»Doc!« zischte But. »Sind Sie des Teufels! Er kann das vielleicht noch riskieren, aber wir doch nicht!«
Der Arzt blickte sich um. »Was willst du, But? Soll ich hier stehenbleiben und warten, bis sie ihn fertiggemacht haben? Ich bin neunundsiebzig Jahre alt, Junge. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Aber wenn der Sheriff da drinnen fallen soll, dann werde ich dafür sorgen, daß sein Mörder keine Minute länger lebt!«
*
Morgan war in den Saloon getreten.
Sofort brachen alle Gespräche ab. Schwer lastete die Tabakswolke zwischen den drei großen Kerosinlampen.
Die Männer aus der Stadt, die sich wieder in ihrer Schenke eingefunden hatten, schämten sich plötzlich, als sie den Sheriff da an der Tür stehen sahen. Einige legten ihre Zeche auf den Tisch und gingen hinaus.
Vorn an der Theke lehnten Hunter, Saunders und die anderen. Morgan suchte nur Break selbst und den Zigeuner.
Dann entdeckte er den Gelben; er stand in dem Perlschnürenvorhang und schoß einen triumphierenden Blick zur Tür.
Augenblicklich bildete sich eine breite Gasse zum Eingang. Morgan ging langsam vorwärts und blieb in der Mitte des Raumes stehen.
Der Bandenführer senkte den Kopf etwas und sah sich um. Morgan konnte nicht erkennen, mit wem er einen Blick wechselte.
»Was wollen Sie hier?« fragte Break endlich frostig.
»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich wegen Turner mit Ihnen reden müßte, Break!«
»Und!«
»Jetzt werde ich das tun! Ich habe entdeckt, daß…«
Dann geschah es. Blitzschnell und mit solchem Furioso, daß es kaum nachzuerzählen ist.
Der Schuß röhrte durch den Schankraum.
Schwer in den Rücken getroffen, wirbelte Morgan herum und schoß nur einen Sekundenbruchteil später.
Der vierfache Mörder Zoltan Griffith, der im Hinterhalt gestanden hatte, fing die Kugel direkt mit der Brust auf. Er stieß einen gurgelnden Schrei aus und taumelte ein paar Schritte nach vorn, um dann auf die schmutzigen Schankhausdielen zu stürzen.
Morgan kniete am Boden. Dann kippte er langsam zur Seite.
Doc Collins stürzte herein, gefolgt von den beiden Flanagans. Die drei schleppten den Sheriff durch die schweigende Gasse der Männer hinaus.
Niemand folgte ihnen.
Der alte Arzt keuchte: »Rasch zu mir mit ihm!«
»Er ist tot!« ächzte Billy Flanagan.
»Zu mir!« beharrte der Arzt.
Im Eilschritt schleppten sie den schweren Körper des Sheriffs zu dem kleinen Haus des Arztes. Hastig wurde er auf den Behandlungstisch gebettet.
Collins hatte ihm die Kleider geöffnet und betrachtete die Rückenwunde. Sein Gesicht hatte sich in bedenkliche Falten verzogen.
Die beiden Flanagans sahen gebannt auf seine Lippen. »He, Doc!« platzte der Jüngere schließlich los, »wie steht’s?«
»Schwer zu sagen. Das Ding ist ihm hinten links in den Körper gedrungen.«
Die beiden Flanagas wußten, was das bedeutete. Wenn der Mann auch noch nicht tot war, er würde nicht mehr lange leben.
»Je nachdem, wie nahe die Kugel dem Herzen sitzt«, sagte der alte Arzt heiser in die Stille.
»Hat er also keine Chance mehr?« fragte But mit bebendem Unterkiefer.
