Schon wollte Rick aufgeben, als ihm einfiel, wie gut vorhin der alte Foliant gegen den Geist gewirkt hatte. Warum sollte er nicht noch einmal zu der Kraft der Weißen Magie Zuflucht nehmen, die in diesem Buch gespeichert war?
Probeweise legte der Geisterdetektiv ein Foto des schwarzen Lieferwagens auf den Folianten.
Die Augen gingen Rick fast über, als er die unglaubliche Veränderung miterlebte. Das Kennzeichen des Wagens, zuerst noch deutlich zu sehen, verschwamm. Die Ziffern und Buchstaben zerflossen und formten sich neu. Nun zeigte sich ein völlig neues Kennzeichen.
Rick fieberte vor Aufregung, als er das Foto von dem Folianten zog und es neben sich auf die Couch legte. Gespannt wartete er, ob dieses Phänomen auch in der umgekehrten Richtung auftrat.
Es trat auf! Wieder flimmerte das Nummernschild und gleich darauf war Ricks eigenes Kennzeichen zu sehen.
»Hazel!« schrie der Geisterdetektiv.
Hazel Kent und Harold F. Lauderdale stürmten in den Wohnraum. Sie glaubten, es wäre etwas passiert, und atmeten auf, als sie erkannten, daß Rick offenbar einen Erfolg erzielt hatte.
»Genau hersehen!« Rick legte das Foto auf den Folianten, wartete die Verwandlung ab und nahm es wieder weg.
Ehe Hazel und Lauderdale ihre Überraschung äußern konnten, riß Rick schon das Telefon zu sich heran und wählte hastig die Nummer von Scotland Yard. Er ließ sich mit Chefinspektor Hempshaw verbinden und gab das neue Kennzeichen durch. Während sie auf die Antwort des Computers im Yard warteten, erklärte Rick, wie es seiner Meinung nach zu diesem Phänomen kam.
»Der Mörder hat bei seinen früheren Unternehmungen das Nummernschild mit Lehm verschmiert. Ein altbewährtes Mittel. Bei dem Mord an dem Mannequin jedoch hat er magische Kräfte zur Tarnung eingesetzt. Das ist ihm zum Verhängnis geworden. Zwar hat der Fotoapparat das auf magische Weise sichtbare Kennzeichen festgehalten – nämlich mein eigenes –, aber der Foliant hat das ursprüngliche Schild enthüllt.«
»Moment, Rick!« rief Chefinspektor Hempshaw. »Hier kommt die Antwort.«
Über den angeschlossenen Telefonlautsprecher konnten Hazel und Lauderdale direkt die Auskunft hören.
»Besitzer ist… das Auktionshaus, in dem das Gemälde versteigert wurde.« Hempshaw blieb vor Überraschung für einen Moment die Sprache weg. »Der Eigentümer heißt Frank Ellmont.«
*
Sie hatten den Auktionator nicht in seiner Wohnung in der City angetroffen. Der Chefinspektor hatte rings um das Haus Posten aufziehen lassen, die sofort melden sollten, falls Frank Ellmont auftauchte.
Rick Masters und Hazel fuhren mit dem Morgan zu dem Auktionshaus, Hempshaw nahm Lauderdale in seinem Dienstwagen mit. Außerdem hatten sie genügend Polizisten angefordert, die das Gebäude umstellen sollten.
»Hoffentlich ist er da«, murmelte Rick, als sie vor dem Auktionshaus stoppten und ausstiegen. »Ich möchte dem Spuk ein Ende bereiten.«
Hazel deutete auf Dracula, der sich soeben winselnd unter dem Sitz verkroch. »Er ist da«, behauptete sie. »Der Hund fühlt es.«
»Chefinspektor! Sir!« Ein Polizist kam aufgeregt zu Hempshaw gelaufen. »Wir haben den schwarzen Lieferwagen gefunden. Er steht hinter dem Haus. Wir haben ihn fahruntüchtig gemacht.«
»Sehr gut.« Hempshaw nickte Rick Masters zu. »Gehen wir!«
Der Haupteingang war unverschlossen, obwohl am Sonntag keine Versteigerungen stattfanden. Der Geruch von alten Möbeln und Stoffen hing in der Luft. Es roch nach Staub.
»Wie in einem Theater«, meinte Hazel, die sich dicht neben Rick hielt. Dracula hatten sie im Wagen zurückgelassen. Sie wollten ihn nicht den bösen Einflüssen aussetzen.
