Die Äbtissin von Castro. Стендаль. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Стендаль
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118853
Скачать книгу
war jetzt ihre einzige Zerstreuung geworden. Sie wiederholte, daß sich Capecce fast jede Nacht gegen elf Uhr in das Schlafgemach der Herzogin begab und nicht vor zwei oder drei Uhr des Morgens fortgehe. Diese Reden machten im Anfang so wenig Eindruck auf den Herzog, daß er sich nicht die Mühe auferlegen wollte, um Mitternacht die zwei Meilen nach Gallese zurückzulegen und unerwartet in das Schlafgemach seiner Frau zu treten.

      Aber eines Abends befand er sich in Gallese; die Sonne war schon untergegangen, aber doch war es noch hell, als Diana ganz zerzaust in den Saal stürzte, wo sich der Herzog aufhielt. Alle entfernten sich, und sie sagte ihm, daß Marcello Capecce eben in das Schlafzimmer der Herzogin eingetreten sei. Der Herzog, der ohne Zweifel in diesem Augenblick schlecht gelaunt war, nahm seinen 45Dolch und lief zum Schlafzimmer seiner Frau, in das er durch eine geheime Tür eintrat. Er fand dort Marcello Capecce. Die beiden Verliebten wechselten wohl die Farbe, als sie ihn eintreten sahen; aber im übrigen war nichts Sträfliches am Anblick, den sie boten. Die Herzogin lag im Bett und war damit beschäftigt, eine kleine Auslage, die sie eben gemacht hatte, zu notieren; eine Kammerfrau war im Zimmer und Marcello stand drei Schritt vom Bett entfernt.

      Der Herzog packte in seinem Zorn Marcello bei der Kehle, schleppte ihn in ein Nebenzimmer, wo er ihm befahl, Degen und Dolch, mit denen er bewaffnet war, auf die Erde zu werfen. Hierauf rief der Herzog Leute seiner Wache herbei, von denen Marcello sofort ins Gefängnis von Soriano abgeführt wurde.

      Die Herzogin ließ man in ihrem Schloß, doch unter strenger Bewachung.

      Der Herzog war durchaus nicht grausam; es scheint, daß er die Absicht hatte, die Schande zu verheimlichen, um nicht gezwungen zu sein, zu den äußersten Mitteln zu greifen, welche die Ehre von ihm forderte. Er wollte glauben machen, daß Marcello wegen einer ganz andern Angelegenheit im Gefängnis gehalten würde; er nahm zum Vorwand, daß Marcello vor zwei oder drei Monaten einige ungewöhnlich große Kröten zu sehr hohem Preis gekauft hatte, und ließ das Gerücht verbreiten, dieser junge Mann habe ihn vergiften wollen. Aber das wirkliche Vergehen war schon zu bekannt, und sein Bruder, der Kardinal, ließ fragen, wann er gedenke, den Schimpf, den man gewagt hatte, ihrer Familie anzutun, im Blute der Schuldigen abzuwaschen.

      Der Herzog rief den Grafen d'Aliffe, den Bruder seiner Frau, und einen Freund des Hauses, Antonio Torando, 46zu sich. Sie bildeten zu dritt eine Art Gerichtshof und leiteten die Untersuchung gegen Marcello Capecce ein, der des Ehebruchs mit der Herzogin angeklagt wurde.

      Die Unbeständigkeit der menschlichen Dinge wollte, daß der Papst Pius IV., der auf Paul IV. folgte, der spanischen Partei angehörte. Er konnte Philipp II. nichts abschlagen, und dieser verlangte von ihm den Tod des Kardinals und des Herzogs von Palliano. Die beiden Brüder wurden vor Gericht angeklagt, und die Urkunden des Prozesses, den sie zu erdulden hatten, erzählen uns auch alle Umstände des Todes von Marcello Capecce.

      Einer der zahlreichen einvernommenen Zeugen sagt in folgender Weise aus:

      „Wir waren in Soriano. Mein Herr, der Herzog hatte eine lange Unterredung mit dem Grafen d'Aliffe. Sehr spät am Abend stieg man in ein Vorratsgewölbe zu ebener Erde hinunter, wo der Herzog schon die zur peinlichen Befragung des Schuldigen notwendigen Seile hatte vorbereiten lassen. Zugegen waren der Herzog, der Graf d'Aliffe, der Herr Antonio Torando und ich.

      Als erster Zeuge wurde der Hauptmann Camillo Grifone, der Freund und Vertraute Capecces gerufen. Der Herzog sagte folgendes zu ihm:

      ‚Sage die Wahrheit, mein Freund. Was weißt du von dem, was Marcello im Schlafgemach der Herzogin tat?‘

      ‚Ich weiß nichts; ich bin seit mehr als zwanzig Tagen mit Marcello entzweit.‘

      Weil er hartnäckig darauf bestand, nichts andres zu sagen, rief der Herr Herzog einige Mann seiner Wache herein. Grifone wurde durch den Podesta von Soriano an das Seil gebunden. Die Wachen zogen die Seile an und hoben auf diese Weise den Schuldigen vier Finger 47vom Boden empor. Nachdem der Hauptmann eine gute Viertelstunde so gehangen hatte, sagte er:

