Nach einer halben Stunde hatte Rick den Grund gefunden. Nach einer intensiven Suche entdeckte er ein verwittertes Grab und rief Richard Lauderdale zu sich.
Der junge Mann riß entgeistert die Augen auf.
Auf dem Grabstein stand: Lady Jocelyne !
*
»Das Grab jener Frau, die Angelina Egmonton ermordet hat«, sagte Rick Masters leise. »Die den Chauffeur Ihres Vaters getötet hat und diesen Kunsthändler. Der wahre Mörder hat ihren Geist aus seiner Ruhe gerissen und zu den Taten gezwungen.«
Richard Lauderdale blickte wie versteinert auf das Grab. »Hilft es Ihnen, daß Sie die letzte Ruhestätte der Mörderin entdeckt haben?« fragte er tonlos.
Rick zuckte die Schultern. »Ich könnte Ihnen eine Menge erzählen und auch Hoffnungen machen, aber ich halte es für besser, wenn ich die Wahrheit sage. Das Grab eines Geistes ist meistens ein wichtiger Anhaltspunkt, aber in diesem Fall wird es nicht viel helfen. Es bedeutet nur, daß auf diesem Friedhof der Geist Lady Jocelynes besonders mächtig ist. Sie können von Glück sagen, daß Sie noch leben. Um aber den Anschlägen ein Ende zu bereiten, müssen wir den Mann im Hintergrund finden.«
»Oder die Frau«, ergänzte Richard Lauderdale.
»Oder die Frau«, bestätigte Rick Masters. »Wem würden Sie eine solche Mordserie zutrauen? Wer könnte über die nötigen Kenntnisse verfügen?«
Wieder erhielt Rick nur ein Achselzucken als Antwort. Es war nicht sehr ermutigend. Niemand konnte ihm weiterhelfen, so daß sich schon eines abzeichnete. Wenn sich der Mörder nicht selbst durch einen kleinen Fehler verriet, würde er unentdeckt bleiben.
»Gehen wir«, sagte Rick. Er hätte das Grab durch seine Silberkugel unter den Einfluß der Weißen Magie stellen könen. Das hätte allerdings nichts gebracht. Es hätte nur bedeutet, daß Lady Jocelynes Geist nicht mehr in das Grab zurückkehren konnte. Der Mörder hatte jedoch gar nicht die Absicht, den Geist zurückzuschicken. Die bleiche Lady aus dem Bild sollte weiter morden und Tod und Schrecken verbreiten. Rick hätte dem Mörder praktisch noch in die Hand gearbeitet.
»Fahren Sie nach Hause«, riet Rick, als sie Richards Wagen erreichten. »Ich werde Sie begleiten. Dann kann Ihnen nichts passieren.«
»Ich kann auf mich selbst aufpassen«, meinte Richard Lauderdale trotzig.
»Das habe ich vorhin gesehen«, erwiderte Rick grinsend. »Stellen Sie sich nicht so an, ich bin nicht Ihr Vater. Ich will Ihnen nicht meinen Willen aufzwingen, sondern Ihnen helfen. Klar?«
Richard wollte aufbrausen, überlegte es sich jedoch anders und nickte lächelnd. »In Ordnung, Mr. Masters.«
Er nahm den Geisterdetektiv bis zu seinem Wagen mit. Rick stieg in den Morgan um, und die Rückfahrt nach London verlief ohne Zwischenfall.
Rick vergewisserte sich noch, daß im Herrenhaus alles in Ordnung war und daß der Yarddetektiv seinen Posten bezogen hatte. Dann erst fuhr er nach Hause.
»Du hast es gut«, sagte er während der Heimfahrt neiderfüllt zu seinem Hund, der leise schnarchend auf dem Nebensitz lag. »Wir sollten einmal die Rollen tauschen.«
Da dies zu Ricks Bedauern nicht möglich war, mußte er weiterhin als Geisterdetektiv arbeiten, während sich sein Hund ausschlafen konnte.
Als Rick endlich in seinem Bett lag – Dracula übrigens auch –, kam ihm plötzlich eine Idee. Er setzte sich kerzengerade auf und starrte angestrengt in die Dunkelheit, als könne er da die Antwort auf seine Fragen finden.
»Das mache ich«, murmelte er. Mittlerweile war es schon zu spät. Rick brauchte dringend seinen Schlaf. Aber er war fest entschlossen, ein Experiment durchzuführen.
Er hätte es zur Not sofort tun können, doch dagegen sprach eine vage Hoffnung. Möglicherweise hatte Rick während des Schlafs wieder eine Vision. Das wäre die beste Gelegenheit gewesen, um das Experiment durchzuführen. Bekam er keine Vision, wollte der Geisterdetektiv sofort am nächsten Vormittag versuchen, ob sich seine Idee verwirklichen ließ.
