Dubrovnik Turboprop. Sebastian Fust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Fust
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005563
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Wunderlichkeiten und Sonderbarkeiten ihrer alten, inzwischen größtenteils verwitweten Freundinnen. Vom Lachen hatte sie Tränen in den Augen. Zum Abschied gab mir die feine alte Dame einen Kuss auf die linke und die rechte Wange:

      »Ach, alt werden ist schwer, hat der Vater immer gesagt.«

      II

      Ich hatte angenommen, dass die Reise die feine alte Dame erschöpft und ausgezehrt hätte, wo sie doch so oft erschöpft und ausgezehrt, ja, eben immerzu müde war, zu Hause, in ihrem Altersheim, von dem sie gerne erzählte, es wäre nun die Endstation, das Altersheim, das Ende ihrer Reise, das Ende im Irgendwo – zumindest nicht zu Hause, aber von Müdigkeit konnte jetzt keine Rede sein, ja, nicht einmal von Mattigkeit konnte man sprechen, als sie mit Frau Dresenkamp, die ihrerseits dunkle Ringe unter den Augen hatte, im Frühstücksraum erschien, wo sie von Frau Dresenkamp, freudig erregt und lächelnd, auf den Frühstückstisch zugerollt wurde und, dort angekommen, meine Hand ergriff und sich erkundigte, wie ich die Nacht verbracht habe, und dann, ohne eine Gegenfrage meinerseits abzuwarten, fortfuhr und mir über den Mund fuhr und sagte, wie wunderbar sie geschlafen habe, diese herrliche Meerluft!, wie gut ihr das tun würde, und, ja, vielleicht sogar ihrem Knie (dabei zwinkerte sie mir zu), und dann wies sie Frau Dresenkamp an, sie möge sie doch nun bitte zum Buffet bringen, und ich solle ihr doch bitte, so der Kellner komme, einen Cappuccino bestellen, wobei sie hinzufügte, dass dieser (der Cappuccino) ehedem jeden Morgen um 7.30 Uhr, pünktlich, immer zur selben Zeit, schon an dem reservierten Frühstückstisch für sie bereitgestanden hatte. »Man kennt mich hier«, sagte sie und zwinkerte wieder vertraulich. Ich versprach, diese kleine Annehmlichkeit, diese ihr wohltuende Selbstverständlichkeit für sie zu arrangieren, um auch hier das für die feine alte Dame ehedem Gewohnte wiederherzustellen, wozu sie mir einige Scheine in die Hand drückte, Geld, das ich naturgemäß nicht zählte, das aber sicherlich seine Wirkung, den gewünschten Effekt hervorrufen würde. Und dann drückte sie mir noch mehr Geld in die Hand, mit der Bitte, dieses doch später an der Rezeption in Kuna zu wechseln, damit man für weitere Eventualitäten auch etwas Handgeld zur Verfügung habe.

      Zurück am Frühstückstisch aß die feine alte Dame mit für ihre Verhältnisse großem Appetit (Ciabatta, Butter, Schinken, Ei, Palatschinken mit Puderzucker und Marillenkompott – während Frau Dresenkamp sich mit einem Pfefferminztee, etwas Gurke, Tomate und Schafskäse zufrieden gab) und erzählte dabei mit vollem Mund vom Wetter und vom Land und von Dubrovnik überhaupt und wie sie hier das erste Mal hergekommen war. Sie variierte die Geschichte, schmückte sie ein wenig aus, unterließ dafür andere Details und gab alles in allem eine schwungvolle und heitere Erzählung des Gewesenen.

      »Maria! Da bist du ja!«, rief sie plötzlich, ihre Geschichte unterbrechend. »Die treue Maria. Ach!«, sagte sie etwas leiser und fast stolz, und Maria begrüßte uns herzlich, schob einen Stuhl nahe an den Tisch und setzte sich zu uns, mehr als aufrecht:

      »Passen Sie auf!«, sagte sie, »Er kann zwar heute nicht kommen, aber morgen. Versprochen.«

      »Der Mann für das Knie?«, fragte die Großmutter.

      »Ja«, nickte Maria und lachte.

      Die feine alte Dame riss triumphierend die Arme hoch.

      »Ha! Wollen doch mal sehen, was du und deine Schulmedizin dazu sagt!«

      Ich hatte keine Ahnung. Nicht mal, um was es ging.

      »Er ist ein Spezialist. Seine Familie praktiziert hier seit drei Jahrhunderten. Immer im selben Dorf. Normalerweise macht er keine Hausbesuche. Die Leute kommen zu ihm. Das übernimmt keine Krankenkasse. Aber für Sie macht er eine Ausnahme. Und einen Freundschaftspreis.«

      Eine ambulante Knieoperation?

      »Der Preis spielt keine Rolle. Gott sei Dank, der Vater hat ja vorgesorgt!«, lachte mir die Großmutter ins Gesicht.

      Niemand sägt irgendjemandem in einem Hotelbett ein Knie raus und ersetzt es durch ein künstliches. Nicht einmal ein Scharlatan … Ich sagte nichts.