      ‚Laßt mich herunter, ich werde sagen, was ich weiß.‘

      Als man ihn auf den Boden herabgelassen hatte, entfernten sich die Wachen, und wir blieben mit ihm allein. Er sagte:

      ‚Es ist wahr, daß ich mehrere Male Marcello bis zum Gemach der Herzogin begleitet habe, aber weiter weiß ich nichts, weil ich in einem benachbarten Hof bis gegen ein Uhr morgens auf ihn gewartet habe.‘

      Sofort rief man wieder nach den Wachen, welche ihn auf Befehl des Herzogs von neuem so emporzogen, daß seine Füße den Boden nicht mehr berührten. Bald rief der Hauptmann:

      ‚Laßt mich ab, ich will die Wahrheit sagen. Es ist wahr,‘ fuhr er fort, ‚ich habe seit mehreren Monaten bemerkt, daß Marcello ein Liebesverhältnis mit der Herzogin hatte, und ich wollte Eurer Exzellenz oder Herrn Leonardo davon Mitteilung machen. Die Herzogin schickte jeden Morgen zu Marcello, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen; sie ließ ihm kleine Geschenke zukommen, so unter andern Dingen auch sehr teure mit großer Sorgfalt zubereitete Konfitüren; ich habe auch bei Marcello kleine, wunderbar gearbeitete Goldketten gesehen, die er offenbar von der Herzogin erhalten hatte.‘

      Nach dieser Aussage wurde der Hauptmann ins Gefängnis zurückgeschickt. Man führte nun den Pförtner der Herzogin vor, der sagte, daß er nichts wisse; man band ihn an das Seil, und er wurde hochgezogen. Nach einer halben Stunde sagte er:

      ‚Laßt mich herab, ich werde sagen, was ich weiß.‘

      Als er am Boden war, behauptete er aber, nichts zu wissen; man zog ihn von neuem hoch. Nach einer halben 48Stunde ließ man ihn herunter; er setzte auseinander, daß er erst seit kurzer Zeit mit dem Dienst bei der Herzogin betraut sei. Da es möglich war, daß dieser Mann nichts wußte, schickte man ihn ins Gefängnis zurück. Alle diese Dinge hatten viel Zeit in Anspruch genommen, weil man jedesmal die Wachen wieder hinausschickte. Die Wachen sollten glauben, daß es sich um einen Vergiftungsversuch mit dem Gift der Kröten handle.

      Die Nacht war schon weit vorgeschritten, als der Herzog Marcello Capecce holen ließ. Als die Wachen draußen waren und man die Tür fest verschlossen hatte, sagte er ihm:

      ‚Was hattet Ihr im Schlafgemach der Herzogin zu suchen, daß Ihr dort bis ein Uhr, bis zwei Uhr und manchmal bis vier Uhr morgens bliebt?‘

      Marcello leugnete alles; man rief die Wache, und er wurde aufgehängt; das Seil verrenkte ihm die Arme; er konnte den Schmerz nicht aushalten und verlangte, herabgelassen zu werden; man setzte ihn auf einen Schemel, aber einmal so weit, verwirrte er sich in seiner Rede und wußte eigentlich nicht mehr, was er sagte. Man rief die Wachen herbei, die ihn von neuem hochzogen; nach einer langen Zeit verlangte er, heruntergelassen zu werden. Er sagte:

      ‚Es ist wahr, daß ich zu dieser ungewöhnlichen Stunde in die Gemächer der Herzogin eingetreten bin, doch hatte ich ein Liebesverhältnis mit der Signora Diana Brancaccio, einer der Damen Ihrer Exzellenz, welcher ich die Ehe versprochen habe, und die mir alles gewährt hat, was nicht gegen die Ehre war.‘

      Marcello wurde in sein Gefängnis zurückgeführt, wo man ihn dem Hauptmann und Diana gegenüberstellte, welche alles leugnete.

      49Darauf führte man Marcello wieder in den unteren Saal; als wir nahe der Tür waren, sagte er:

      ‚Herr Herzog, Eure Exzellenz wird sich erinnern, daß sie mir das Leben zusicherten, wenn ich die volle Wahrheit sagen würde. Es ist nicht nötig, mich von neuem anzubinden; ich werde alles gestehen.‘

      Dann näherte er sich dem Herzog und sagte ihm mit zitternder und kaum verständlicher Stimme, daß es wahr sei, daß er die Gunst der Herzogin genossen habe. Auf diese Worte hin warf sich der Herzog auf Marcello und biß ihn in die Wange, dann zog er seinen Dolch, und ich sah, daß er den Schuldigen erstechen wollte. Ich sagte da, daß es gut wäre, wenn Marcello eigenhändig aufschriebe, was er soeben gestanden hätte und daß dies Schriftstück Seiner Exzellenz zur Rechtfertigung dienen würde. Man trat in den unteren Saal ein, wo sich alles befand, was zum Schreiben nötig war; aber das Seil hatte Marcello so am Arm und an der Hand verletzt, daß er nichts weiter schreiben konnte, als diese wenigen Worte: ‚Ja, ich habe meinen