Dubrovnik Turboprop. Sebastian Fust. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sebastian Fust
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783903005563
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sie wichtigen Punkt in ihrer Erzählung erreicht hatte, an einem Punkt besonders verstanden sein oder ihm Nachdruck verleihen wollte, sich zum Ivo umzudrehen versuchte (was ihr nicht gelingen konnte, im Rollstuhl sitzend) und der Ivo, der den Rollstuhl schob, die Fahrt verlangsamte und sich charmant zur Großmutter vorbeugte, wobei sein Gesicht in die Nähe des Gesichts der feinen alten Dame kam – und wie gerne roch sie den Duft des Ivo, sein Aftershave, Moschus.

      Ich machte ein Foto von den beiden: lächelnd. Ivos Hand auf der rechten Schulter der feinen alten Dame, ihre Hand auf der seinen, drum herum halbverdorrte Büsche, frisch gemähter Rasen und das weite Blau des Himmels, irgendwo sicher die eine oder andere Möwe (später auf dem Foto nicht zu sehen), und der Himmel so blau, dass er beinahe weiß wurde, weiß vor Neid in Anbetracht des Glücks unter sich. Ein sommerliches Schauspiel auf den staubigen Wegen durch die Hotelanlage, die Grillen zirpten, ich verabschiedete mich höflich, schließlich hätte ich noch für mein Studium zu lernen, und außerdem hätten sich die beiden, nach all der Zeit – und jetzt, da sie Zeit hätten – doch sicher viel zu erzählen …

      Ich erkundete die Hotelaußenanlage (Palmen, Büsche, Rasensprenger, Tennisplatz (roter Sand), Minigolf und Fahrradverleih) und setzte mich schließlich an den hellen Kiesstrand, blickte aufs Meer hinaus und ließ Kieselsteine durch meine Hände rieseln und summte einen Song von John Paul Young vor mich hin:

       Love is in the air in the whisper of the trees

       Love is in the air in the thunder of the sea

       And I don’t know if I’m just dreaming

       Don’t know if I feel sane

      Und musste lachen – zwar habe ich von Popmusik, oder gar von der Popmusikgeschichte, nicht viel Ahnung, erzählte aber auf Studentenpartys (vorzugsweise in der WG-Küche, wo immer die wichtigen Dinge und Personen und somit die eigentliche Party stattfindet) gerne diesen Treppenwitz der Musikgeschichte: John Paul Young schaffte mit diesem Lied 1977 einen Welthit. Geschrieben und produziert wurde er von Harry Vanda und George Young. George Young wiederum ist der Bruder von John Paul – und George hatte früher selbst eine Band, die »Easybeats«, und die hatten selbst einen Charterfolg mit »Friday on My Mind«, den später dann zum Beispiel auch Garry Moore gecovert hat. Aber George produzierte noch eine andere Band, und zwar eine Band, in der ein gewisser Angus und ein Malcolm Young mitspielen, und, na, wie heißt die Band? Ich zähle bis drei: eins, zwei … AC/DC. Genau! Aber damit nicht genug: George selbst hatte, nachdem sich die »Easybeats« aufgelöst hatten (Alkohol, Drogen usw.), dann noch ein Bandprojekt mit dem Namen »Flash and the Pan«, mit dem er auch wieder mehrere Hits hatte: »Waiting for a Train« und vor allem »Walking in the Rain«, was dann von Grace Jones gecovert wurde. (Spätestens jetzt hielten mich alle auf der Party für einen Volltrottel oder einen Musikprofi – was vielleicht dasselbe ist, letzteres bei den Mädchen aber besser bis gut ankommt, wie ich herausgefunden zu haben glaubte (aber vielleicht lag das auch nur am Mitleid ob meines Inselwissens)). Einmal ist es mir sogar passiert, dass dieser popmusikalische Pistenwitz dann tatsächlich auf einer Party wie ein Bumerang zu mir zurückkam. Ein durchaus hübsches Mädchen sagte: »Kennste Love is in the Air?«, »Glaub’ schon.«, »Aber was du sicher nicht weißt, ist: …«, »Nein!«, »Doch! Is’ so!«, »Darf ich dich küssen?«, »Ja, klar.«

      Ich ging auf mein Zimmer, schlug die Studienunterlagen auf und zeichnete das AC/DC-Logo, kleine Herzchen und Kreise aufs Papier.

