Die Äbtissin von Castro. Стендаль. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Стендаль
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066118853
Скачать книгу

      Der Leser würde die genaue Wiedergabe der Zwiesprache, welche die junge Fürstin, toll vor Liebe und Eifersucht, mit dem ehrgeizigen Prälaten hatte, sehr lang finden. Ferraterra hatte mit einer vollen Eröffnung der traurigen Wahrheit begonnen; und nach solchem heftigen Anfang wurde es ihm nicht schwer, alle Gefühle der Religion und der leidenschaftlichen Frömmigkeit wiederzuerwecken, die im Herzen der jungen Römerin 16nur eingeschlummert waren; sie besaß den wahren Glauben. „Jede gottlose Leidenschaft muß mit Unglück und Schande enden“, sagte nun der Prälat.

      Es war heller Tag, als er den Palast Campobasso verließ. Er hatte der neu Bekehrten das Versprechen abgefordert, an diesem Tag Sénecé nicht zu empfangen. Dieses Versprechen war der Fürstin nicht schwer gefallen: sie glaubte, daß sie fromm sei und fürchtete zugleich, in den Augen des Chevaliers durch eine Schwäche verächtlich zu erscheinen. Ihr Entschluß hielt bis vier Uhr stand: das war die Zeit der Besuche des Chevaliers. Er ging durch die Gasse hinter dem Garten des Palastes Campobasso und sah das Signal, das die Unmöglichkeit einer Zusammenkunft bekanntgab; er eilte, sehr zufrieden damit, zur Gräfin Orsini.

      Die Campobasso fühlte den Wahnsinn fast über sich Herr werden. Die sonderbarsten Gedanken und Entschlüsse hetzten sie. Plötzlich lief sie die breite Treppe wie im Irrsinn hinunter, stieg in den Wagen und rief dem Kutscher zu: „Palazzo Orsini“.

      Das Übermaß ihres Unglücks trieb sie wie gegen ihren Willen zu ihrer Kusine. Sie fand sie inmitten einer Gesellschaft von etwa fünfzig Personen. Was Rom an Geist und Ehrgeiz besaß und im Hause Campobasso nicht Zutritt hatte, kam im Hause Orsini zusammen. Das Erscheinen der Fürstin Campobasso wurde ein Ereignis; respektvoll zog man sich zurück; aber sie geruhte, es nicht zu bemerken; sie blickte nur auf ihre Rivalin, bewunderte sie. Jeder Reiz ihrer Kusine war ein Dolchstoß in ihr Herz. Nach den ersten Redensarten der Höflichkeiten nahm die Orsini, welche ihre Kusine schweigsam und zerstreut sah, ihre glänzende und heitere Unterhaltung wieder auf.

      17‚Wie viel besser ihre Heiterkeit zu dem Chevalier paßt, als meine tolle und langweilige Leidenschaft!‘ sagte sich die Campobasso. Und in einer unerklärlichen, aus Haß und Bewunderung gemischten Verzückung fiel sie der Gräfin um den Hals. Sie sah nur die Reize ihrer Kusine; in der Nähe wie aus der Entfernung erschienen sie ihr gleich anbetungswürdig. Sie verglich ihr Haar mit dem eignen, ihre Augen, ihren Teint. Nach dieser seltsamen Prüfung faßte sie Ekel und Abscheu vor sich selbst. Alles an ihrer Rivalin schien ihr anbetungswürdig und ihr überlegen zu sein.

      Unbeweglich und düster saß die Campobasso gleich einer Basaltstatue inmitten dieser gestikulierenden und lärmenden Menge. Man kam, man ging; all dieser Lärm störte und verletzte sie. Aber wie geschah ihr, als sie plötzlich Herrn von Sénecé melden hörte! Sie waren zu Anfang ihres Verhältnisses übereingekommen, daß er in Gesellschaft sehr wenig mit ihr sprechen solle, so wie es einem ausländischen Diplomaten zukommt, der nicht öfter als zwei- oder dreimal im Monat die Nichte des Souveräns trifft, bei dem er beglaubigt ist.

      Sénecé begrüßte sie mit gewohntem Respekt und mit Ernst; dann nahm er, wieder zu der Orsini zurückgekehrt, den heiteren, fast intimen Ton auf, den man im Gespräch mit einer geistvollen Frau anschlägt, von der man gern und fast täglich empfangen wird. Die Campobasso war niedergeschmettert: ‚Die Gräfin zeigt mir, wie ich hätte sein sollen‘, sagte sie sich. ‚Ich sehe, wie man sein muß, und trotzdem werde ich es niemals können!‘ Sie sank auf die letzte Stufe des Unglücks, in die ein menschliches Geschöpf geworfen werden kann; sie war fast entschlossen, Gift zu nehmen. Alle Wonnen aus Sénecés Liebe kamen dem Übermaß des Schmerzes 18nicht gleich, der sie während einer langen Nacht verzehrte. Man könnte sagen, die römischen Frauen haben eine Fähigkeit und Energie zum Leiden, die andern Frauen unbekannt bleiben.

