»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen, Väterchen«, erwiderte der Sohn lächelnd. »Ich wollte Sie noch um eins bitten: Wenn ich falle, und mir ein Sohn geboren wird, so lassen Sie ihn nicht von sich. Wie ich Ihnen gestern sagte, er soll bei Ihnen aufwachsen! Ich bitte Sie darum!«
»Ich soll ihn nicht der Frau geben?« sagte der Alte und lachte.
Sie standen schweigend einander gegenüber. Die Augen des Alten waren gerade auf die des Sohnes gerichtet, im unteren Teil des Gesichts des alten Fürsten zitterte etwas.
»Nun adieu! … Geh!« sagte er plötzlich. »Geh!« schrie er mit zorniger, lauter Stimme und öffnete die Tür des Kabinetts.
»Was ist das?« fragten die Fürstin und Marie, als sie Fürst Andree und die rasch wieder verschwindende Gestalt des Alten im Schlafrock ohne Perücke erblickten und seine zornige Stimme vernahmen.
Fürst Andree seufzte und gab keine Antwort.
»Nun«, sagte er zu seiner Frau, und in diesem »nun« lag kalter Spott, als ob er sagen wollte: »Nun, jetzt kannst du deine Rollen spielen!« »Was, schon jetzt?« rief die kleine Fürstin und sah erbleichend ihren Mann an. Er umarmte sie. Sie schrie auf und fiel bewußtlos auf seine Schulter. Er legte sie vorsichtig auf einen Stuhl und sah ihr ins Gesicht. »Lebe wohl, Marie!« sagte er leise, küßte seine Schwester und verließ mit raschen Schritten das Zimmer.
Die Fürstin lag im Lehnstuhl, Fräulein Bourienne rieb ihr die Schläfen, Marie hielt die Fürstin mit verweinten Augen, welche noch immer nach der Tür blickten, durch welche Fürst Andree verschwunden war. Aus dem Kabinett ertönten wie Schüsse oft wiederholte zornige Rufe. Kaum hatte Fürst Andree das Haus verlassen, als die Tür des Kabinetts sich rasch öffnete und die strenge Miene des alten Fürsten im weißen Schlafrock herausblickte.
»Ist er fort? Nun gut«, sagte er, blickte zornig nach der bewußtlosen kleinen Fürstin, wiegte vorwurfsvoll den Kopf und schlug die Tür wieder zu.
26
Im Oktober 1805 stand das russische Heer in den Städten und Dörfern des Erzherzogtums Österreich. Immer neue Regimenter kamen aus Rußland an und vermehrten die Last der Einwohner. In der kleinen Festung Braunau befand sich das Hauptquartier des Oberkommandeurs Kutusow.
Das Pawlogradsche Husarenregiment lag zwei Meilen von Braunau im Quartier. Die Schwadron, in welcher Graf Nikolai Rostow als Junker diente, war in dem kleinen Dorfe Salzeneck einquartiert. Das beste Quartier im Dorf hatte der Rittmeister Denissow, und der Junker Rostow wohnte mit ihm zusammen, seitdem er das Regiment in Polen eingeholt hatte.
Am 8. Oktober traf im Hauptquartier die Nachricht ein, daß der österreichische General Mack in der Festung Ulm mit dreißigtausend Mann eingeschlossen worden war und sich genötigt gesehen habe, mit seiner ganzen Armee zu kapitulieren. Napoleon befand sich bereits im raschen Vormarsch nach Wien.
In der kleinen Garnison ging jedoch alles wie bisher. Denissow hatte die ganze Nacht Karten gespielt und war noch nicht nach Hause gekommen, als Rostow schon am frühen Morgen vom Fouragieren zurückkam. Er stieg vom Pferde und rief eine Ordonnanz herbei.
»Ah, Bondarenka, mein Freundchen«, sagte er zu dem eilig herbeilaufenden Husaren, »führe das Pferd umher!« Er sagte dies mit der ruhigen Freundlichkeit, in der gutherzige Leute sprechen, wenn sie glücklich sind.
»Zu Befehl, Erlaucht!« erwiderte der Kleinrusse.
