Mit raschen Schritten kam er auf den Marshal zu und bot ihm die Hand. »Ich bin Doc Collins.«
Wyatt nahm die faltige Hand des Alten und drückte sie. »Und Sie sollen fast achtzig Jahre sein? Ich würde Ihnen vielleicht zwei- oder dreiundsechzig geben.«
Der Arzt lächelte, und in sein Gesicht trat ein wehmütiger Zug.
»Ach, das sind ja fast zwanzig Jahre her. Damals fing dieser verdammte Krieg an, und ich war noch ein Bursche, der Bäume ausreißen konnte. Aber Sie können sich auch jetzt noch auf mich verlassen, Marshal. Geben Sie mir ein anständiges Gewehr, und Sie werden mich an Ihrer Seite finden, wenn es losgeht. – Wann geht’s übrigens los?«
Der Missourier lachte leise in sich hinein. Der alte Haudegen bereitete ihm sichtlichen Spaß.
»Das werden Sie schon noch früh genug erfahren. Ich muß jetzt vor allem mit dem Major sprechen.«
Collins winkte ab. »Der ist abgesetzt worden.«
»Von Break etwa?«
»Yeah.«
Wyatt rieb sich das Kinn. »Well, dann muß das zu allererst wieder in Ordnung gebracht werden. Wo wohnt der Major?«
»Der alte?«
»Einen anderen gibt es für mich nicht.«
»Den neuen könnten Sie wahrscheinlich jetzt auch gar nicht sprechen. Ich fürchte, daß er noch vernehmungsunfähig ist. Er wurde vorhin vorm Utah Saloon derart verprügelt – ich möchte bloß wissen, wie das passiert ist. Die Brüder halten sonst zusammen wie Pech und Schwefel. Dieser Hunter kam vor einer Viertelstunde zu mir. Er hatte direkt eine Art Maulsperre.«
»War es ein blonder Bursche?«
»Yeah.« Dem Arzt dämmerte es plötzlich. »He, haben Sie sich ihm etwa bereits vorgestellt?«
»Scheint so. Und jetzt sagen Sie mir, wo ich den Major finde.«
Der Doc berichtete Wyatt in Kürze, was sich in der Stadt ereignet hatte, und beschrieb ihm dann Jeffersons Haus. »Es ist ja fast gleich nebenan. Sie können durch den Hof sogar ungesehen hinkommen.«
»Das fehlte noch. Thanks, Doc!« Der Missourier schob seine beiden Revolver weit nach vorn über die Oberschenkel und ging hinaus.
Collins schickte ihm einen tiefen Seufzer nach. Dann flüsterte er. »Hell and devils, mit diesem Burschen stampfe ich alter Kerl noch durch die Höl-
le!«
Er ging zum Gewehrschrank und musterte die drei Winchesterbüchsen, die da nebeneinander standen. Dann nahm er eine an sich, lud sie durch und ging auf den Vorbau hinaus.
Es war ganz sicher keine Ehre für Orange City, daß ein neunundsiebzigjähriger Mann der einzige war, der wirklich Mut genug besaß, gegen die Verbrecher anzutreten.
Yeah, da waren noch die beiden Flanagans. Sie hatten sich ihre Schürzen abgebunden, als Bliff ihnen die Neuigkeit mitgeteilt hatte, und waren dann ins Wohnhaus gegangen, wo sie ihre Waffengurte hatten.
But stand auf der Türschwelle. »Was jetzt?«
Billy wischte sich die Nase. »Wir müssen doch zu ihm.«
But nickte.
Die beiden Burschen gingen die Gasse hinauf zur Mainstreet. Sie kamen gerade in dem Augenblick an, als ein hochgewachsener Mann die Gassenmündung passierte und den Vorbau des Utah Saloons bestieg.
Verblüfft blieben die beiden stehen.
»Das war doch… Morgan«, entfuhr es Billy.
»Ja, ich hätte auch darauf geschworen«, antwortete sein Bruder. »Wenn ich nicht genau wüßte, daß das ausgeschlossen ist, weil er drüben auf der Ranch totenblaß in der kleinen Kammer liegt, dann…«
Der Marshal hatte die Pendeltüren der Schenke aufgestoßen und blieb dann rechts neben der Tür stehen.
