»Und wenn doch?« warf Silvia angstvoll dazwischen.
Dr. Daniel lächelte. »Daran wollen wir jetzt gar nicht denken. Das Ergebnis der Untersuchung werden Sie ohnehin erst in ein oder zwei Tagen bekommen. Bis dahin läßt sich vielleicht auch irgend etwas arrangieren.«
Niedergeschlagen senkte Silvia den Kopf. »Ich glaube es kaum.« Dann sah sie den Arzt an. »Gut, ich fahre gleich nach München. Und vielleicht ist ja wirklich alles ganz harmlos.«
*
Der Vormittag hielt für Dr. Daniel noch eine weitere Überraschung bereit. Kaum hatte Silvia Burgner sein Sprechzimmer verlassen, da trat schon die nächste unangemeldete Patientin ein: Leandra Schütz.
Dr. Daniel erschrak beim Anblick der jungen Frau. War sie bei ihrem letzten Besuch vor drei Monaten schon blaß gewesen, so schien ihre Haut jetzt fast durchsichtig zu sein, und sie mußte sich schwer auf ihren Mann stützen.
Rasch kam Dr. Daniel um seinen Schreibtisch herum und griff helfend zu.
»Herr Doktor, bitte, helfen Sie mir«, flüsterte Christian Schütz ihm nahezu unhörbar ins Ohr. »Sie stirbt jeden Tag ein bißchen mehr. Sie quält sich, sie leidet…, ich halte das nicht mehr aus.«
Dr. Daniel nickte dem jungen Mann verständnisvoll zu, dann wandte er sich an Leandra.
»Sie fühlen sich sehr schlecht?«
Leandra nickte, dann brach sie in Tränen aus. »Ich werde nicht schwanger! Bitte, Herr Doktor, tun Sie doch etwas! Ich muß ein Baby bekommen…, ich muß einfach!«
Bedauernd schüttelte Dr. Daniel den Kopf. »Da kann ich nichts tun, Frau Schütz. Sie haben keinen Eisprung, und vor allen Dingen sind Sie in Ihrem jetzigen Zustand viel zu geschwächt, um eine Schwangerschaft durchzustehen.«
Mit brennenden Augen sah Leandra den Arzt an. »Heißt das…, ich muß sterben… ohne daß ich…« Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
»Frau Schütz, hören Sie mir jetzt gut zu«, erklärte Dr. Daniel eindringlich. »Lassen Sie sich von Ihrem Mann in die Klinik bringen – und zwar auf dem schnellsten Weg.«
Starrköpfig schüttelte Leandra den Kopf. »Nein! Wenn ich erst in der Klinik bin, werden sie mich zugrunde richten, und ich kann kein Baby mehr bekommen.«
»Sie können auch außerhalb der Klinik kein Baby bekommen«, entgegnete Dr. Daniel ernst. »Es klingt sehr hart für Sie, aber Sie müssen der Wahrheit ins Gesicht sehen, Frau Schütz. Die Krankheit frißt Sie buchstäblich auf.«
Wieder brach Leandra in Tränen aus. Natürlich hatte sie selbst schon gemerkt, wie rapide es mit ihr bergab ging. Sie schlief fast nur noch, konnte kaum ein paar Schritte gehen ohne sich immer wieder auszuruhen, und schon jetzt traten gelegentlich Schmerzen auf – nicht unerträglich, aber schlimm genug, um sich das Ende ausmalen zu können.
»Ich wünsche mir dieses Baby so sehr«, schluchzte sie. »Bitte, Herr Doktor! Gibt es denn keine Möglichkeit… eine Zeugung außerhalb der Gebärmutter…, davon habe ich schon so viel gehört…«
Dr. Daniel zögerte, dann schüttelte er den Kopf. Er durfte der Patientin keine Hoffnungen machen, die sich nie erfüllen würden.
»Ich muß ehrlich zu Ihnen sein, Frau Schütz, auch wenn es mir noch so schwerfällt«, erklärte er. »Sie würden das Ende der Schwangerschaft nicht mehr erleben. Es tut mir leid, aber sie müssen sich in Behandlung begeben, wenn Sie überhaupt noch eine Chance haben wollen, und ich hoffe inständig, daß es nicht jetzt schon zu spät ist. Bitte, Frau Schütz, kehren Sie in die Klinik zurück, und lassen Sie sich mit Zytostatika behandeln, bis…« Er stockte. Sollte er von seiner Suche nach ihrem Bruder erzählen? Oder bedeutete das ebenfalls, der Patientin Hoffnung zu machen, die sich nicht erfüllen würden? Noch hatte er ja keine Ahnung, wie und wo er Ahilleas auftreiben sollte.