      Andern Tages kam Sénecé wieder vorbei und sah fortweisende Zeichen. Er ging vergnügt weiter, trotzdem war er leicht verletzt. ‚Also hat sie mir neulich meinen Abschied gegeben? Ich muß sie weinen sehen‘, sagte sich seine Eitelkeit. Er empfand eine leichte Spur von Liebe, da er eine so schöne Frau und Nichte des Papstes für immer verlieren sollte. Er kroch durch den unsauberen Kellergang, der ihm solchen Widerwillen verursachte, und drang gewaltsam in den großen Saal des Erdgeschosses, wo die Fürstin ihn zu empfangen pflegte.

      „Sie wagen es hierher zu kommen?“ rief die Fürstin erstaunt.

      ‚Das Erstaunen ist nicht aufrichtig‘, dachte der junge Franzose. ‚Sie hält sich in diesem Raum nur auf, wenn sie mich erwartet.‘

      Der Chevalier ergriff ihre Hand; sie zitterte. In ihre Augen kamen Tränen; sie erschien dem Chevalier so schön, daß er einen Augenblick lang an Liebe dachte. Und sie vergaß alle Eide, die sie während zweier Tage dem Glauben geschworen hatte, warf sich in seine Arme. ‚Und dieses Glück soll künftig die Orsini genießen!‘… Sénecé, der wie gewöhnlich die römische Seele falsch verstand, glaubte, sie wolle sich in guter Freundschaft von ihm trennen und wünsche den Besuch in guter Form. ‚Es ziemt sich nicht für mich als Attaché der königlichen Gesandtschaft, die Nichte des Souveräns, bei dem ich akkreditiert bin, zur Todfeindin, die sie sein würde, zu haben.‘ Sehr stolz über diese glückliche Lösung begann Sénecé, ihr vernünftig zuzureden. „Sie würden in 19angenehmster Harmonie leben; warum sollten sie nicht sehr glücklich sein? Was könnte man ihm denn auch vorwerfen? Die Liebe würde einer guten und zärtlichen Freundschaft Platz machen. Er bitte inständig um das Vorrecht, von Zeit zu Zeit an diesen Ort hier zurückkommen zu dürfen; ihre Beziehungen würden immer zarte bleiben…“ Zuerst verstand ihn die Fürstin nicht. Als sie ihn endlich mit Entsetzen begriff, blieb sie unbeweglich stehen, mit starrem Blick. Da unterbrach sie ihn bei der letzten Wendung von den zarten Beziehungen mit einer Stimme, die aus der Tiefe der Brust zu kommen schien, sagte langsam Wort für Wort:

      „Das heißt, Sie finden mich hübsch genug, um mich als Dirne in Ihrem Dienst zu behalten?“

      „Aber teure und liebe Freundin, ist Ihre Eigenliebe denn verletzt?“ antwortete Sénecé, jetzt wirklich erstaunt. „Wie kann es Ihnen in den Sinn kommen, sich zu beklagen? Glücklicherweise ist unsere Beziehung niemals von irgend jemand geargwöhnt worden. Ich bin ein Ehrenmann; ich gebe Ihnen von neuem mein Wort, nie soll ein lebendes Wesen das Glück, das ich genossen habe, erfahren.“

      „Nicht einmal die Orsini?“ fragte sie in einem so kühlen Ton, daß er den Chevalier wieder irreführte.

      „Habe ich Ihnen jemals von den Frauen erzählt,“ meinte der Chevalier naiv, „die ich, bevor ich Ihr Sklave wurde, geliebt habe?“

      „Trotz meiner Achtung vor Ihrem Ehrenwort will ich doch diese Gefahr nicht auf mich nehmen“, sagte die Fürstin in einer entschiedenen Art, welche nun den jungen Franzosen doch etwas in Erstaunen setzte. „Adieu, Chevalier…“ Und als er ein wenig unsicher ging: „Komm, küsse mich!“

      20Sie war sichtlich gerührt. Dann wiederholte sie in einem bestimmten Ton: „Adieu Chevalier…“

      Die Fürstin ließ Ferraterra holen. „Ich will mich rächen“, sagte sie ihm. Der Prälat war entzückt. ‚Sie wird sich kompromittieren; sie gehört mir für immer.‘

      Zwei Tage später ging Sénecé, weil die Hitze drückend war, gegen Mitternacht auf den Corso, um Luft zu schöpfen. Ganz Rom war auf der Straße. Als er seinen Wagen wieder besteigen wollte, konnte ihm sein Bedienter kaum antworten: er war betrunken. Der Kutscher war verschwunden; der Bediente meldete stammelnd, der Kutscher sei mit einem Feind in Streit geraten.

      „Ah, mein Kutscher hat Feinde!“ sagte Sénecé lachend.

      Beim Heimweg merkte er, kaum zwei oder drei Straßen über den Corso hinaus, daß er verfolgt werde. Vier oder fünf Männer hielten an, wenn er stehen blieb, schritten weiter, wenn er weiterging. ‚Ich könnte einen Bogen machen und durch eine andre Straße wieder auf den Corso kommen‘, dachte Sénecé. ‚Aber dieses Gesindel lohnt nicht die Mühe, und ich bin gut bewaffnet.‘ Er nahm seinen blanken Dolch in die Hand.

      In solchen Gedanken durcheilte Sénecé zwei drei abgelegene und immer einsamere Gassen. Er hörte die Männer ihre Schritte beschleunigen. In diesem Augenblick sah er auf und erblickte