Nikolai jagte zwei Paar Pferde müde, um alle seine Bekannten zu besuchen und kam vor Tisch nach Hause. Bald bemerkte er eine seltsame Verwirrung, die zwischen verschiedenen Gliedern der Gesellschaft herrschte; besonders erregt schienen Sonja, Dolochow, die alte Gräfin und in geringerem Grade auch Natalie. Nikolai begriff, daß vor Tisch zwischen Sonja und Dolochow etwas vorgefallen sein mußte, und wurde in dieser Vermutung noch dadurch bestärkt, daß Dolochow sogleich nach Tisch nach Hause fuhr. Er rief Natalie zu sich und fragte, was das zu bedeuten habe.
»Ich habe es dir gesagt, aber du wolltest mir immer nicht glauben«, sagte sie triumphierend, »er hat Sonja einen Heiratsantrag gemacht!«
So wenig sich auch Nikolai um diese Zeit Sonja widmete, empfand er doch bei diesen Worten ein Gefühl, als ob in seinem Innern etwas zerreiße. Dolochow war eine gute, in mancher Beziehung sogar eine glänzende Partie für eine Waise ohne Vermögen. Vom Standpunkte der alten Gräfin und der Welt war nichts gegen ihn einzuwenden, und deshalb war Nikolais erstes Gefühl ein Groll auf Sonja. Er wollte antworten: »Schön! Versteht sich! Sie muß die kindlichen Versprechungen vergessen und den Antrag annehmen.« Aber er kam nicht dazu, dies auszusprechen.
»Kannst du dir vorstellen, sie hat abgelehnt«, fuhr Natalie fort. »Sie sagte, sie liebe einen anderen.«
»Ja, anders konnte meine Sonja nicht handeln«, dachte Nikolai.
»So viel auch Mama sie bat, sie blieb dabei, und ich weiß, sie ist nicht davon abzubringen, wenn sie einmal etwas gesagt hat …«
»Oh, Mama hat ihr zugeredet?« fragte Nikolai vorwurfsvoll.
»Ja. Weißt du, Nikolai, ärgere dich nicht! Ich weiß, du wirst sie nicht heiraten, und ich bin überzeugt, du wirst überhaupt nicht heiraten.«
»Nun, davon verstehst du nichts«, erwiderte Nikolai. »Aber ich muß mit ihr sprechen. Wie entzückend ist diese Sonja!«
»Ja, entzückend! Ich werde sie dir senden.«
Natalie küßte den Bruder und eilte davon.
Nach wenigen Augenblicken trat Sonja erschreckt, verwirrt und schuldbewußt ein. Nikolai ging auf sie zu und küßte ihre Hand. Dies war das erstemal seit seiner Ankunft, daß sie unter vier Augen miteinander sprachen und daß sie von ihrer Liebe sprachen.
»Sophie«, sagte er, anfangs schüchtern und dann immer kühner, »wenn Sie eine passende, sogar glänzende Partie zurückweisen wollen … er ist ein sehr hübscher, edler Mensch … und mein Freund…«
Sonja unterbrach ihn. »Ich habe schon abgelehnt«, sagte sie rasch.
»Wenn Sie meinetwegen ablehnten, so fürchte ich, daß ich…«
Sonja unterbrach ihn wieder mit bittenden, erschreckten Blicken. »Nikolai, sprechen Sie nicht davon!«
»Nein, ich muß sprechen. Wenn Sie meinetwegen ablehnten, so muß ich Ihnen die ganze Wahrheit sagen. Ich liebe Sie, ich glaube mehr als alle!«
»Das ist mir genug«, sagte Sonja.
»Und tausendmal habe ich mich verliebt und werde ich mich verlieben, obgleich ich ein solches Gefühl der Freundschaft, des Vertrauens, der Liebe für niemand hege außer für Sie! Außerdem bin ich auch noch jung. Mama will es nicht, nun … ganz einfach … ich verspreche nichts, und ich bitte Sie, den Antrag Dolochows zu überlegen«, sagte er.
Es kostete ihm Mühe, den Namen seines Freundes auszusprechen.
»Sprechen Sie nicht mehr davon! Ich verlange nichts, ich liebe Sie wie einen Bruder und werde Sie immer lieben, und mehr bedarf ich nicht.«
»Sie sind ein Engel! Ich bin Ihrer nicht würdig, ich fürchte Sie zu betrügen!«
Nikolai küßte nochmals ihre Hand.
