»Kann ich Doktor Bernau sprechen?«, verlangte Hannes Hornegg.
»Bedaure, aber Herr Doktor Bernau ist nicht mehr in der Klinik«, kam die Antwort.
Ohne Danksagung knallte der junge Mann den Hörer grußlos auf die Gabel. »Herr Doktor Bernau ist nicht mehr in der Klinik«, stieß er zornig hervor. »Kruzitürken, wo ist der?«, schrie er, wollte sich umdrehen und sein kleines Büro im Hintergrund des Geschäftes wieder verlassen, als er durch die offen stehende Tür plötzlich eine Stimme hörte.
»Er ist hier, Herr Hornegg.« Dr. Bernau, der vor einer Minute das Geschäft betreten hatte und dieses kurze Gespräch durch die offen stehende Tür mitgehört hatte, trat näher.
Hans-Günther Hornegg versteifte sich, fuhr dann wie von einer Natter gebissen herum und starrte den wenige Meter vor ihm stehenden Arzt, den er ja noch von dem Besuch im Heim in Erinnerung hatte, fassungslos an. Er brauchte einige Sekunden, um seine Sprache wiederzufinden. Drohend leuchtete es in seinen Augen auf. Mit zwei wuchtigen Schritten trat er vor den Arzt hin. »Sie?«, knurrte er erbost. »Sie trauen sich hierher?«
»Ja, stellen Sie sich vor, Herr Hornegg – ich traue mich«, entgegnete Dr. Bernau, der sich vorgenommen hatte, sich diesmal nicht durch die gesundheitstrotzende kräftige Gestalt des jungen Mannes beeindrucken zu lassen. »Ich bin gekommen, weil ich ernsthaft mit Ihnen reden will.«
»Moment mal«, fauchte Hornegg. »Zu reden habe ich mit Ihnen und zwar verdammt deutlich. Was haben Sie mit Christine gemacht? Wo ist sie, und was haben Sie mit ihr vor?« Seine Hände ballten sich zu Fäusten.
Dr. Bernau sah es und spürte, dass ein falsches Wort diesen Mann jetzt sofort zur Explosion bringen würde. Trotzdem ließ er sich dadurch nicht einschüchtern und behielt die Ruhe. Er wusste nur zu gut, dass man Eifersüchtige nicht reizen durfte. Und dass dieser Mann vor Eifersucht fast platzte, konnte er sehen. »Herr Hornegg, gleich vorweg«, ergriff er das Wort, »Frau Häußler geht es den Umständen entsprechend gut, und sie sehnt sich nach Ihnen.«
Verwirrt blickte Hornegg den Arzt an. Dessen ruhige Worte nahmen ihm ein wenig den Wind aus den Segeln.
»Wie war das?«, fragte er mit gepresst klingender Stimme. »Christine sehnt sich nach mir?«
»Richtig«, bestätigte Dr. Bernau.
»Ja, warum um Himmels willen, macht sie sich dann unsichtbar, lässt nichts von sich hören?«, fragte Hornegg. Plötzlich stutzte er. Finster sah er den Mediziner an. »Woher wissen Sie das denn? Und vor allem – wo ist Christine überhaupt?« Die Blicke, mit denen er Dr. Bernau ansah, verhießen nichts Gutes.
Dr. Bernau ignorierte es. »Ihre Christine befindet sich in der Klinik am See, Herr Hornegg«, gab er ruhig zurück. »Durch Ihre Schuld ist sie dorthin gekommen«, fügte er um einige Nuancen schärfer hinzu.
Hans-Günther Horneggs Augen wurden groß. »Christine in der Klinik?«, kam es betroffen über seine Lippen. »Durch meine Schuld?«, fuhr er dann auf. »Was reden Sie da? Wieso durch meine Schuld?«
»Weil Sie Frau Häußler im Stich gelassen haben, als sie in Not war und ihren Zuspruch brauchte.« Dr. Bernau verzichtete auf Höflichkeitsfloskeln. Er war der Meinung, dass auf einen groben Klotz ein grober Keil gehörte. Schonungslos warf er dem jungen Mann vor, schuld daran zu sein, dass Christine Häußler sich hatte das Leben nehmen wollen. »Unterbrechen Sie mich jetzt nicht!«, fuhr er ihn an, als der aufbegehren wollte. »Sie hören mir jetzt zu, was ich Ihnen zu sagen habe!«
Hannes Hornegg zuckte zusammen. Der bestimmte und energische Ton des Arztes beeindruckte ihn, aber noch mehr das, was der ihm nun in den folgenden Minuten mitteilte. Mit jedem Wort, das er jetzt zu hören bekam, verminderte sich sein Zorn auf den vermeintlichen Nebenbuhler. Dafür aber meldete sich das schlechte Gewissen bei ihm.
