Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays. Stanislaw Przybyszewski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9788027205639
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die Handlungen berechne und sie leite.

      Ja, lieber Mikita; mea maxima culpa! Ich habe gesündigt gegen Dich!

      Unterwegs sah er ein Nacht-Café offen.

      Oh, er war so furchtbar müde.

      Er trat ein und setzte sich auf ein Sofa abseits in eine Ecke.

      Um sich herum hörte er Geschrei und Gekreisch, Fluchen und Feilschen. Er sah hin, ob nicht ein Berliner Romanschriftsteller seine Notizen machte. Nämlich ein Kollege von der nämlichen Fakultät.

      Ekelhaft! Wie viel kostet fünf Minuten Fleisch pro Pfund?

      Er lehnte sich zurück und starrte in die große, weiße Lampe des elektrischen Lichtes.

      Es flimmerte ihm in den Augen. Um die weißen runden Lichtlampen sah er deutlich heiße Nebel zittern.

      Und schneller und schneller sah er den Dunst um die Lampen kreisen, heftiger und heißer.

      Und er fühlte sie in seinen Armen, ihre Backe an die seine gelehnt, er fühlte ihre Bewegungen auf seinen Nerven auf- und niedergleiten, und er sah die Welt als einen roten Sonnenring um sich herumtanzen.

      Das war das große Problem.

      Er setzte sich zurecht.

      Das Problem seiner Liebe. Isa war aus ihm geboren, oder er aus ihr. Sie war das vollendetste Korrelat zu ihm. Ihre Bewegungen waren so seinem Geiste angepaßt, daß sie ihn in die höchste Ekstase versetzten, der Klang ihrer Stimme löste etwas in seiner Seele aus, etwas davon, worin das Geheimnis seiner Seele ruhte.

      Dummes Gehirn, woher weißt Du das so sicher?

      Er lachte höhnisch.

      Aber plötzlich stutzte er. Er sah sich und sie in einem merkwürdigen Bilde.

      Sie saßen sich ganz gleichgültig gegenüber. Sie sahen sich kalt in die Augen, ja sie waren sich ganz gleichgültig.

      Ja, er war Dämonomane, er sah sie und sich ganz durchsichtig, und er sah, wie sich etwas in ihm und etwas in ihr hochreckte, wie die beiden unterirdischen Ichs sich näher kamen und sich so fragend und so begehrend anschauten.

      Nein doch! Sie saßen ja am Tisch und waren sich gleichgültig und sprachen über dumme, nichtssagende Sachen. Aber das Andre in ihm und das Andre in ihr waren sich so unendlich nahe, sie umfaßten sich, sie gossen sich ineinander.

      Das Andre, lieber Mikita, das, das ich nicht kenne, weil es plötzlich ganz unmotiviert da ist, hat sie schon geliebt, bevor ich es merkte.

      Siehst Du, Mikita, mein dummes Gehirn kann ja nur höchstens kontrollieren, daß etwas vor sich gehe, nur höchstens eine vollendete Tatsache konstatieren.

      Ja, teurer Mikita, das ist eine vollendete Tatsache: Ich liebe sie!

      Daß ich mich interessant machte? Daß ich sie lockte und auf meine Tiefen aufmerksam machte? – Aber Herrgott, Mikita, sei doch vernünftig! Das große Agens hat die Räder so eingestellt, daß sie notwendig in dieser und keiner andern Richtung ablaufen müssen.

      Daß Du das nicht verstehst!

      – Weshalb Mikita nicht gekommen ist?

      Oh, gnädiges Fräulein, kennen Sie ihn schlecht! Mikita hat Instinkte mit meilenlangen Händen, die das Unfaßbare fassen: Mikita sieht, wie sich ein Ton in Farbe verwandelt. Er hat Akkorde gemalt, die Sie beim Hören verrückt machen würden, aber das brutale Auge verträgt selbstverständlich Alles. Mikita sieht das Gras wachsen, und den Himmel schreien. Das Alles sieht Mikita – Mikita ist ein Genie!

      Was bin ich? Was hab ich gemacht?

      Blödsinn, Falk! Bist Du wirklich betrunken?