      »Wo ist denn dein Mann, Maria?«

      »Er hat heute überraschend einen Termin in der deutschen Botschaft bekommen. Wegen seines Import-Export-Geschäfts. Er muss nach Zagreb. Imre fährt ihn hin. Eine Ochsentour. Sie wechseln sich beim Fahren ab.«

      »Auf den Mercedes ist sicher Verlass!«

      Frau Dresenkamp hustete, sie hatte sich an einer Olive verschluckt.

      »Und deine Töchter, Maria? Alexander, du musst Marias Töchter näher kennenlernen. Ich hab ihnen so viel von dir erzählt. Sie sind entzückend!«

      Und Maria sagte, dass Franceska, ihre jüngere Tochter, heute ohnehin zu ihr ins Hotel komme, und dass wir uns doch dann einfach mal treffen sollten. Franceska würde sich ja so für Deutschland interessieren. Sie liebe die deutsche Sprache, die deutsche Kultur, und spreche Deutsch nahezu perfekt, auf jeden Fall besser als sie selbst, so Maria. Und die feine alte Dame sagte, das wäre doch schön, ich solle doch die junge Dame dann etwas ausführen, vielleicht auf ein Eis oder einen Kuchen oder worauf sie eben Lust hätte, einladen, das kleine sprachbegabte Wunderkind, denn ein Wunderkind sei sie auf jeden Fall, so, wie sie jetzt schon Deutsch beherrsche, fast wie ihre Muttersprache. Das sei aber auch kein Wunder, bei der Mutter, und dann fragte die Großmutter, was mit Anne sei, und Maria sagte, dass Anne eben heute und morgen für die kroatische Jugendtennisauswahl auflaufe. Gegen England übrigens, und dass ich gerne am Tag darauf, wenn sie also wieder da sei, dass ich doch dann gerne einmal gegen sie Tennis spielen könne, ja solle, nein, müsse, auf dem Hoteltennisplatz. Die feine alte Dame hätte ihr doch immer erzählt, dass das Tennisspielen ihrer Familie im Blut liege und ja auch ich früher so gut und erfolgreich Tennis gespielt habe. Ich wusste nicht, wie ihr was sagen und sagte daher:

      »Ja, gerne!«

      Und verschwieg, dass es unser Heimattennisverein nur bis zur Kreisklasse gebracht hatte, und ich bei den auf diesem Niveau stattfindenden Turnieren ohnehin nur im Doppel eingesetzt worden war, und auch das nur, weil mein Großvater den Tennisclub mitgegründet und finanziert hatte und man das mit dem Doppel für mich und mit mir daher wohl für eine gute Idee gehalten hatte.

      »Ich hab schon länger nicht mehr gespielt. Aber das würde mir sicher Spaß machen!« Ich nahm einen Apfel aus dem Früchtekorb und biss herzhaft hinein, denn: Was heißt schon »Auswahl der kroatischen Jugendnationalmannschaft«?

      Während ich mir vorstellte, wie die Massen um das Tennisgrün zunächst den Atem anhielten und nach meinem fulminanten sowie finalen und damit Sieg bringenden Ass erlöst mit einem Schrei aus tausend Kehlen ausatmeten, kam der Ivo.

      »Hallo.«

      »Guten Tag.« Und »Guten Tag.«

      Und die feine alte Dame:

      »Hallo!« Plötzlich saß auch sie aufrecht, kerzengrade, mit einem strahlenden Lächeln und einer Träne im Auge, die sie sich mit der Stoffserviette wegwischte, als habe sie eben herzlich gelacht.

      Die Großmutter, der Ivo und ich gingen spazieren. Die Großmutter war etwas aufgekratzt, kicherte und erzählte unentwegt irgendwelche Geschichten, von denen der Ivo nichts verstand, von denen er nur ab und an einige Satzfetzen aufschnappte, die er dann kommentierte, um so den unentwegten Fluss der Worte, diesen fröhlichen Wortstrom am Laufen, am Fließen, am Rauschen und am Leben zu halten, eben das am Leben zu halten, was die alte Dame ihrerseits am Leben zu halten schien, damit ihre Worte nicht versiegten, denn »Man hat sich ja so viel zu erzählen!«, bevor man sich vertraut, wieder vertraut, sich vertraut wie ehedem (und eben hierfür, wenn man sich lange nicht gesehen hat, muss die Lücke geschlossen und der Graben, den die Zeit zwischen einen gerissen hat, zugeschüttet werden, muss Spracharbeit verrichtet werden), und vielleicht wusste der treue Ivo darum, vielleicht wusste er es auch nicht, vielleicht war er auch einfach nur höflich, weil er nicht verstand, was da alles auf ihn einströmte, nicht wusste, weil er natürlich nichts wusste (und wissen konnte) über oder von den ganzen Personen, die Großmutters Geschichten und Erzählungen bevölkerten (teils lebendig, teils tot, aber für ihn, den Ivo, allesamt Geister, flüchtige