»Der Auktionssaal.« Unwillkürlich flüsterte Rick. »Sehen wir dort zuerst nach.«
Er schlich die Treppe hinauf. Die anderen folgten ihm. In der Rechten hielt er die Pistole, in der Linken die Silberkugel. Er war auf alles vorbereitet.
Die Flügeltür des Auktionssaales war geschlossen. Rick öffnete sie mit einem Fußtritt.
Kaum klappten die Flügel auseinander, als Rick wußte, daß er den Mörder gefunden hatte. Frank Ellmont stand hinter dem Pult, von dem aus er die Versteigerungen leitete. Davor lehnte das magische Gemälde.
Rick und seine Begleiter blieben stehen. Ellmont grinste ihnen unbekümmert entgegen. Er schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein.
»Sie haben es also doch herausgefunden«, sagte er völlig ruhig. »Haben Sie vor Ihrem Ende noch Fragen?«
Rick hörte die Drohung in den Worten des Mörders, kümmerte sich jedoch nicht darum. »Sie sind Frank Fennimore, der Vetter Mr. Lauderdales, der nach Australien gegangen ist?«
Ellmont zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Sogar das wissen Sie, Mr. Masters? Allerdings, mein richtiger Name ist Fennimore. Und nichts wird mich daran hindern, meinen Plan auszuführen. Ich werde der Alleinerbe des Lauderdale-Vermögens sein.«
Rick Masters schüttelte den Kopf. »Sie werden diesen Saal als Gefangener verlassen, Fennimore! Oder glauben Sie, daß Lady Jocelynes Geist Ihnen noch einmal helfen kann? Sie ist für lange Zeit gebannt.«
Fennimore-Ellmont nickte. »Ich weiß. Aber Sie kennen noch nicht alle meine Fähigkeiten.«
Er streckte dem Gemälde die Hände entgegen. Lady Jocelyne war plötzlich nicht mehr zu sehen. Die Leinwand färbte sich pechschwarz.
Entsetzt erkannte Rick Masters die magische Falle. Sie alle fühlten den ungeheuren Sog, der von dem Bild ausging. Das war keine schwarze Farbe, sondern ein Tor zum Jenseits, der Zugang zu einer anderen Dimension.
Der Magier wollte sie alle in das Reich der Geister und Dämonen verbannen.
Rick Masters konnte sich kaum auf den Beinen halten. Gewaltige Kräfte zogen und zerrten an ihm. Von dem Bild streckten sich unheimliche schwarze Schleier nach ihm und seinen Begleitern aus.
»Rick, ich kann mich nicht halten!« schrie Hazel entsetzt auf.
»Klammere dich an mir fest!« rief er zurück und umschloß seine Silberkugel noch fester. Sie gab ihm die Kraft zum Widerstand. »Kenneth, Sie auch!«
Hazel und Chefinspektor Hempshaw krallten sich an ihm fest. Ihr Gewicht zerrte zusätzlich an Rick. Es wurde immer gefährlicher.
In seiner Not dachte Rick intensiv an Lady Jocelyne. Sie hatte ihm schon einmal gegen den Mann geholfen, der sie in ihrer Ruhe gestört hatte.
Sofort fühlte er eine zusätzliche Kraft, die ihn unterstützte und vor dem Sturz ins Nichts bewahrte.
Das anfänglich triumphierende Grinsen des Mörders sank in sich zusammen. Wut verzerrte seine Züge.
»Das werdet ihr mir büßen!« schrie er auf, sprang von seinem Pult herunter und wollte sich auf eine Hellebarde stürzen, die an der Wand lehnte und offenbar zur Versteigerung bestimmt war.
Dabei paßte er nicht auf und geriet in den Bereich der schwarzen Schlieren, die sich nach einem Opfer suchend im Raum ausbreiteten.
Er schrie gellend auf, als ihn die Nebel aus dem Nichts umschlangen und wie die Fangarme eines riesigen Polypen zu dem magischen Bild zerrten. Er krallte sich noch an dem Pult und dem Bilderrahmen fest, doch es half nichts.
Rick konnte ihn nicht retten. Er mußte selbst gegen den Sog ankämpfen.
Mit einem letzten Schrei, der in der Unendlichkeit verhallte, stürzte Frank Ellmont-Fennimore in eine andere Dimension und verschwand in der undurchdringlichen Schwärze. Der Bilderrahmen knisterte und knirschte, barst und zog sich zusammen. Die einzelnen Teile verschwanden ebenfalls in dem Loch zum Jenseits.
Kaum hatte