Die Äbtissin von Castro. Стендаль. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Стендаль
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118853
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wenn eine englische Dame, die mit allen Vorzügen ihrer Insel ausgestattet, aber selbst auf dieser Insel dafür bekannt ist, daß sie außerstande sei, die Liebe und den Haß zu schildern, wenn, sage ich Mrs. Anne Radcliffe den Personen eines ihrer berühmten Romane italienische Namen und große Leidenschaften gibt?

      Ich werde nicht versuchen, der Einfachheit und der manchesmal abstoßenden Roheit der nur zu wahren Erzählung, die ich der Nachsicht des Lesers empfehle, Anmut zu verleihen. Ich werde zum Beispiel die Antwort der Herzogin von Palliano auf die Liebeserklärung ihres Vetters Marcello Capecce ganz wörtlich übersetzen. Diese Monographie einer Familie befindet sich, ich weiß nicht warum, am Ende des zweiten Bandes einer handschriftlichen Geschichte von Palermo, über die ich keine näheren Angaben machen kann.

      Diese Erzählung, die ich zu meinem Bedauern sehr kürze — ich unterdrücke eine Fülle von bezeichnenden Umständen — enthält mehr die letzten Schicksale der unglücklichen Familie Carafa, als die interessante Geschichte einer bestimmten Leidenschaft. Die literarische Eitelkeit sagt mir, daß es mir nicht unmöglich gewesen wäre, das Interesse an manchen Situationen zu steigern, 29wenn ich ausführlicher gewesen wäre, wenn ich erraten und dem Leser mit allen Einzelheiten erzählt hätte, was die Personen empfanden. Aber bin ich, ein junger Franzose, im Norden, in Paris geboren, denn wirklich sicher, zu erraten, was diese italienischen Menschen des Jahres 1559 fühlten? Ich kann ja höchstens das zu erraten hoffen, was den französischen Lesern von 1838 elegant und spannend vorkommt.

      Die leidenschaftliche Art der Italiener um 1559 wollte Taten und nicht Worte. Man wird darum in der folgenden Erzählung sehr wenig Konversation finden. Das ist für diese Geschichte insofern ein Nachteil, als wir uns so sehr an die langen Gespräche unsrer Romanhelden gewöhnt haben, für die eine Konversation genau so viel ist wie eine Schlacht. Meine Erzählung oder vielmehr Übersetzung zeigt eine sonderbare, durch die Spanier in die italienischen Sitten eingeführte Eigenart. Ich bin nirgends aus der bestimmten Haltung des Übersetzers hinausgetreten. Die getreue Wiedergabe der Art des Fühlens im sechzehnten Jahrhundert und auch der Erzählungsweise des Chronisten, der allem Anschein nach ein Edelmann aus dem Gefolge der unglücklichen Herzogin von Palliano war, macht meines Erachtens nach den Hauptvorzug dieser tragischen Geschichte aus — wenn überhaupt irgendein Vorzug daran ist.

      Die strengste spanische Etikette herrschte am Hofe des Herzogs von Palliano. Man muß sich erinnern, daß jeder Kardinal und jeder römische Fürst einen Hof hielt, und man kann sich einen Begriff davon machen, welches Bild Rom im Jahre 1559 bot. Nicht ist auch zu vergessen, daß es die Zeit war, wo der König Philipp II., der für seine Intrigen die Stimmen zweier Kardinäle brauchte, jedem von ihnen eine Rente von 200 000 Livres 30in geistlichen Pfründen gab. Obgleich Rom ohne nennenswerte Arme war, bildete es den Mittelpunkt der Welt. Paris war im Jahre 1559 eine Stadt freundlicher Barbaren.

      Wenn auch Gianpietro Carafa aus einer der vornehmsten Familien des Königreichs Neapel stammte, hatte er rauhe, ungeschliffene und heftige Umgangsformen, die zu einem Hirten der Campagna gepaßt hätten. Er nahm schon früh das Priestergewand und kam ganz jung nach Rom, wo ihm durch die Gunst seines Vetters Oliviero Carafa, des Kardinals und Erzbischofs von Neapel, geholfen war. Alexander VI., dieser große Mann, der alles wußte und alles konnte, machte ihn zu seinem Kämmerer, ungefähr das gleiche, was man bei uns unter einem Ordonanzoffizier versteht. Julius II. ernannte ihn zum Erzbischof von Chieli; Papst Paul machte ihn zum Kardinal und endlich am 23. Mai 1555 wurde er, nach schlimmen Kabalen und vielen Disputen zwischen den zum Konklave eingeschlossenen Kardinälen unter dem Namen Paul IV. zum Papst gewählt; er war damals achtundsiebzig Jahre alt. Selbst über die, welche ihn auf den Thron von Sankt Peter berufen hatten, kam bald die Angst, wenn sie die Härte und die wilde unerbittliche Frömmigkeit des Herrn bedachten, den sie sich selbst gesetzt hatten.

      Die Neuigkeit dieser unerwarteten Wahl hatte umwälzende Wirkung in Neapel und Palermo. Binnen wenigen Tagen traf eine große Anzahl von Mitgliedern der illustren Familie Carafa in Rom ein, und alle erhielten Stellen; doch zeichnete der Papst, wie ja natürlich, besonders seine drei Neffen aus, Söhne seines Bruders, des Grafen von Montorio.