»Bis ich sterben werde«, vollendete Leandra seinen angefangenen Satz voller Bitterkeit.
Dr. Daniel schüttelte den Kopf. »Nein, das wollte ich nicht sagen. Es ist vielmehr so…« Wieder brachte er es nicht über sich, Hoffnungen in Leandra zu erwecken. Und so trat er nur ans Telefon. »Darf ich Sie bei Professor Thiersch ankündigen?«
Leandra sackte in sich zusammen, dann nickte sie schwach. »Meinetwegen. Wenn ich kein Baby haben kann, dann ist es mir egal, wann und wo ich sterbe.«
Dr. Daniel tauschte einen raschen Blick mit Christian Schütz, dann hob er den Hörer ab und wählte die Nummer der Thiersch-Klinik. Dort ließ er sich mit dem Chefarzt verbinden.
»Herr Professor, ich rufe wegen Leandra Schütz an«, erklärte Dr. Daniel ohne Umschweife. »Sie ist bei mir in der Praxis, und… es steht nicht gut um sie.«
»Das war zu erwarten«, entgegnete Professor Thiersch grob. »Sie wollte sich ja nicht behandeln lassen.«
»Jetzt schon«, meinte Dr. Daniel. »Darf ich sie zu Ihnen schicken?«
»Natürlich! Das ist doch gar keine Frage! Haben Sie ein Blutbild gemacht?«
»Nein«, gestand Dr. Daniel.
»Nachlässig!« hielt der Professor ihm vor. »Das bin ich von Ihnen nicht gewohnt, Daniel. Also, schicken Sie sie her. Ich kümmere mich persönlich um sie.« Dann legte er einfach auf.
Dr. Daniel wandte sich Christian Schütz zu. »Bringen Sie Ihre Frau in die Thiersch-Klinik, und anschließend hätte ich Sie gern noch gesprochen.« Die letzten Worte kamen so leise, daß nur Christian sie verstehen konnte, abgesehen davon, daß Leandra völlig geistesabwesend dasaß und Dr. Daniel nicht sicher war, ob sie überhaupt mitbekam, was um sie herum vorging.
Christian war erstaunt, doch er nickte nur.
»Kommen Sie am besten um die Mittagszeit, und klingeln Sie bei mir privat«, fügte Dr. Daniel noch hinzu, dann begleitete er Christian und Leandra hinaus, half der jungen Frau beim Einsteigen und sah dem Wagen nach, bis er um die Wegbiegung verschwunden war.
Mit einem tiefen Seufzer kehrte Dr. Daniel in die Praxis zurück. Hoffentlich konnte Professor Thiersch der jungen Frau noch helfen.
»Ich muß Ahilleas finden«, murmelte er sich zu. »Und ich muß ihn schnell finden, wenn ich das Leben dieser Frau noch retten will.«
Dabei hatte er kaum mehr Hoffnung, auf eine Spur von Leandras Zwillingsbruder zu stoßen.
*
Leandra wurde in der Thiersch-Klinik schon erwartet. Gleich am Eingang nahmen zwei Pfleger sie in Empfang, legten sie auf eine fahrbare Trage und eilten zum Lift. Christian hatte Mühe, ihnen zu folgen, doch er wollte Leandra keinesfalls allein lassen, obgleich sie immer noch völlig apathisch war und ihn gar nicht zu bemerken schien.
»Meine Güte, Sie kommen ja wirklich in letzter Minute«, knurrte Professor Thiersch, als er einen Blick auf die Patientin warf.
»Scheibler!« rief er dann. »Blutbild, aber sofort!«
Der junge Stationsarzt beeilte sich, diesem Befehl Folge zu leisten. Kaum zehn Minuten später hielt Professor Thiersch das Ergebnis bereits in der Hand. Seine Stirn zog sich in bedrohliche Falten, dann ordnete er in knappen, barschen Worten die weitere Therapie an, bevor er sich Christian Schütz zuwandte.
»Das war in letzter Minute, junger Mann«, erklärte er. »Eine Woche später, und wir hätten nichts mehr für sie tun können.«
Christian taumelte bei diesen Worten und griff haltsuchend hinter sich.
»Ich…, sie hat sich ein Baby gewünscht…, so sehr«, stammelte er verzweifelt.
»Ich weiß schon«, meinte Professor Thiersch, und seine Stimme klang dabei ungewöhnlich ruhig, fast väterlich. »Sie ist eine sehr eigenwillige junge Dame.« Dann, als täten ihm diese fürsorglichen