»… nun wissen Sie es«, kam Dr. Bernau zum Ende seiner Erklärung. »Ihre Christine hat Sie gebraucht, als sie erfuhr, dass sie an Leukämie, das ist Blutkrebs, erkrankt sein sollte – was sich glücklicherweise inzwischen als Irrtum herausgestellt hat – aber Sie haben sie im Stich gelassen, haben ihr die Liebe aufgekündigt, und da wollte sie nicht mehr am Leben bleiben. Warum das alles?«, warf er die Frage auf und gab auch gleich die Antwort darauf. »Weil Ihre blödsinnige Eifersucht das ausgelöst hat.«
»Aber …, aber …, ich …«, stotterte der junge Mann verwirrt, »… dachte, dass …, dass … Sie und …«
»Ich weiß, was Sie dachten, Herr Hornegg«, fiel Dr. Bernau dem Mann scharf ins Wort. »So ein Unsinn«, fuhr er fort. »Ihre unbegründete Eifersucht hat Sie sogar auch verleitet, einen Kollegen von mir in der Nacht auf dem Parkplatz vor der Klinik zu belästigen. Das waren doch Sie, oder?«
Hornegg nickte. »Ja, aber ich dachte, dass Sie das wären«, gestand er kleinlaut. Sein Zorn war nun vollkommen verraucht. »Es tut mir ja leid«, murmelte er. »Auch das mit Christine.«
»Das vor allem«, bekräftigte Dr. Bernau, der erleichtert war, dass diese Aussprache so glimpflich verlief. »Ihre Christine liegt krank in unserer Klinik und will nicht gesund werden, weil sie verzweifelt und unglücklich ist, denn sie fühlt sich von Ihnen, dem Mann, den sie nach wie vor liebt, verraten.«
»Ich habe sie aber nicht verraten«, fuhr Hornegg auf, mäßigte sich aber sofort wieder und fügte hinzu: »Ich würde sie lieber heute als morgen heiraten, wenn sie mich noch will, wenn sie mir verzeiht.«
»Zum Donnerwetter«, stieß Dr. Bernau hervor, »dann sagen Sie es ihr doch!«
»O ja, das will ich gern«, versicherte der junge Mann. Nach einer sekundenlangen Pause kam es dann verlegen über seine Lippen: »Entschuldigen Sie bitte mein eifersüchtiges Verhalten, Herr Doktor, aber ich war wirklich der Meinung, dass …«
»Vergessen Sie’s!«, unterbrach Dr. Bernau den jetzt völlig verändert wirkenden Hannes Hornegg. »Entschuldigen aber müssten Sie sich bei Frau Häußler.«
»Ja, das mach ich«, versicherte der junge Mann. »Gleich morgen.«
Dr. Bernau schüttelte den Kopf und warf einen kurzen Blick auf die Uhr. »Nein, Herr Hornegg, nicht erst morgen, sondern heute noch. Jetzt gleich!«
»Kann ich denn heute noch Christine besuchen?«
»Aber sicher, Herr Hornegg«, erwiderte Dr. Bernau. »Kommen Sie gleich mit! Fahren Sie hinter mir her. Ich bringe Sie persönlich bis ans Bett von Ihrer Christine.«
»Danke, Herr Doktor.« Hans-Günther Hornegg war wie verwandelt. Eine Minute später verließ er zusammen mit Dr. Bernau sein Geschäft, schloss es ab und stieg in seinen Wagen.
Dr. Bernau, der sich auch schon in sein Fahrzeug gesetzt hatte, winkte und startete zur Rückfahrt in die Klinik am See, gefolgt von Hannes Hornegg.
*
Mit verweinten Augen sah Christine Häußler die Schwester an, die gekommen war, um das Kaffeegeschirr abzuholen.
»Nanu, Frau Häußler … Sie haben den Kaffee gar nicht getrunken«, wunderte sie sich. »Auch die schönen Butterkekse haben Sie nicht angerührt.«
»Ich mag nicht«, flüsterte die Patientin.
»Sie müssen aber etwas essen«, beschwor die Schwester die junge Frau. »Heute Mittag haben Sie das Essen auch kaum angerührt. Das wird unserem Doktor aber gar nicht gefallen.«
»Das ist mir egal«, murmelte Christine.
Achselzuckend verließ die Schwester wieder das Krankenzimmer.
Christine schien es gar nicht zu merken, dass sie wieder allein war. In ihrem Kopf war eine fast schmerzhafte Leere. Daran hatte auch der erste Besuch seit ihrem Klinikaufenthalt nichts geändert. Frau Wiese, ihre Wohnungsnachbarin, war vor einer Stunde bei ihr gewesen, hatte ihr Blumen gebracht und eine Bonbonniere. Christine hatte sich zwar bedankt, aber keinerlei Freude an dem Mitbringsel gehabt. Es war auch gar nicht zu einer richtigen Unterhaltung gekommen. Teilnahmslos hatte Christine nur zugehört, was Frau Wiese