VERRÄTER (Extreme 2). Chris Ryan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Chris Ryan
Издательство: Bookwire
Серия: Extreme
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783958352704
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spät«, antwortete Bald. »Ich hab schon bestellt.«

      Der Barkeeper stellte zwei Gläser Pulque vor ihnen ab. Die Flüssigkeit war cremig und sah wie Hundesperma aus. Bald kippte sich ihn mit einem Schluck hinunter. Er schmeckte würzig, brannte in der Kehle und lief ihm wie Batteriesäure in den Magen. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Antonia rührte ihren Drink nicht an. Sie starrte darauf, als würde es sich dabei tatsächlich um Hundesperma handeln.

      »Na los. Trinken Sie aus.«

      »Ich bin nicht durstig.«

      Bald zuckte mit den Schultern und fragte: »Was hat Cave Ihnen über mich erzählt? Außer, dass ich im Bett eine Legende bin.«

      Antonia schob ihren Drink von sich fort. »Er sagte, dass Sie bei den Special Forces waren. Einer der besten, und einer der schlimmsten. Dass die anderen Kerle Sie respektierten, aber einen Bogen um Sie machten, weil man Ihnen nicht über den Weg trauen konnte. Er sagte außerdem, dass Sie ein verbitterter Säufer sind, der in der Vergangenheit lebt, und ich ein Auge auf Sie haben soll, falls …«

      Vier dickliche Mexikaner an der Bar mussten laut über irgendetwas lachen. Antonia sah über ihre Schulter zu ihnen hinüber. »Falls was?«, hakte Bald nach.

      »Daniel meinte, Sie wären ein leicht reizbarer Schotte«, sagte Antonia, als würde sie es von einem Teleprompter ablesen, »der zu Gewaltausbrüchen neigt, seiner Wut häufig mit seinen Fäusten Nachdruck verleiht und ernsthaft kokainabhängig ist.«

      »Bis auf das verbittert stimmt alles.«

      Antonia lachte nicht. Sie lächelte auch nicht. Ihre Lippen blieben so unbewegt und gerade, dass man mit ihnen Fahrbahnmarkierungen hätte malen können. Bald dachte das Gleiche, was er über jede andere englische Schnalle auch dachte: Dass sie gleich viel heißer aussah, wenn sie nicht gerade ein Gesicht machte, als wäre die ganze Welt gegen sie.

      »Sie halten sich für einen witzigen Typen.«

      »Ach was«, sagte Bald.

      »Sie wissen bestimmt, dass Humor der erste Verteidigungsmechanismus von Menschen ist, die an akuter posttraumatischer Belastungsstörung leiden.«

      »Und Sie wissen bestimmt, dass dieses Psychogelaber der erste Verteidigungsmechanismus von Leuten ist, die noch nie eine Waffe abfeuern mussten.«

      Plötzlich wurde ihm bewusst, wie todmüde er eigentlich war. Mexiko City lag sechs Stunden hinter der Londoner Zeit. Zuhause war es beinahe fünfzehn Uhr, was bedeutete, dass Bald seit mehr als dreißig Stunden auf den Beinen war. Auf dem Flug hatte er kein Auge zugemacht. Er war viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, die Gratisgetränke zu vernichten und die Stewardess anzugaffen. Jetzt hatte ihn der Jetlag aber erwischt. Er brauchte etwas, um seinen Blutkreislauf in Schwung zu bringen. Er deutete mit den Augen auf den noch nicht angerührten Pulque vor Antonia und fragte: »Trinken Sie den noch?«

      »Ich denke, ich passe.«

      Bald kippte Antonias Drink hinunter und bestellte sich zwei weitere.

      »Daniel macht einen Riesenfehler«, sagte Antonia. »Sie sind nicht in der nötigen Verfassung für diesen Job.«

      »Trotzdem hält er mich für die einzige Hoffnung, die wir haben.«

      »Dann sind wir geliefert.«

      Der Barkeeper kam mit den Drinks und stellte beide vor Bald ab, der sie nacheinander leerte. Er gab dem Barkeeper ein Zeichen – Lass sie weiter kommen – und sagte dann zu Antonia: »Sie sind einfach nur angepisst, weil ich ein Schotte aus einer Arbeiterstadt bin. Weil ich keinen feinen Akzent und keine tolle Schulausbildung genossen habe. Und ich wette, wäre ich der verdammte James Bond, würden Sie sich in Nullkommanichts Ihr Höschen vom Leib reißen.«

      Antonia schnaubte verächtlich. »Nicht mal in Ihren Träumen«, sagte sie. »Sehen Sie den Tatsachen ins Auge, John. Wir gehören unterschiedlichen Spezies an.«

