Die Äbtissin von Castro. Стендаль. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Стендаль
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118853
Скачать книгу
der Tod überrascht, bevor er seine Neffen zurückgerufen hat; und was am schlimmsten war: die drei Brüder verabscheuten einander. Man behauptete sogar, daß der Herzog und der Marchese, welche die ungestümen Leidenschaften des Kardinals nicht teilten und über seine Ausschweifungen aufgebracht waren, so weit gegangen wären, sie ihrem Oheim, dem Papst, zu denunzieren.

      Mitten im Schrecken dieser tiefen Ungnade geschah etwas, das zum Unglück sowohl für die Herzogin wie für Capecce selber sehr wohl zeigte, daß diesen keine wirkliche Leidenschaft an Martuccia gefesselt hatte.

      Eines Tages hatte ihn die Herzogin rufen lassen, um ihm einen Auftrag zu geben; er war allein mit ihr, was vielleicht kaum zweimal während des ganzen Jahres vorkam. Als Capecce sah, daß in dem Saal, wo ihn die Herzogin empfing, niemand anwesend war, blieb er erst unbeweglich und ohne ein Wort. Dann ging er zur Türe, nachzusehen, ob jemand da wäre, der sie vom Nebenzimmer hören könnte. Hierauf wagte er es:

      „Signora, beunruhigt Euch nicht und nehmt die seltsamen Worte, die ich Euch zu sagen die Kühnheit haben werde, nicht mit Zorn auf. Seit langem liebe ich Euch mehr als das Leben. Wenn ich in zu großer Unvorsichtigkeit gewagt habe, Eure göttliche Schönheit wie ein Verliebter zu betrachten, dürft Ihr nicht mir die Schuld geben, sondern der übernatürlichen Kraft, die mich treibt und bewegt. Ich leide Qualen, ich brenne, 40ich bitte nicht um Linderung der Flamme, die mich verzehrt, sondern nur, daß Euer Edelmut Mitleid mit einem Diener habe, der voll Demut und ohne Vertrauen zu sich selbst ist.“

      Die Herzogin schien überrascht, aber mehr noch beunruhigt.

      „Marcello, was hast du eigentlich in mir gesehn,“ sagte sie ihm, „das dir die Verwegenheit gibt, Liebe von mir zu fordern? Hat sich mein Leben, hat sich meine Unterhaltung so weit vom Geziemenden entfernt, daß du dadurch eine solche Unverschämtheit rechtfertigen kannst? Wie konntest du die Vermessenheit haben, von mir zu glauben, daß ich mich dir oder irgendeinem andern Mann hingeben könnte, außer meinem Herrn und Gemahl? Ich verzeihe dir, was du gesagt hast, weil ich denke, daß du von Sinnen bist; aber hüte dich, wieder in den gleichen Fehler zu verfallen, anders schwöre ich dir, daß ich dich für die erste sowie für die zweite Frechheit zugleich strafen lassen werde.“

      Die Herzogin entfernte sich außer sich vor Zorn. Capecce hatte auch wirklich gegen alle Gebote der Klugheit gefehlt; er hätte erraten lassen müssen, aber nichts aussprechen. Er blieb betroffen und fürchtete sehr, daß die Herzogin die Sache ihrem Gemahl erzählen würde.

      Aber es kam ganz anders, als er besorgte. In der Einsamkeit und Langweile dieses Dorfs konnte die stolze Herzogin nicht umhin, ihrer Freundin Diana Brancaccio anzuvertraun, was man ihr zu sagen gewagt hatte. Diese Frau von etlichen dreißig Jahren verzehrten die heftigsten Leidenschaften. Sie hatte rotes Haar — der Chronist kommt mehrmals auf diesen Umstand zurück, der ihm alle Torheiten der Diana Brancaccio zu erklären scheint — und sie liebte mit wilder Leidenschaft Domitiano Fornari, einen Edelmann vom Hofstaat des Marchese von Montebello. Sie wollte ihn heiraten, aber würden der Marchese und seine Frau, deren Blutsverwandte zu sein sie die Ehre hatte, jemals zustimmen, daß sie einen Mann heirate, der gegenwärtig ihr Bediensteter war? Dieses Hindernis war wenigstens dem Anschein nach unüberwindlich.

      Es gab nur eine Möglichkeit des Erfolgs: man mußte alles aufbieten, um die Fürsprache des Herzogs von Palliano, des älteren Bruders des Marchese zu erlangen, und Diana war in bezug darauf nicht ohne Hoffnung. Der Herzog behandelte sie mehr als Verwandte denn als Dienerin, die sie als Hofdame war. Er war ein guter Mensch von schlichter Gesinnung und gab lange nicht so viel wie seine Brüder auf die Fragen der Etikette. Obgleich der Herzog als ein richtiger junger Mann alle Vorteile seiner hohen Stellung genoß und seiner Frau nichts weniger als treu war, liebte er sie zärtlich und würde ihr aller Wahrscheinlichkeit nach keine Bitte abschlagen, würde sie nur mit einer gewissen Eindringlichkeit vorgebracht.

      Das Geständnis, das Capecce der Herzogin zu machen gewagt hatte, schien der brütenden Diana ein unerwarteter Glücksfall. Ihre Herrin war bisher zum Verzweifeln tugendhaft gewesen; wenn sie nun eine Leidenschaft empfände, einen Fehltritt beginge, würde sie Dianas alle Augenblicke bedürfen, und dann konnte sie alles von einer Frau erhoffen, deren Geheimnisse sie kannte.