»Wo ist dein Herr?« fragte Rostow den Burschen Denissows, Lawruschka. »Seit gestern abend nicht nach Hause gekommen! Wahrscheinlich hat der Herr verspielt!« erwiderte Lawruschka. »Wenn er gewinnt, so kommt er früh nach Hause und ist vergnügt, aber wenn er bis zum Morgen ausbleibt, so bedeutet das Verlust und dann kommt er zornig nach Hause. Befehlen Sie Kaffee?«
»Ja, ja, gib her!«
Nach zehn Minuten brachte Lawruschka Kaffee. »Da kommt der Herr«, sagte er, »jetzt wird’s schlimm!«
Rostow sah durchs Fenster und erblickte den heimkehrenden Rittmeister. Denissow war ein kleiner Mann mit rotem Gesicht und glänzenden schwarzen Augen. Sein Schnurrbart und seine Haare waren von derselben Farbe. Mit finsterem Gesicht und mit gesenktem Kopf näherte er sich der Haustür. »Lawruschka!« rief er schnarrend und zornig. »Da, nimm, Dummkopf!« »Und du bist schon aufgestanden?« sagte Denissow, ins Zimmer tretend.
»Schon lange«, erwiderte Rostow. »Ich war schon nach Heu ausgeritten und habe Fräulein Mathilde gesehen!«
»Oho! Und ich habe mich schön hineingeritten gestern abend«, rief Denissow. »So ein Pech! Als du fortgingst, da ging’s los. Heda, Tee!« Er fuhr mit beiden Händen in seine dichten, schwarzen Haare.
»Der Teufel hat mich verführt, zu dieser Ratze zu gehen!« – Das war der Beiname eines Offiziers. – »Kannst du dir vorstellen, nicht einen einzigen Stich konnte ich machen!«
Denissow ergriff die ihm gereichte, in Brand gesetzte Pfeife, nahm sie in die Faust und schlug damit auf den Fußboden, daß die Feuerfunken umherflogen. Dann warf er die zerschlagene Pfeife weg und versank in Schweigen. Plötzlich blickte er mit seinen glänzenden Augen Rostow vergnügt an.
»Wenn noch Damen dagewesen wären! Aber nichts als saufen. Lieber möchte ich mich schlagen. – Wer da?« rief er nach der Tür, von woher er schwere, sporenklirrende Schritte vernahm.
»Der Wachtmeister!« sagte Lawruschka. Denissows Miene wurde noch finsterer.
»Das ist dumm«, sagte er und warf den Geldbeutel mit einigen Goldstücken auf den Tisch. »Zähle nach, Rostow, mein Täubchen, wieviel noch übriggeblieben ist, und stecke den Beutel unter das Kopfkissen!« Dann ging er hinaus zum Wachtmeister.
Rostow nahm das Geld, sonderte die alten und die neuen Goldstücke und begann sie zu zählen.
»Ah, Teljanin! Wie geht’s? Gestern bin ich nicht übel hineingefallen!« rief Denissow im anderen Zimmer.
»Wo? Bei Bükow, bei der Ratze?« fragte eine andere, dünne Stimme, und gleich darauf trat Teljanin, ein kleiner Offizier derselben Schwadron, ein. Rostow warf den Beutel unter das Kissen und drückte die ihm entgegengestreckte Hand Teljanins. Teljanin war vor dem Feldzug zur Strafe aus der Garde versetzt worden, er führte sich sehr gut im Regiment, war aber nicht beliebt, und besonders Rostow konnte einen unwillkürlichen Widerwillen gegen diesen Offizier weder überwinden noch verbergen.
»Nun, mein junger Kavallerist, was macht Ihr Gratschick?« fragte er. Das war ein Reitpferd, welches Rostow von Teljanin gekauft hatte. Der Leutnant sah niemals jemand ins Gesicht, mit dem er sprach, beständig schweiften seine Augen umher.
»Es ist ein gutes Pferd«, erwiderte Rostow, obgleich das Pferd, das er für siebenhundert Rubel gekauft hatte, nicht die Hälfte wert war. »Es hinkt nur ein bißchen auf dem linken Vorderfuß«, fügte er hinzu.
»Das hat nichts zu bedeuten. Wahrscheinlich hat der Huf einen Riß bekommen. Ich werde Ihnen zeigen, wie man eine Niete anlegt. Sie werden mir noch danken für das Pferd!«
»Gut, ich werde es herführen lassen«, sagte Rostow, um sich Teljanins zu entledigen, und ging hinaus, um das Pferd herbeiführen zu lassen. Draußen saß Denissow vor dem Wachtmeister, welcher ihm eine Meldung machte. Als er Rostow erblickte, verfinsterte sich Denissows Miene. Er zeigte mit dem Finger über die Schulter nach dem Zimmer, in welchem Teljanin saß, und knurrte mit sichtlichem Widerwillen, ohne sich vor dem Wachtmeister zu genieren: »Ich kann den Burschen nicht leiden!« Rostow zuckte mit den Achseln, als ob er sagen wollte: »ich auch nicht«, und kehrte bald darauf wieder ins Zimmer zurück.
Teljanin saß noch immer in