      31Don Juan, der Älteste, war schon verheiratet und wurde zum Herzog von Palliano gemacht. Dieses Herzogtum, dem Marc Antonio Colonna, dem es gehört hatte, abgenommen, umfaßte eine große Zahl Dörfer und kleiner Städte. Don Carlos, der zweite Neffe Seiner Heiligkeit, war Malteserritter und hatte den Krieg mitgemacht; er wurde zum Kardinallegaten von Bologna und Premierminister ernannt. Als ein entschlossener Mann und treu den Traditionen seiner Familie, wagte er es, dem mächtigsten König der Welt, Philipp II., König von Spanien und beider Indien, feind zu sein, und gab ihm auch Beweise davon. Was den dritten Neffen betraf, den Don Antonio Carafa, so machte der Papst den bereits Verheirateten zum Marchese von Montobello. Schließlich gelang es ihm, Franz, dem Dauphin von Frankreich und Sohn Heinrichs II. eine Tochter aus der zweiten Ehe seines Bruders zur Frau zu geben; Paul IV. dachte, ihr als Mitgift das Königreich Neapel zu schenken, das man Philipp II., dem König von Spanien hätte wegnehmen müssen. Die Familie Carafa verfolgte mit ihrem Hasse diesen mächtigen König, dem es aber, auch durch die Fehler dieser Familie unterstützt, endlich doch gelang, sie gänzlich auszutilgen.

      Seit Paul IV. den Thron von San Pietro bestiegen hatte, der zu dieser Zeit selbst den erhabenen Herrscher von Spanien zu einem Vasallen machte, wurde er, wie man es bei den meisten seiner Nachfolger gesehen hat, Beispiel aller Tugenden. Er wurde ein großer Papst und ein großer Heiliger; er bemühte sich, die Mißbräuche in der Kirche abzustellen und dadurch auch das allgemeine Konzil abzuwenden, das man vom römischen Hofe von allen Seiten verlangte, in das aber eine kluge Politik nicht einzuwilligen riet.

      32Nach der von der Gegenwart fast völlig vergessenen Sitte jener Zeit, wo ein Souverän niemals Vertrauen in Menschen setzte, die noch ein andres Interesse als das seine haben konnten, wurden die Staaten Seiner Heiligkeit in despotischer Weise von seinen drei Neffen regiert. Der Kardinal war erster Minister und verfügtet nach dem Willen seines Oheims. Der Herzog von Palliano war zum General der Truppen der heiligen Kirche gemacht worden und der Marchese von Montebello ließ als Hauptmann der Palastwache nur Personen eintreten, die ihm genehm waren. Bald begingen diese drei jungen Leute die größten Ausschreitungen; sie begannen damit, sich die Güter von Familien anzueignen, die ihrer Herrschaft abgeneigt waren. Das Volk wußte nicht, an wen es sich um Gerechtigkeit wenden sollte. Nicht nur um seinen Besitz mußte es in Sorge sein, sondern — im Vaterland der keuschen Lukrezia! — auch die Ehre der Frauen und Töchter war nicht sicher. Der Herzog von Palliano und seine Brüder entführten die schönsten Frauen; es genügte, das Unglück zu haben, ihnen zu gefallen. Betroffen sah man, daß sie auf den Adel des Bluts gar keine Rücksicht nahmen, und mehr noch: sie ließen sich nicht einmal durch die heilige Abgeschlossenheit der Klöster zurückhalten. Das zur Verzweiflung getriebene Volk wußte nicht, an wen es seine Klagen richten sollte, so groß war das Entsetzen, das die drei Brüder allen einflößten, die sich dem Papst nähern wollten; selbst gegen die fremden Botschafter traten sie unverschämt auf.

      Der Herzog hatte schon vor der Machtstellung seines Oheims Violante von Cardona geheiratet, aus einer ursprünglich spanischen Familie, die in Neapel zum ersten Adel gehörte. Violante war durch ihre ungewöhnliche 33Schönheit und durch eine Anmut berühmt, welche sie gut zu zeigen verstand, wenn sie gefallen wollte, mehr aber noch durch ihren maßlosen Stolz. Doch um gerecht zu sein, muß man auch sagen, daß man nicht leicht eine größere, stärkere Seele hätte finden können als die ihre, und dies wurde auch der Welt deutlich, als sie vor ihrem Tode dem Kapuziner, der ihr die Beichte abnahm, nichts gestand. Sie konnte den bewunderungswürdigen Orlando des Messer Ariosto auswendig und trug ihn mit unendlicher Lieblichkeit vor, wie auch die meisten Sonette des göttlichen Petrarca und die Erzählungen des Pecorone. Aber noch verführerischer war sie, wenn sie sich herabließ, ihre Gesellschaft mit den sonderbaren Einfällen zu unterhalten, die ihr der eigne Geist eingab.

      Sie hatte einen Sohn, den Herzog von Cavi. Ihren Bruder Don Ferrante, Grafen d'Aliffe, zog das große Glück seines Schwagers nach Rom.

      Der Herzog von Palliano hielt glänzenden Hof. Die jungen Leute der ersten Familien Neapels buhlten um die Ehre, daran teilzuhaben. Rom verwöhnte zu der Zeit mit seiner Bewunderung einen seiner Lieblinge, den Marcello Capecce, einen jungen Kavalier, in Neapel durch seinen Geist und