      Das Klopfen von Frau Dresenkamp an meiner Hotelzimmertüre unterbrach meine konzentrierten Kritzeleien. Ich sei auf die Hotelterrasse bestellt, wo ich dann bei Kaffee und Kuchen herzlich von der Großmutter und freundlich von Ivo empfangen wurde, während Frau Dresenkamp (nachdem sie der alten Dame, die etwas nervös an ihrem silbernen Hampelmann spielte und zupfte, möglichst unauffällig, aber unübersehbar ein sorgfältig verpacktes Päckchen zugesteckt hatte) in angespannter Muße am Geländer der Terrasse zum Meer hin sich jederzeit für eine weitere Hilfestellung im Hintergrund bereithielt oder (denn sie hatte den Kopf in ihren Nacken geschoben) schlicht versuchte, die Geräusche der Tischgespräche zu ignorieren, welche die unter ihr, unter der Terrasse an den Strand klatschenden, monoton heranrollenden Wellen schrill übertönten. Nach der Überreichung des säuberlich verpackten Päckchens durch die feine alte Dame an Ivo, der, als er meiner ansichtig geworden war, das Päckchen einem Zaubertrick gleich verschwinden ließ, es in die Jacketttasche, die über seiner Stuhllehne hing, gleiten ließ, es also nicht auspackte, entweder weil er mich sah oder weil es die Höflichkeit gebot, denn ein kleines Küsschen drückte er der Großmutter auf die Wange, und diese errötete dabei, vielleicht, weil sie sich ertappt fühlte, ertappt im Versuch, Ivos Küsschen für das Päckchen zu erwidern, wobei ihre Kusserwiderung nicht seine Wange, sondern nur die Luft traf, ihre Küsschen an Ivos rechtem Ohr vorbeiflogen und sich im Nichts des blauen Himmels verloren – erst danach wurde ich von den beiden herzlich bei Kaffee und Kuchen willkommen geheißen und gefragt, ob ich in der Zwischenzeit gut habe lernen können. Ich solle mich doch bitte dazusetzen, es gebe so viel zu besprechen. Schließlich müsse der morgige Tag geplant werden. Denn wir seien ja nur meinetwegen hier – da müsse mir schon etwas geboten werden. Ob ich selbst Wünsche habe? Daraufhin begannen Ivo und die feine alte Dame freudig durcheinanderredend Pläne zu entwickeln, wie der morgige Tage zu gestalten sei, welche kleinen Abenteuer (das Wort fiel natürlich nicht, nicht einmal im Singular, aber das schien mir die Bedeutung ihrer Worte zu sein) wir (oder vielmehr ich) denn erleben und bestehen wollten. Am morgigen Tag. Ich hörte mir die Vorschläge für den morgigen Tag an, nickte zustimmend und fügte hinzu, dass ich es mir nicht besser hätte vorstellen können, womit die Zusammenkunft für beendet erklärt wurde, Ivo sich höflichst und vertraut lachend verabschiedete (selbstverständlich nicht, ohne noch zu erwähnen, wie leid es ihm tue, heute leider nicht länger … Die Geschäfte, Termine, die nicht abgesagt werden könnten … usw. (auch er erwähnte, wie beiläufig, etwas von einem Import-Export-Geschäft)): ein Küsschen für die feine alte Dame, ein Händeschütteln für mich (wobei mir seine Armbanduhr auffiel: Eine schwarze Swatch-Uhr, Kunststoffarmband, das Gehäuse zum Innenarm gedreht, sportlich, aber wie im Widerspruch zu seiner Gesamterscheinung, zum penibel erfüllten Dresscode eines gebräunten Lebemanns, ein Segler vielleicht, vielleicht ein Kapitän, ein Gentleman aber sicherlich) und ein Nicken zu Frau Dresenkamp, dann ging der Ivo, und die Großmutter sah ihm hinterher, bis er hinter der Hoteltüre verschwunden war, und dann seufzte sie, denn der Abschied würde ja nur kurz sein, und so tat es ihrem Glück nun eben gerade keinen Abbruch, sondern hielt die Spannung aufrecht, so schien es mir, weswegen sie zufrieden, aber nun auch etwas erschöpft seufzte und Frau Dresenkamp bat, sie doch auf ihr Zimmer zu bringen und auch das Mittagessen auf ihr Zimmer bringen zu lassen. Sie wolle sich etwas erholen. Später komme ja, wie ich wisse, Maria, wegen dieser Kniegeschichte (von der sie immer nur als »die Kniegeschichte« sprach, als wäre es nicht Teil von ihr und durchaus lästig, wie ein Verwandter, der immer ungefragt zum Sonntagsbraten erscheint) und wegen zwei, drei anderer Dinge, und vorher wolle sie sich eben verständlicherweise etwas erholen.

      Zum zweiten Kaffee traf ich mich dann wie verabredet mit Franceska. Wieder auf der Hotelterrasse, die etwas aufs Meer hinausragte und unter sich die Wellen rhythmisch und unbeteiligt an den Klippen zerplatzen ließ. Franceska war das feiste Ebenbild ihrer Mutter, nur eben noch etwas kleiner. Ich schätzte sie auf zwölf oder dreizehn. Sie sagte, sie sei eben vierzehn geworden – und man konnte es sehen: Die Pubertät drückte sich durch, war offensichtlich ein durchschlagender Erfolg: Mit unreiner Haut, vielleicht auch durch das stark deckende Makeup hervorgerufen, stand sie in voller Kraft und Erwartung, das Leben vor sich, die erste Liebe greifbar vor Augen, aber sicher las sie keine Pony-Heftchen mehr, ihr Blick war bestimmt, ein junges Mädchen, das wusste, was sie wollte – und solche Mädchen hatten mir früher immer Angst gemacht. Kein Wunder, dass sich gleichaltrige Mädchen in dieser Phase in ältere Jungs verlieben. In ihrem Fall war es wohl sicherlich kein Tennistrainer – den könnte sie nur anhimmeln, wo sie doch aussah wie der fleischgewordene Bücherwurm. Und wie sieht der aus? Unreine Haut, dicke Brille, rundes (oder ganz hageres) Gesicht, etwas pummelig, aber kein Babyspeck, nichts, das sich noch verliert, sondern erst kürzlich erworben worden ist, eine eigene – beinahe vergeistigte – willentliche Leistung oder zumindest der Ausfluss dessen: eben ein Bücherwurm. Vielleicht verwächst sich das ja doch noch.