Doc Collins zog die Schultern hoch. »Das kann ich dir nicht sagen, Junge. Ich kann den Schußkanal nur ahnen, aber nicht sehen. Es besteht eine ganz winzige Möglickeit, daß das Geschoß keine lebenswichtigen Adern durchschlagen hat. Aber auch dann bleibt der Sheriff in Lebensgefahr. Ich jedenfalls habe noch keinen Mann mit einer solchen Wunde in derart gefährlicher Herznähe wieder aufstehen sehen. Und ich war fünf Jahre in dem verdammten Krieg…«
But Flanagan kratzte sich den Schädel. »Doc, und wenn er auch nur die winzigste Chance hat, dann müssen wir ihn retten. Retten, indem wir ihn hier wegbringen.«
»Wegbringen?« Der Arzt blinzelte über den Rand seiner goldgeränderten Brille. »Und wohin, he?«
»Auf die Liston Ranch hinaus. Wo unser Vater ist. Da ist er sicher.«
Collins blickte nachdenklich auf den Verletzten, dem er einen festen Verband angelegt hatte, nachdem er die Wunde gereinigt hatte.
»Ob er den Transport aushält?« wollte Billy besorgt wissen.
Collins mußte erneut die Schultern hochziehen. »Du fragst zuviel, Bill. Wenn er diese Wunde übersteht, übersteht er auch den Transport. Ich habe gehört, daß die Earps drei Leben haben sollen…«
»Vorwärts!« sagte But entschlossen zu seinem Bruder.
Ein paar Minuten später rollte der leichte Buggy des Doktors nach Südosten aus der Stadt.
Die beiden Flanagans hatten den vielleicht tödlich verletzten Sheriff aus der Stadt gebracht.
Die Fahrt hinaus auf die ferne Ranch war mehr als eine Strapaze für den Verletzten.
Morgan kam trotz des starken Betäubungsmittels, das der Arzt ihm eingeflößt hatte, auf dem holperigen Weg zu sich.
Aus glasigen Augen starrte der Unglückliche Billy Flanagan an, der ihn fest an sich gepreßt hielt. Er wollte die Lippen öffnen, vermochte es aber nicht.
Bill hielt ihm den Mund zu. »Kein Wort, Sheriff. Sie sind verwundet. Wir bringen Sie aus der Stadt!«
Bald lagen die letzten Häuser der düsteren Orange City hinter ihnen.
Morgan fiel von einer Ohnmacht in die andere. Aber immer wieder riß ihn sein Lebenswille in die Wirklichkeit zurück. Er mußte trotz der schweren Tropfen, die Collins ihm gegeben hatte, fürchterliche Schmerzen ausstehen.
Aber kein Laut kam über seine Lippen.
Als sie endlich nach schier endloser Fahrt die Ranch erreicht hatten, atmete But, der die beiden Füchse lenkte, auf.
»Wir haben es gleich geschafft, Bill. He, was ist los? Wie sieht’s aus?«
»Weiß nicht. Er rührt sich nicht.«
Bill riß an den Zügeln. »Vorwärts, heia! Vorwärts, ihr lahmen Schinder! Das sage ich dir, Bill, wenn er tot ist, reite ich zurück und knalle Gordon Break nieder!«
*
Die Herrschaft Gordon Breaks über Orange City lebte wieder auf; und sie wurde gnadenloser als zuvor.
Der neue Sheriff war für die Bürger tot, und Doc Collins hatte am anderen Tag einen mit Holz und Steinen beschwerten Sarg draußen auf dem Graveyard einkarren lassen.
So schnell der Stern des Morgan Earp über Orange City aufgegangen war, so schnell war er auch verloschen. Die Menschen dachten schon nach wenigen Tagen kaum noch an ihn.
Break führte ein rigoroses Regiment. Er hatte als erstes den Major abgesetzt und dafür gesorgt, daß sein Paladin Jimmy Hunter diesen Posten bekam.
An dem grauen Morgen, als der Sarg, in dem die Bürger ihren Sheriff glaubten, zum Graveyard hinausbegleitet wurde, stand der kleine schmächtige Joe Bliff vor seinem Post Office und sah dem einzigen Mann nach, der dem Sarg folgte, dem alten Dr. Collins.
Nebenan vor dem Saloon lungerten wieder Breaks Leute herum. Sie redeten laut, und der gnomenhafte Seld, der natürlich sehr rasch aus dem Jail geholt worden war, lachte laut und schrill, als sich der Zug vorüberbewegte.
Da kniff der Postmaster beide Augen zusammen und blinzelte auf seine staubigen Schuhe hinunter. Der kleine Joe Bliff hatte plötzlich eine Idee…
Elf Tage waren ins Land gegangen. Elf Tage,