      Weit davon, die Herzogin darauf aufmerksam zu machen, was sie sich schulde, und auf die schreckliche Gefahr, der sie sich inmitten eines so indiskreten Hofs aussetzen würde, sprach Diana, von der Unbändigkeit ihrer Leidenschaft fortgerissen, zu ihrer Herrin von 42Marcello Capecce, als ob sie von Domiziano Fornari spräche. In langen Unterhaltungen einsamer Stunden fand sie täglich Gelegenheit, die Reize und die Schönheit des armen Marcello, der so traurig aussah, in Erinnerung zu bringen; er gehöre doch, wie die Herzogin, den vornehmsten Familien Neapels an, sein Auftreten sei ebenso edel wie sein Blut, und nichts als jene Güter, die eine Laune des Glücks jeden Tag verleihen könnten, fehlten ihm, um in jeder Beziehung der Frau, die er zu lieben wagte, gleichzustellen.

      Diana bemerkte erfreut als erste Wirkung dieser Reden, daß sich das Vertrauen verdoppelte, das die Herzogin ihr schenkte.

      Sie beeilte sich, Marcello Capecce von dem, was vorging, zu verständigen. In der Glut dieses Sommers promenierte die Herzogin oft in den Wäldern der Umgebung von Gallese. Neigte sich der Tag, so erwartete sie die kühlende Brise vom Meere her auf den Hügeln dieser Wälder, von deren Gipfel man das Meer in der kurzen Entfernung von kaum zwei Meilen erblickt.

      Ohne die strengen Regeln der höfischen Sitte außer acht zu lassen, konnte sich Marcello in diesen Wäldern aufhalten; er verbarg sich dort, wie man sagt, und trug Sorge, sich den Blicken der Herzogin erst zu zeigen, wenn sie durch die Worte der Diana Brancaccio genügend vorbereitet war. Diese gab dann Marcello ein Zeichen.

      Als Diana ihre Herrin nahe daran sah, der verhängnisvollen Leidenschaft nachzugeben, die sie in ihrem Herzen erweckt hatte, gab sie selbst sich der heftigen Liebe zu Domiziano Fornari hin. Nun schien es ihr ja sicher, ihn heiraten zu können. Aber Domiziano war ein kluger junger Mann, von kaltem, zurückhaltendem Charakter, 43und die ungestüme Leidenschaft seiner feurigen Geliebten wurde ihm bald lästig, statt ihn zu fesseln. Diana Brancaccio war, wie gesagt, eine nahe Verwandte der Carafa; er hielt es für sicher, erdolcht zu werden, wenn der gefürchtete Kardinal Carafa, der, mochte er auch jünger als der Herzog von Palliano sein, doch das eigentliche Oberhaupt der Familie war, auch nur das Geringste über seine Liebesbeziehung erführe.

      Die Herzogin hatte schon seit einiger Zeit der Leidenschaft Capecces nachgegeben, als man eines schönen Tages Domiziano Fornari nicht mehr in dem Dorf fand, wohin man den Hof des Marchese von Montebello verbannt hatte. Er blieb verschwunden. Später erfuhr man, daß er sich in dem kleinen Hafen von Nettuno eingeschifft habe; ohne Zweifel hatte er seinen Namen gewechselt; nie wieder hörte man von ihm.

      Wer könnte die Verzweiflung Dianas schildern? Nachdem die Herzogin ihre Anklagen gegen das Schicksal lange mit Güte angehört hatte, gab sie ihr eines Tages zu verstehn, daß dieser Gesprächsgegenstand doch erschöpft zu sein scheine. Diana sah sich von ihrem Liebhaber verschmäht; ihr Herz war den grausamsten Leidenschaften preisgegeben; sie zog die sonderbarste Schlußfolgerung aus dem Augenblick der Langeweile, den die Herzogin bei der Wiederholung ihrer Klagen empfunden hatte. Diana redete sich ein, daß die Herzogin Domiziano Fornari veranlaßt habe, sie auf immer zu verlassen, ja daß sie es gewesen sei, die ihm die Mittel zur Reise gab. Dieser tolle Einfall stützte sich auf nichts als einige Vorhaltungen, welche die Herzogin ihr früher einmal gemacht hatte. Dem Argwohn folgte bald der Wunsch, sich zu rächen. Sie suchte um eine Audienz beim Herzog nach und teilte ihm mit, was zwischen seiner Frau und 44Marcello vorging. Der Herzog weigerte sich, dem zu glauben. „Bedenkt,“ sagte er ihr, „daß ich der Herzogin seit fünfzehn Jahren nicht den leisesten Vorwurf zu machen habe. Sie hat den Versuchungen des Hofes und den Verführungen unserer glänzenden Stellung in Rom widerstanden. Die liebenswertsten Persönlichkeiten, der General der französischen Armee, Herzog von Guise selbst, haben nichts erreicht, und Ihr wollt behaupten, daß sie einen gewöhnlichen Edelmann erhört hat?“

      Das Unglück wollte, daß der Herzog sich in Loriano, dem kleinen Dorf seiner Verbannung, das nur zwei knappe Meilen vom Wohnsitz seiner Frau entfernt lag, sehr langweilte und daß Diana dadurch eine ganze Reihe von Audienzen erreichen konnte, ohne daß dies der Herzogin