      Der nächste Schwung an Drinks flog heran, aber etwas anderes hatte Balds Aufmerksamkeit erregt. Über Antonias Schulter hinweg musterte er einen Typen, der gerade die Bar betreten hatte. In seiner fleckigen Jeans, den Sandalen und der abgetragenen Jacke sah er wie ein Penner aus. Er trug eine abgedunkelte Brille. In den Händen hielt er ein ramponiertes Kassettenradio aus den Achtzigern, das von Klebeband zusammengehalten wurde. Ein Mikrofon war angesteckt und aus den Lautsprechern quäkte irgendein alter Sinatra-Song. Dann fing der Typ an, mitzusingen. Seine Stimme hörte sich an wie ein sterbender Hund. Die Stammgäste an der Bar riefen laut dazwischen, aber der Mann weigerte sich, zu verschwinden.

      Antonia sagte: »Es gibt da noch ein paar Dinge, um die ich mich kümmern muss. Kommen Sie um Punkt zehn Uhr zum Sheraton.«

      Bald prostete Antonias Hintern zu, als sie aufstand. Der Barkeeper schob unter dem Beifall der Gäste Sinatra aus dem Saloon hinaus. Bald kippte den Pulque hinunter.

      »Was ist im Sheraton?«, fragte er.

      »Unser Paket wartet dort auf Sie.«

      »Was für ein Paket?«

      »Das ist eine Überraschung.«

      »Prima. Ich liebe Überraschungen.«

      Kapitel 12

       09:59 Uhr

      Genau eine Stunde und zwölf Pulques später wankte Bald auf die Straße hinaus. Grelles Sonnenlicht, heiß und intensiv wie brennender Schwefel, begrüßte ihn. Er kniff die Augen zusammen und versuchte, sich zurechtzufinden. Er war auf der Ayuntamiento nach Süden, also musste er bei der nächstbesten Gelegenheit nach links abbiegen, nach Norden, um auf die Hauptstraße nach Juárez zu kommen. Er war sich darüber im Klaren, dass er vollkommen im Eimer war. Jeder seiner Schritte war vorsichtig und bedurfte seiner ganzen Konzentration. Er starrte auf die wenigen Zentimeter Gehsteig vor seinen Füßen und grübelte darüber nach, wie er wieder nüchtern werden konnte, bevor er sich mit Antonia traf, als jemand gegen seine Schulter rempelte.

      Der Typ hob entschuldigend die Hände. Er war ein spindeldürrer Mistkerl, dessen Augen über der Nase zusammenstanden, als würde er auf eine unsichtbare Kette starren, die vor ihm herum baumelte. Er versuchte, eine Entschuldigung zu murmeln, aber da er keine Zähne mehr hatte, drangen nur undeutliche, undefinierbare Laute hervor. Bald sah ihm nach, wie er weiter die Straße hinunter taumelte. Wieso gab es in Mexiko City nur so verdammt viele Penner, fragte er sich.

      Während er Schielauge noch hinterher sah, bemerkte er Sinatra aus der Bar. Der Typ stand fünfzehn Yards entfernt und lungerte auf der anderen Straßenseite an einem Laternenmast herum. Sechs oder sieben Yards hinter ihm stand die spanische Version von Gardner. Beide starrten Bald an.

      Quatsch, dachte Bald. Das kann nicht sein. Er schüttelte den Kopf und lief weiter.

      Acht Minuten später erreichte er das Sheraton Centro Histórico und schob sich durch die gläserne Drehtür. Er warf noch einmal einen Blick über die Schulter und sah, wie das Obdachlosen-Trio hinter ihm her humpelte. Wie Zombies, die von den verdammten Toten auferstanden waren. Bald musste innerlich lachen, als er sich ausmalte, wie die elenden Penner es schaffen wollten, an den Sicherheitskräften des Hotels vorbeizukommen. Er reckte Sinatra den Mittelfinger entgegen und betrat das Foyer.

      Antonia wartete bereits auf ihn, und ging Nachrichten auf ihrem iPhone durch. Sie sperrte den Bildschirm und sagte: »Sie sind spät dran.«

      »Und Ihr Boss ist ein Arschloch, aber was will man machen.«

      Sie führte Bald durch das Restaurant und ließ ihren Blick über die Leute beim Frühstück schweifen, überflog den bekannten Mix aus lethargischen Geschäftsreisenden und aufgeschwemmten Touristen, wie man ihn in jedem Fünfsternehotel überall auf der Welt antraf. Ihr Blick blieb an einem Mann an einem Tisch am anderen Ende haften. Der Mann sah adrett aus, braune Haare mit einem Seitenscheitel, trug Slipper, eine weiße Leinenhose und ein pinkfarbenes Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln. Alles an ihm wies ihn als gebürtigen Engländer aus. Er trank den restlichen