»Aber ich.«
Völlig fassungslos starrte Christian den Arzt an. Es dauerte etliche Minuten, bis er diese beiden Worte voll aufnehmen konnte.
»Heißt das…, Sie kennen Leandras Mutter?« brachte er dann endlich mühsam hervor.
Dr. Daniel nickte. »Ich war bei Leandras Geburt dabei.«
Erregt sprang Christian auf. »Und warum sagen Sie das erst jetzt? Das müssen Sie doch schon länger wissen! Verdammt noch mal, Sie sind schuld, wenn Leandra stirbt!«
»Langsam, langsam, junger Freund«, entgegnete Dr. Daniel beruhigend. »Setzen Sie sich erst mal wieder. So einfach, wie Sie es sich vielleicht denken, ist es nämlich nicht.«
»Wollen Sie Geld?« herrschte Christian ihn an. »Wenn es so ist, dann nennen Sie Ihren Preis, und ich werde ihn bezahlen. Ich zeige Sie nicht mal an, weil mir Leandras Leben mehr bedeutet als…«
»Jetzt halten Sie aber die Luft an!« fuhr Dr. Daniel wütend auf. »Was glauben Sie eigentlich, was ich für ein Mensch bin? Halten Sie mich für so gewissenlos, daß ich mich für ein Menschenleben bezahlen lasse?«
Christian errötete, dann ließ er sich langsam auf seinen Stuhl zurücksinken.
»Entschuldigen Sie bitte«, stammelte er.
»Schon gut«, meinte Dr. Daniel. »Sie stehen unter einem enormen psychischen Druck, deshalb nehme ich Ihre Worte nicht so ernst, wie sie im Augenblick vielleicht gemeint waren.« Er schwieg kurz, um seine Gedanken wieder auf das zu konzentrieren, was er zu erzählen hatte. »Also, Leandras Mutter war eine junge Prinzessin. Während eines Urlaubs hat sie sich in einen Griechen verliebt, und als ihr Vater herausbekam, daß sie von diesem Griechen ein Kind erwartete, wurde sie sozusagen unter Verschluß gehalten. Im geheimen wurden Adoptiveltern gesucht, und als die Geburt unmittelbar bevorstand, rief mich das Fürstenpaar nach Schloß Hoheneck. Ich sollte überhaupt nichts von den Begleitumständen von dieser Schwangerschaft erfahren, doch die junge Prinzessin hat sich mir anvertraut, in der Hoffnung, daß ich sie über die Entwicklung ihres Kindes auf dem Laufenden halten würde.«
»Meine Güte, das klingt ja wie ein Kriminalroman«, warf Christian erschüttert dazwischen.
Dr. Daniel nickte. »Es kommt aber noch schlimmer. Die Prinzessin bekam nämlich Zwillinge. Damit war der Fürst erst mal aus dem Konzept gebracht, denn er hatte ja nur ein Elternpaar – nämlich Helga und Manfred Krenn. Diese beiden bekamen nun das Erstgeborene: Leandra. Der Junge wurde erst mal weggebracht und später an ein Ehepaar in Freiburg vermittelt. Und diesen Jungen gilt es nun zu finden.«
»Und… die Mutter? Die wäre doch sicher leichter aufzutreiben«, meinte Christian.
Dr. Daniel senkte den Kopf. »Das ist leider nicht mehr möglich. Prinzessin Alix kam bei einem Autounfall ums Leben, wobei der Fürst anklingen ließ, daß es sich möglicherweise um Selbstmord gehandelt haben könnte.« Er legte die Fingerspitzen beider Hände zusammen. »Fürst Bernhard hat meinem Drängen schließlich nachgegeben und mir die damalige Adresse des Ehepaares gegeben, das den kleinen Ahilleas adoptiert hat. Daraufhin habe ich im Einwohnermeldeamt Freiburg nachgefragt, doch das Ehepaar Herzog lebt nicht mehr dort. Auch Anfragen bei der Polizei, bei der letzten Arbeitsstelle von Herrn Herzog und bei der Schule, die Ahilleas besucht hat, haben nichts ergeben. Ich stehe also völlig hilflos da und habe keine Ahnung, wo ich noch suchen soll.«
»O mein Gott«, stöhnte Christian auf. »Wir müssen ihn aber unter allen Umständen finden! Er ist der einzige, der Leandras Leben retten kann!«
»Ich weiß«, stimmte Dr. Daniel zu. »Ich habe auch bereits Anzeigen in die großen Zeitungen setzen lassen, aber auch das blieb bisher noch ohne Erfolg. Es hat sich niemand gemeldet.«
»Dann gehe ich zum Fernsehen!« rief Christian entschlossen aus. »Dieser Ahilleas muß gefunden werden. Er muß Leandra helfen!«
Dr. Daniel nickte, und dabei versuchte er die Möglichkeit zu verdrängen, daß Ahilleas im Ausland leben oder vielleicht sogar schon gestorben sein könnte.