Rick konnte trotz seiner Erschöpfung lange nicht einschlafen, weil er gespannt auf die Vision der Lady Jocelyne wartete. Erst als sie sich nicht einstellte, dämmerte er eine Weile dahin und schlief endlich tief und fest ein.
*
Bevor er den Tag begann – es war Sonntag –, sprang Rick Masters unter die Dusche. Dracula stürzte sich inzwischen auf sein Futter, das Rick ihm vorher bereitet hatte.
Beide waren vollauf beschäftigt, als es an der Tür klingelte. Rick stellte, Verwünschungen murmelnd, das Wasser ab, schlang sich ein Handtuch um die Hüften und tappte triefend zur Tür.
Hazel stand lächelnd im Treppenhaus. Ihr Lächeln verbreiterte sich, als sie Rick vor sich sah.
»Ich bin wohl gerade im richtigen Augenblick gekommen«, meinte sie gut gelaunt und betrat das Wohnbüro. »Wenn du Gras säst, hast du bald einen herrlichen Rasen in der Diele. Genügend begossen ist der Teppich bereits.« Dabei deutete sie auf die Pfütze, die sich um Ricks Füße gebildet hatte.
»Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen«, zitierte Rick und tappte unter die Dusche zurück. »Was treibt dich so früh am Morgen zu mir?« rief er unter den prasselnden und zischenden Wasserstrahlen hervor.
»Ich möchte mit dir in aller Ruhe ein sonntägliches Frühstück genießen!« rief Hazel aus der Küche zurück. »Ich sehe dich sonst gar nicht mehr.«
Daraufhin verschob Rick das Experiment. Hazel hatte recht. Er konnte nicht nur seinem Fall nachjagen, sondern mußte auch einmal etwas Anständiges essen. Da er selbst damit beschäftigt war, sich in einen Menschen zu verwandeln, übernahm Hazel die Zubereitung des Frühstücks. Als Rick aus dem Badezimmer kam, war der Tisch bereits gedeckt.
»Sehr schön«, lobte er, obwohl er mit seinen Gedanken schon bei seinem Experiment war.
Hazel merkte es, sagte jedoch nichts. Sie kannte ihren Freund. Vor ihr konnte er nichts verbergen.
Erst als sie sich nach dem Frühstück die erste Zigarette ansteckten, kam sie auf das brisante Thema zu sprechen.
Rick erzählte ihr, wie Richard Lauderdale auf den Friedhof gelockt und beinahe ermordet worden wäre.
»Ich kann aber nicht tatenlos herumsitzen und darauf warten, daß wieder etwas passiert«, meinte Rick abschließend. »Darum habe ich mir etwas einfallen lassen. Ich werde Lady Jocelynes Geist beschwören. Wenn es so gelingt, wie ich mir das vorstelle, wird er erscheinen und mir verraten, welcher Mensch ihn zu diesen Mordtaten zwingt.«
Hazel bemühte sich, ihr Erschrecken zu verbergen. Es gelang ihr nicht. »Das ist sehr gefährlich«, meinte sie beherrscht.
Rick nickte. Es hatte keinen Sinn, Hazel etwas vorzumachen. Dazu kannte sie sich in Dingen der Magie zu gut aus.
»Es ist gefährlich, aber es ist die einzige Möglichkeit, an den Mörder heranzukommen. Darling, ich werde vorsichtig sein. Es ist immer gefährlich, wenn man sich mit Geistern und Dämonen einläßt. Man weiß nie, wie es endet.«
»Wo wirst du es machen?« fragte sie und blickte starr in ihre Teetasse.
»Auf dem Pier, auf dem Angelina Egmonton ermordet wurde.« Rick lehnte sich zurück und holte tief Luft. »Dort sind die Spuren des Geistes sehr frisch.«
»Auf dem Friedhof von Malden sind sie noch frischer«, erinnerte ihn Hazel. »Außerdem hat Lady Jocelynes Geist dort seinen Ursprung.«
»Schon richtig«, räumte Rick ein. »Auf dem Friedhof ist der Geist aber mächtiger als auf dem Pier. Ich möchte mein Schicksal nicht unbedingt herausfordern.«
»Ich komme mit«, sprach Hazel aus, was Rick bereits erwartet hatte.
Normalerweise fügte er sich den Wünschen seiner Freundin, weil er genau wußte, daß sie sich um ihn sorgte und ihm notfalls sogar helfen konnte.