufregung nicht imstande, alles zu begreifen, was vorgelesen wurde. Mit Freudentränen in den Augen blickte er um sich, ohne zu wissen, was er auf die Begrüßungsworte der Bekannten, die ihn umgaben, antworten sollte. Der Großmeister klopfte mit dem Hammer, alle setzten sich an ihre Plätze und der eine las eine Belehrung über die Notwendigkeit des Gehorsams vor. Der Großmeister forderte ihn auf, die leichten Verpflichtungen zu erfüllen, und ein vornehmer Würdenträger begann die Brüder einzeln zu befragen. Peter wollte auf dem Blatt der Almosen alles Geld verschreiben, das er besaß, aber er befürchtete, daß das für Hochmut angesehen werden könnte und unterschrieb daher nur so viel wie die anderen. Die Sitzung wurde aufgehoben, und nach seiner Rückkehr glaubte Peter von einer fernen Reise zurückzukommen, gänzlich verändert und fern von den früheren Lebensgewohnheiten.
78
Am Tage nach seiner Aufnahme in die Loge saß Peter zu Hause, las und bemühte sich, die Bedeutung eines Quadrats zu erkennen, dessen eine Seite Gott, dessen andere die Sittlichkeit, dessen dritte das Physische und dessen vierte das Lächerliche bildete. Endlich gab er dieses Nachdenken auf und begann, neue Lebenspläne zu entwerfen. Man hatte ihm in der Loge gestern gesagt, der Kaiser hätte von seinem Duell mit Dolochow gehört, und es wäre vernünftig, wenn Peter sich von Petersburg entfernen würde. Er beabsichtigte daher, auf seine Güter im südlichen Rußland zu fahren, um sich dort dem Wohle seiner Bauern zu widmen. Plötzlich wurde er durch den Eintritt des Fürsten Wassil unterbrochen.
»Mein Lieber, was hast du in Moskau angerichtet? Warum hast du dich mit Helene verfeindet? Du bist im Irrtum, mein Bester«, rief Fürst Wassil. »Du bist im Irrtum! Ich habe alles erfahren und kann dir wirklich sagen, daß Helene unschuldig ist wie ein Kind.«
Peter wollte antworten, wurde aber unterbrochen.
»Und warum hast du dich nicht ganz einfach gerade an mich gewandt als Freund? Ich weiß alles und begreife alles! Du hast dich wie ein anständiger Mann benommen, dem seine Ehre teuer ist, freilich etwas voreilig, aber darüber wollen wir nicht richten. Nun bedenke aber, in welche Lage du sie und mich in den Augen der ganzen Gesellschaft und sogar des Hofes gebracht hast! Sie in Moskau und du hier! Das ist alles nur Mißverständnis, ich glaube, das fühlst du selbst! Wir wollen sogleich einen Brief schreiben, und sie wird hierherkommen, alles wird sich aufklären, andernfalls aber, sage ich dir, kannst du in eine schlimme Lage kommen, mein Lieber!« Fürst Wassil blickte Peter scharf an. »Ich weiß aus sicherer Quelle, daß die verwitwete Kaiserin sich für diese ganze Sache lebhaft interessiert. Du weißt, sie ist Helene sehr gnädig gesinnt.«
Vergeblich hatte Peter versucht, zu Worte zu kommen. Mit düsterer Miene stand er auf, errötete, setzte sich wieder und suchte sich darauf vorzubereiten, was ihm am schwersten im Leben fiel, nämlich einem Menschen etwas Unangenehmes gerade in die Augen zu sagen, der etwas ganz anderes erwartete. Er war so sehr gewöhnt, sich diesem Ton nachlässiger Selbstzufriedenheit des Fürsten Wassil unterzuordnen, daß er auch jetzt nicht die Kraft fand, ihm zu widerstehen, obgleich er fühlte, daß von dem, was er sagen werde, sein ferneres Schicksal abhänge.
»Nun, mein Lieber«, sagte scherzend Fürst Wassil, »sage ja, und ich schreibe ihr von mir aus und alles ist wieder gut.«
Aber Peter sprang mit wütender Miene auf. »Fürst!« rief er flüsternd, ohne ihn anzusehen, »ich habe Sie nicht hierherberufen, bitte, gehen Sie!« Er öffnete ihm die Tür. »Gehen Sie doch!« wiederholte er.
Er traute sich selbst nicht und empfand eine düstere Freude über den Ausdruck des Schreckens, der auf dem Gesicht des Fürsten Wassil erschien.
»Was ist dir? Bist du krank?«
»Gehen Sie!« rief er nochmals mit zitternder Stimme.
Fürst Wassil mußte nach Hause fahren, ohne seinen Zweck erreicht zu haben. Eine Woche später nahm Peter Abschied von seinen neuen Freunden,