*
Voller Angst und in banger Erwartung kam Silvia Burgner am Freitag zu Dr. Daniel in die Sprechstunde.
»Tja, Frau Burgner«, begann Dr. Daniel langsam. »Dr. Scheibler von der Thiersch-Klinik hat mir den Bericht zugesandt.« Er sah seine Patientin an. »Eines gleich vorweg: Es handelt sich um keinen bösartigen Tumor.«
Silvia atmete erleichtert auf, dann bemerkte sie jedoch den ernsten Gesichtsausdruck von Dr. Daniel.
»Da ist doch noch etwas«, meinte sie. »Wurde etwas anderes festgestellt? Bin ich doch krank?«
»Nein, Frau Burgner, es ist nichts anderes. Es geht schon um den Knoten in Ihrer Brust. Wie gesagt, es handelt sich um einen gutartigen Tumor, trotzdem empfiehlt Dr. Scheibler nach Rücksprache mit Professor Thiersch, diese Geschwulst operativ zu entfernen, da sich aus diesem vorerst harmlosen Tumor irgendwann einmal Krebs entwickeln könnte.«
Fassungslos schüttelte Silvia den Kopf. »Aber…, aber ich lasse mich doch nicht operieren, nur weil sich aus dieser Geschwulst vielleicht irgendwann Krebs entwickeln kann. Das kann man doch immer noch machen, wenn es soweit ist.«
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Darauf würde ich es an Ihrer Stelle nicht ankommen lassen. Vor allen Dingen wissen Sie ja nicht, wann sich dieser Tumor bösartig entwickelt. Wenn wir es dann bemerken, könnte es schon zu spät sein.« Er schwieg einen Moment. »Sehen Sie, Professor Thiersch ist beileibe kein Arzt, der wegen jeder Kleinigkeit zum Skalpell greift. Wenn er zu einer Operation rät, dann ist sie auch wirklich angezeigt.«
»Aber ich kann nicht« begehrte Silvia auf. »Es geht einfach nicht.« Sie überlegte. »Und wenn es harmlos ist, dann kann man doch auch in einem Jahr operieren… oder in zwei Jahren.«
»Frau Burgner, wenn Professor Thiersch sagt, so bald wie möglich, dann meint er in der Regel innerhalb der nächsten vierzehn Tage. Und Ihre Gesundheit sollte Ihnen so viel wert sein, daß Sie alles andere deswegen zurückstellen.«
Alarmiert horchte Silvia auf. »Dann ist die Geschwulst ja doch nicht so harmlos, wie Sie sagten.«
»Vorerst schon noch«, versicherte Dr. Daniel. »Aber erfahrungsgemäß kann sich so etwas schnell ändern. Es kommt immer wieder vor, daß sich gutartige Zellen ganz plötzlich bösartig verändern. Und es scheint, als hätte Ihr Tumor schon recht beachtliche Ausmaße, obgleich man das ohne Mammographie nicht genau sagen kann.« Und dabei verschwieg er, daß Dr. Scheibler von seinem Chef einen gewaltigen Anpfiff bekommen hatte, weil er eigenmächtig auf die Mammographie verzichtet hatte. Professor Thiersch hatte es am Telefon in knappen Worten erwähnt und angekündigt, daß er diese Untersuchung in der folgenden Woche unbedingt nachholen wollte.
»Also, Frau Burgner«, fuhr Dr. Daniel fort, »Professor Thiersch hat mir gleich einen Termin für Sie gegeben. Sie sollen sich nächste Woche Mittwoch in der Klinik einfinden, dann wird die Mammographie nachgeholt, und am darauffolgenden Montag werden Sie operiert. Es wird dann ein Krankenhausaufenthalt von etwa vier Tagen nötig sein, so daß Sie alles in allem etwa eine gute Woche in der Klinik verbringen werden.«
»Das geht nicht«, wiederholte Silvia wieder. »Bitte, Herr Doktor, sagen Sie den Termin ab. Ich kann jetzt nicht ins Krankenhaus.«
Dr. Daniel beschloß, im Augenblick nicht weiter in die junge Frau zu dringen.
»Lassen Sie sich das Ganze durch den Kopf gehen«, riet er ihr, »und be sprechen Sie sich mit Ihrem Mann. Am Montag können Sie mir Bescheid sagen, wie Sie sich entschieden haben.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Aber ich rate Ihnen dringend, Professor Thierschs Rat zu befolgen.«
*
Am Mittwochnachmittag brachte Richard Burgner seine Frau nach München in die Thiersch-Klinik. Der Termin paßte ihm recht gut, da sein Büro mittwochs ab Mittag geschlossen war. Und von