Dubrovnik Turboprop. Sebastian Fust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Fust
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005563
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Himmel hing tief und die ersten Regentropfen fielen, große Regentropfen, sie zerplatzten auf dem Beton des Balkons und klopften ans Fenster.

      Maria erzählte noch einmal, wie sie sich freue, gerade auch mich kennenzulernen, und dass ich unbedingt ihre Töchter näher kennenlernen müsse, und auch und überhaupt (fuhr sie überschwänglich fort) ihren Mann, der eben mit dem Aufbau seines Import-Export-Geschäfts beschäftigt und sonst nach wie vor bei der Polizei beschäftigt sei, ihr Mann, der mich ja noch nicht einmal gesehen habe, und dass die feine alte Dame doch noch erstaunlich rüstig sei, erstaunlich rüstig, ja, in der Tat. Auch die Sache mit dem Knie sei sicherlich zu beheben. Ich antwortete »Ja, ja.« Und fragte mich, ob ich ihr Geld geben müsste für das Zeigen des Zimmers, für die Laufburschen, die mein Gepäck ins Zimmer gestellt hatten und die nun höflich im Hotelflur warteten; entschied mich aber dagegen, hatte ohnehin nichts zur Hand, dachte, es könnte auch als unhöflich ausgelegt werden, verzichtete und verabschiedete mich von Maria.

      Zum Abendessen kam ich pünktlich, aber scheinbar doch zu spät. Die feine alte Dame saß mit einem vorwurfsvollen Blick, dem ich mit einem freudigen Lächeln zu begegnen suchte, aufrecht, ordentlich und stolz zu Tische, neben ihr Frau Dresenkamp, die mit dem Geraderücken des Bestecks beschäftigt zu sein schien. Die Großmutter wies mir meinen Platz ihr gegenüber am Vierertisch zu, mitten im riesigen Speisesaal, dem Hotelrestaurant, das etwa zu einem Viertel gefüllt war, die Tische selbst allerdings nur spärlich besetzt – die Hotelgäste wirkten etwas verloren in der Größe des Saales, als wolle keiner laut sprechen, als traue sich niemand, die Tischkonversation in normaler Lautstärke zu führen, geschweige denn die Stimme zu erheben, ein dumpfes Gemurmel füllte den Raum, schwoll ab und an, auf und nieder, und – wie ein Versehen – gesellte sich ab und an ein Gläserklingen hinzu. Die feine alte Dame schien jetzt wieder ausgeruht, beinahe etwas überdreht, als sei sie selbst erheitert über ihre Freude, was mich beruhigte, denn die Reise war für sie ein Triumph, eine Selbstüberwindung gewesen, und jetzt schon ein Sieg, der Anlass zur Freude im doppelten Sinn: Der Ivo, er würde sie morgen besuchen kommen, und vielleicht übermorgen wieder. Und am darauffolgenden Tag? Und die Maria? Und das Hotel – war Dubrovnik nicht wieder die Erfüllung aller Wünsche, war es nicht ein Versprechen, das gehalten worden war, nach wie vor, trotz allem, nach all der Zeit, trotz des Krieges, trotz ihres schlimmen Knies golden glänzend?

      Aus diesen Gründen war sie angestachelt von den Erlebnissen des Tages und von dem Gedanken daran, was der morgige Tag bringen würde, und so fragte sie mich, was, wenn der morgige Tag doch schon so viel Gutes verhieße, was dann die gesamte Zeit hier – in ihrem Dubrovnik – erst verheißen würde! Trotzdem, warum ich zu spät gekommen sei?

      »Ich habe mit meiner Freundin telefoniert.«

      »Diesem Mädchen aus dem Studium?«

      »Ja.«

      »Na ja, wenn man jung ist! Wenn ich noch mal jung wäre, wer weiß!«, sagte sie und lachte.

      Dann entschied sich jeder für sein Menü und die feine alte Dame entschied sich für eine Flasche Rotwein; nicht für sich, sondern für uns alle, denn: Gab es nichts zu feiern?

      Frau Dresenkamp fragte, ob sie sich kurz entschuldigen dürfe. »Familiäre Angelegenheiten«, sagte sie und schaute nervös die feine alte Dame an. »Nichts ist so wichtig wie die Familie.«, sagte diese, und Frau Dresenkamp räusperte und verabschiedete sich mit einem Nicken.