70
Rostow hatte Dolochow seit einigen Tagen nicht gesehen, endlich erhielt er von ihm einen Brief.
»Da ich bald zur Armee abfahre, so gebe ich heute abend meinen Freunden ein Abschiedsfest, und da ich aus bekannten Gründen Euer Haus nicht mehr besuchen will, so bitte ich Dich, ins Hotel d’Angleterre zu kommen.«
Am bestimmten Tage um zehn Uhr abends nach dem Theater folgte Rostow dieser Einladung und wurde sogleich in den besten Saal des Hotels geführt, welchen Dolochow für diesen Abend gemietet hatte. Etwa zwanzig Herren drängten sich um einen Tisch, an welchem zwischen zwei Kerzen Dolochow saß. Auf dem Tische lagen Goldstücke und Banknoten; Dolochow hielt die Bank.
Der helle, kalte Blick Dolochows traf Rostow schon bei der Tür, als ob er ihn bereits lange erwartet hätte.
»Wir haben uns lange nicht gesehen!« rief er. »Schön, daß du gekommen bist, gleich wird Pluschka mit seinem Zigeunerchor kommen!«
»Ich war bei dir«, erwiderte Rostow errötend.
Dolochow gab darauf keine Antwort. »Du kannst auch setzen«, sagte er. Rostow erinnerte sich in diesem Augenblick an eine seltsame Bemerkung Dolochows: »Nur Dummköpfe vertrauen dem Glück im Spiel.«
»Oder fürchtest du dich, mit mir zu spielen?« sagte Dolochow lachend, als ob er Rostows Gedanken erraten hätte. An diesem Lächeln sah Rostow, daß Dolochow sich in derselben Stimmung befand wie damals bei dem Diner im Klub, und wie immer, wenn Dolochow, durch das alltägliche Leben gelangweilt, die Notwendigkeit empfand, durch irgendeine ungewöhnliche, meist grausame Handlung aus sich selbst herauszukommen.
Rostow fühlte sich unbehaglich, suchte aber vergebens nach einer scherzhaften Antwort auf Dolochows Worte.
Noch ehe er diese finden konnte, sah ihm Dolochow scharf ins Gesicht und sagte langsam, so daß es alle hören konnten: »Du erinnerst dich, ich sprach mit dir einmal über das Spiel und sagte, ein Dummkopf ist, wer beim Spiel dem Glück vertraut. Man muß ernsthaft spielen und das will ich versuchen. Nun, es ist besser, du spielst nicht!« Und mit einem Kartenspiel auf den Tisch klopfend, rief er: »Die Bank, meine Herren!« Dolochow legte Geld vor sich hin und traf Anstalten, die Bank zu halten. Rostow saß neben ihm und spielte anfangs nicht. Dolochow blickte ihn an. »Warum spielst du nicht?« fragte er.
Seltsamerweise fühlte sich nun Nikolai veranlaßt, eine Karte zu nehmen und einen kleinen Einsatz zu machen.
»Ich habe kein Geld bei mir«, sagte er.
»Ich gebe dir Kredit.«
Rostow setzte fünf Rubel auf eine Karte und verlor, dann setzte er wieder und verlor wieder und dies wiederholte sich zehnmal der Reihe nach.
»Meine Herren«, sagte Dolochow, »ich bitte Sie, Geld auf die Karten zu legen, sonst kann ich mich in meinen Berechnungen irren.«
Einer der Spieler sagte, er hoffe; man könne ihm trauen.
»Ja, man kann trauen, aber ich fürchte Irrtümer, und bitte daher, das Geld auf die Karten zu legen«, erwiderte Dolochow. »Du brauchst dich nicht zu genieren; wir werden uns später verrechnen«, sagte er zu Rostow. Das Spiel dauerte fort. Die Diener brachten unaufhörlich Champagner. Alle Karten Rostows wurden geschlagen und bald war seine Schuld auf achthundert Rubel angewachsen. Er hätte gern auf eine Karte achthundert Rubel gesetzt, bedachte sich aber und schrieb nur seinen gewöhnlichen Einsatz, zwanzig Rubel, auf.
»Laß es stehen«, sagte Dolochow, obgleich er nicht nach Rostow zu sehen schien, »um so schneller bringst du den Verlust wieder ein. Oder fürchtest du dich?« wiederholte er.
Rostow entschuldigte sich, ließ die aufgeschriebene Zahl achthundert stehen und bedeckte eine Herzsieben mit einer abgezogenen Karokarte, die