Jim Hunter hockte an einem der leeren Tische und starrte ihn aus glasigen, blutunterlaufenen Augen an.
Wyatt ließ den Blick durch den Schankraum schweifen und heftete ihn dann auf Hunter. »He, du holst mir den Major her, Boy!«
Hunters Gesicht war wie aus Stein gehauen. Fassungslos hockte er da und war keines Wortes fähig.
Zwischen den schwarzen Brauen des Missouriers stand plötzlich eine steile Falte. »Bist du taub, Hunter? Ich habe dir gesagt, daß du mir den Major holen sollst!«
Es war ausgerechnet der hasenfüßige Seld, der sich zur Antwort meldete. »Er braucht ihn nicht zu holen, Sheriff, weil er selbst der neue Major ist.«
Da machte der Marshal drei schwere dröhnende Schritte durch den Raum auf Hunter zu. »Ich sage es dir nicht noch einmal, Junge!«
Jim Break war drüben in der Tür zum Nebenraum erschienen und hatte den Perlschnürenvorhang auseinandergeschoben.
»Das geht klar, Sheriff. Jim, du hast gehört, was er gesagt hat!«
Langsam setzte sich der hartgesichtige Bandit, dem der Faustschlag deutlich anzusehen war, in Bewegung und verließ die Schenke.
In vier Minuten war er mit Jefferson zurück.
Wyatt blickte den Barbier an. »Major, wer hat den Mann aus dem Jail gelassen, der da eingesperrt war?«
Jefferson schluckte. Und Ingo Seld wurde aschfahl.
»Wer?« krächzte der Barbier, der niemals unglücklicher über seinen Posten gewesen sein mochte als in dieser Minute.
Break kam langsam bis an die Theke. »Ich habe den Mann herausgeholt.«
Wyatt sah Break nicht an. »Major, ich habe Sie etwas gefragt!«
Jefferson schluckte wieder. »Mister… Break… Er sagte, es ja schon, Sheriff…«, stammelte er.
Da wandte Wyatt sich zur Seite. »Ich habe wohl nicht richtig gehört, Break. Sie waren im Jail und haben einen Gefangenen rausgeholt?«
Der Riese hätte sich ohrfeigen können, aber es war nicht zu ändern: In seiner Kehle saß wieder dieser verdammte Kloß.
Wyatt stand hochaufgerichtet und unbeweglich da.
»Über diese Geschichte sprechen wir später, Break. Und der Gefangene ist in drei Minuten drüben im Jail, sonst hole ich ihn!«
Er wandte sich um, gab dem Major einen Wink und ging hinaus.
Draußen stand Jim Hunter. Er stierte den Missourier an wie einen Geist.
*
Im Schankraum herrschte eine Luft, die mit Sprengstoff geladen schien. Break stand immer noch an der Theke. Und Seld sah auf die Tür, durch die der vermeintliche Morgan Earp hinausgegangen war.
Da flog der Kopf des Bandenführers herum. »Hatte ich dir nicht befohlen, ihn auszulöschen, Ing?«
»Aber…«
»Kein Aber. Jetzt ist das vertan. Du gehst zurück ins Jail!«
Seld starrte seinen Chef verdutzt an. »Das kann doch nicht dein Ernst sein?«
»Es ist mein Ernst. Vorwärts. Im Augenblick haben wir keine andere Wahl.«
»Aber ihr könnt mich doch nicht…«
»Das hast du Ochse dir selbst zuzuschreiben. Verschwinde!«
Saunders reckte den Kopf hoch. »He, Jim, ich finde, daß das verrückt ist. Wir brauchen jeden Mann.«
»Gegen wen?« kam es schroff von Breaks Lippen.
»Gegen ihn…«
»Gegen den einzelnen Mann, der dazu noch schwer verwundet ist?«
Saunders schob seine schweren Fäuste in die Taschen. »Den Eindruck machte er mir gar nicht.«
Da