      »Gutes Personal ist heute schwer zu finden.«

      Ein uniformierter Kellner servierte den Rotwein, und die feine alte Dame nahm einen großen Schluck und sagte, wie gut das tue und wie gut das schmecke und dass man im Altersheim ja immer vergesse, wie schön das Leben gewesen sei, wie gut es mitunter zu einem sei. Aber natürlich, auf der anderen Seite sei das Leben ja nicht immer gut zu einem. Wie käme man sonst in ein Altersheim? Und überhaupt: Das Leben sei keine leichte Aufgabe. Das habe schon ihr Vater gesagt. Manchmal müsse man einfach nur Haltung bewahren. Darauf käme es an. Und natürlich auch auf Glück. Und auf Sicherheit. Finanzielle Sicherheit. Liebe sei etwas, das man sich leisten können müsse. Da habe sie auch früher anders drüber gedacht. Denn: Daran denke man in der Jugend ja nicht. In der Jugend, da sei die Liebe nicht mal ein Geschenk, sondern nur eine Sehnsucht. Und deswegen würden sich die jungen Leute ja auch ständig verlieben. Aber sie, sie habe dabei immer an die ewige Liebe geglaubt, immer daran gedacht. Und als sie dann den Vater, meinen Großvater, kennengelernt hatte, da war sie sich sicher, dass das die ewige Liebe sei. Das habe sie einfach gewusst und gespürt. Aber auch das habe sie schon damals nüchtern betrachtet (so sagte sie mir, und sie sagte, dass ich das jetzt vielleicht in meinem Alter noch nicht verstehen könne, aber man würde das lernen, müsse das lernen, mit der Zeit), denn:

      »Nichts ist sicher. Alles verändert sich. Die Umstände verändern sich. Immer. Ständig«, und dann spülte sie ihren letzten Bissen Cevapcici mit einem Schluck Rotwein hinunter – man müsse das nüchtern sehen, denn:

      »Zunächst glaubst du an die ewige Liebe. Du machst ein paar Anläufe und dann denkst du, du hast den Richtigen gefunden, die Liebe fürs Leben. Erst wohnt ihr zur Miete, später baut ihr ein Haus und irgendwann, ja, irgendwann schenkst du ihm Kinder, weil ihr beide wollt, dass eure Liebe Fleisch wird. So geht das ein paar Jahre, man entwickelt sich, er geht mal fremd, weil das so sein muss bei Männern. Ich war immer treu, weil ich es wollte, dazu brauchst du einen Willen, aber den findet man bei Männern schwer. Das tut erst weh, aber irgendwann kommst du darüber weg, weil es so sein muss und am besten weißt du nichts davon, denn … Und dann wird man älter, und zusammen älter, und hat das mit dem Haus und den Kindern geschafft, das eine Haus ist längst gebaut, das Dach inzwischen erneuert, dann ein weiteres Haus gebaut, ein moderneres, das alte bekommt das eine Kind und das andere wird das andere Kind bekommen, wenn ihr tot seid. So geht es also über die Jahre, und es geht alles gut, ja, es ging gut, ganz gut soweit über die Jahre, die Jahrzehnte, dann stirbt der Vater, unser Vater, schließlich war er älter, aber er stirbt nicht einfach so weg, sondern er lässt sich Zeit beim Sterben, denn er stirbt an Krebs, und das dauert seine Zeit, auch im Alter, auch ohne Chemo. Und das ist hart. Hart für den Partner, weil er sich Zeit lässt, langsam weniger wird, aber zäh am Leben klebt und festhält. Das war nicht einfach für mich. Manchmal wollte ich einfach alles hinschmeißen und wegfahren. Wegfahren, einfach raus und nicht wiederkommen, erst wiederkommen, wenn es endlich vorbei ist. Ich konnte das nicht mehr sehen. Wenn ich eins gelernt habe – und du kannst alt werden wie eine Kuh, du lernst doch immer noch dazu –, dann, dass alles zugrunde geht, dass nichts bleibt, nichts bestehen, kein Wert bestehen bleibt. Was haben wir nicht alles verloren, der Vater und ich. Wirtschaftskrise, Inflation, Krieg. Immer alles weg. Alles, was dir dann bleibt, ist ein Haus, aber auch ein Haus kann abbrennen, das Dach ist marode, irgendwas ist immer, und dann ist das auch kaputt. Alles geht irgendwann kaputt. Das einzige, das bleibt, ist Gold. Gold behält seinen Wert. Gold rostet und verkommt nicht, und du musst es nicht instand halten.«

      Ich nickte und wir nahmen einen Schluck Rotwein.

      Dann folgten ihre Fragen nach meinem Studium und, wie sie sagte, nach dieser neuen Freundin, die ich im Studium jetzt kennengelernt habe. Ich antwortete höflich-einsilbig und gab vor, mit dem Verzehr des Nachtischs beschäftigt zu sein. Aber ich sagte, wie sehr ich mich für sie freuen würde. Für sie, dass sie diese Reise noch einmal gewagt und auf sich genommen habe.

      »Hättest du vorher nicht gedacht, oder?«, sagte ich.

      »Schön, dass ich dir das noch alles zeigen kann«, sagte sie.

      Und dass der Ivo in der Tat ein interessanter Mensch sei.

      »Ein Gentleman.«

      »Ja.«

      »Weißt du, man muss auch zusammenhalten können. Vertrauen fassen können. Je älter man wird, desto schwieriger wird das. Umso größer ist dann das Geschenk. Wenn dir jemand Vertrauen schenkt. Das muss man annehmen können. Das muss man erst wieder lernen. Da muss man manchmal über seinen eigenen Schatten springen. Die Freunde werden ja immer weniger. Und man selbst immer komischer.«

      Und dann nestelte die feine alte Dame an ihrer silbernen Halskette und setzte den silbernen Hampelmann wie beiläufig in Bewegung, während Frau Dresenkamp mit geröteten Augen zurückkam.