      Nein doch: Ich bin Psychologe und augenblicklich damit beschäftigt, Mikitas Seele ganz reinlich zu präparieren.

      Hoh, Mikita läßt sichs nicht merken, er läßt die Lauge sich in seine tiefsten Schachte niederschlagen, bis Alles zersetzt und zerfressen ist, dann kommt der Bruch.

      Was ist dabei? Herrgott ein Mann über Bord! Er ist nicht der Erste.

      Das Kreischen und Lachen um Falk herum wurde lauter und unerträglicher.

      Er erhob sich wütend und brüllte förmlich:

      – Still!

      Dann setzte er sich hin. Die verfluchten Mücken, die ihn immer stören mußten.

      Nun wurde er sehr unruhig.

      Er mußte Mikita sehen. Er mußte durchaus sehen, was er jetzt mache. Ja, er werde zu ihm gehen: Wer ist da? Ich arbeite jetzt. – Ich bin es, Erik Falk. – Er macht auf. Sieht mich von der Seite an, hat selbstverständlich furchtbar wilde Augen.

      Was willst Du?

      – Was ich will? Tja, ich will Dir klar machen, daß Ich nicht liebe, sondern das Andre. Ich will Dir klar machen, wie das kam. Ich saß mit ihr an einem Tisch – ganz kalt und gleichgültig, aber während ich sprach, hat das Andre auf eigne Faust gehandelt, an ihr gezerrt und sie gelockt, bis sie nachgab. Nein! Nicht Sie; sie höhnt mich und findet mich komisch, weil mein Andres einen herzlicheren Abschied wünschte. Siehst Du, sie ist mir fremd, absolut fremd. Aber die Andern in uns Beiden, die kennen sich so gut, sie lieben sich so unendlich, so mächtig, so unlöslich.

      Du allmächtiger Schöpfer, ich danke Dir, daß Du mich zum zweibeinigen Wesen geschaffen hast, mit Vernunft und Geist begabt, auf daß ich Gut und Böse unterscheide, auf daß ich nicht Isa begehre, wenn Mikita das Glück gehabt hat, sie zuerst zu treffen.

      Und da – da sitzt der junge Lümmel neben den hundert Kilo Fleisch, er hat keine Vernunft, er kann auch nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden.

      Siehst Du, dummer Lümmel, was bist Du gegen mich? Du vernunft- und willenloses Sujet.

      Falk lachte aus vollem Halse.

      Nun mußte er aber wegen ungebührenden Verhaltens – der Ausdruck gefiel ihm ganz ausnehmend – das Café verlassen.

      Das kam ihm gerade recht.

      In dieser verpesteten, schweiß- und fleischriechenden Spelunke konnte es ein Mensch von der Species Homo sapiens, meine Herren, nicht aushalten.

      Draußen fing es an hell zu werden.

      Über den schwarzen Dächern sah er das tiefe Blau in einer unsagbaren, stillen, heiligen Majestät.

      Die Majestät des Himmels über Berlin ... er lachte höhnisch – so ist nun einmal die Natur ...

      X.

       Inhaltsverzeichnis

      – Warum bist Du gestern nicht zu Iltis gekommen? – Isa war ein wenig unsicher.

      – Was sollt ich da? Ich setzte voraus, daß Du Dich auch ohne mich amüsieren kannst.

      – Das ist häßlich von Dir; Du weißt doch, wie ich glücklich bin, wenn ich mit Dir zusammen in Gesellschaft gehe.

      – Bist Dus?

      Mikita sah mißtrauisch zu ihr herüber.

      – Was meinst Du denn?

      Sie wurde mißmutig. Aber plötzlich sah sie sein übernächtigtes, bleiches Gesicht zucken. Sie kannte das.

      – Nein, das ist sehr häßlich von dir. Sie nahm seine Hand und streichelte sie.

      Mikita entzog ihr leise die Hand. Er ging auf und ab.

      – Aber was ist Dir denn?

      – Mir? Nichts, nein, gar nichts.

      Sie sah ihn an. Eine fiebrige Unruhe zuckte immer heftiger in seinem Gesichte. Es kochte Etwas in ihm, das jeden Augenblick ausbrechen konnte.

      – Willst Du nicht zu mir